Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler
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Mick wollte Bilder von Brian auf der Bühne anbringen. Les Perrin sollte sie mir zukommen lassen. Wir sprachen darüber, weiße Tauben fliegen zu lassen, was wir schnell verwarfen, weil es zu kitschig wirkte. Dann kam Mick auf die Idee, Schmetterlinge freizulassen, was er zugleich als einen ironischen Verweis auf einen Leitartikel der Times verstand, der nach der Drogenrazzia bei Keith und Mick unter dem Titel „Who breaks a butterfly on a wheel“ erschien. Ich versprach ihm, irgendwo Schmetterlinge aufzutreiben, und das war’s erst mal.
Mick gab mir mit Nachdruck zu verstehen, dass er Mineralwasser in Flaschen wollte und dass wir auf einen Backstage-Bereich verzichten würden. Er bestand darauf, dass die Band kam, auf die Bühne ging, ihre Musik spielte und nach dem Konzert sofort wieder verschwand. Falls sie jemand von der Rock-Elite sehen wollte, musste er sich zum ganz normalen Publikum gesellen.
Als Nächstes folgte eine lange Diskussion, ob auch andere Bands an dem Event teilnehmen sollten. Ich wies Mick darauf hin, dass sich das Publikum schon zu Tagesanbruch im Park versammeln würde. Wir konnten die Leute nicht so einfach da sitzen lassen, wir standen unter Druck, sie gut zu unterhalten, bis die Stones auftreten würden. Mick stimmte zu, wollte aber keine anderen Gruppen, die den Stones stilistisch zu nahe kämen.
Die Entscheidung, wer denn nun auftrat, wurde letztendlich Blackhill überlassen. Mich interessierten keine Details, doch er gab seine Zustimmung dafür, dass Alexis Korner auf jeden Fall dabei sein musste, weil er und Brian sich sehr nahe gestanden hatten. Nach 30 Minuten verabschiedete sich Mick, um sich um andere Angelegenheiten zu kümmern, und ich besprach den Rest der Vorkehrungen mit Jo Bergman.
Am 5. Juli 1969 war ich schon vor Tagesanbruch aufgestanden. Ich sah einige Tausend Menschen, die die Nacht im Park verbracht hatten. Die Fans erwartete ein warmer und sonniger Sommertag. Um ungefähr 7 Uhr hatten sich schon einige Zehntausend versammelt. Das größte Free Concert in Großbritannien begann! An dem Tag traten neben den Rolling Stones noch folgende Bands auf: Family, Battered Ornaments (ohne Pete Brown), King Crimson, Roy Harper, die Third Ear Band, Alexis Konrner New Church und meine Schützlinge Screw.
Les Perrin hatte zwei Riesenbilder von Brian aufgetrieben, doch ich empfand sie als äußerst unglückliche Wahl, da sie einen Menschen zeigten, an dem seine besten Tage schon vorübergezogen waren. Die riesigen Drucke stammten von den Foto-Sessions des Beggars Banquet-Albums. In der letzten Minute dekorierten die Helfer die Bühne mit den Aufnahmen und einer Wagenladung künstlicher Palmen und Blumen, die wir von einem Dekorateur für Film-Sets gemietet hatten.
Zehntausende Kohlweißlinge wurden von der Paddington Station in Kartons abgeholt, die ich im Schatten unter der Bühne verstaute. Ich betete, dass einige von ihnen den langen und sonnigen Tag überlebten.
Tom Keylock, der „Security-Mann“ der Stones, ein ehemaliger Fallschirmjäger, gab einigen Bikern mit handgestickten Hells-Angels-Abzeichen auf der Kutte Anweisungen, wie mit den „Schreihälsen“ umzugehen war – Mädchen, die um alles in der Welt Mick auf der Bühne an die Wäsche wollten. Die meisten Biker waren keine Hells Angels, sondern nur ganz normale Rocker. In Großbritannien gab es 1969 kein offizielles Hells-Angels-Chapter, nur einen Haufen lächerlicher „Möchtergern-Asphalt-Cowboys“, kaum alt genug, sich zu rasieren. Tom fiel die Aufgabe zu, sich um diese Typen zu kümmern. Der Anführer des Haufens muss Mitte dreißig gewesen sein und wurde Wild Child genannt. Er trug einen Wehrmachts-Stahlhelm und fiel mir wegen seiner außergewöhnlichen Dummheit auf. Keylock bat die Hells Angels „für Arme“ in einem Anflug naiven Macho-Gehabes, sich während des Auftritts zu benehmen. Wenn sie nach dem Konzert noch ein wenig Lust auf Action hätten, könnten sie ja mit ihm einen kleinen Boxkampf veranstalten. Glücklicherweise ließ sich niemand auf die dämliche Provokation ein.
Die Angels erhielten Naturalien als Entlohnung – Tee, der von einem Catering-Wagen der Filmcrew aus gereicht wurde. Wir empfanden das als angemessene Bezahlung dafür, dass sie bloß rumstanden und grimmig in die Gegend glotzten. Alles blieb friedlich und ruhig. Reiter trabten auf ihrem Morgenausritt durch den Park, und kein einziger Bobby ließ sich sehen. Die jungen Biker plusterten sich auf wie Pfaue in der frühen Morgensonne, in der Vorfreude – die alle teilten – darauf, am Abend ein Konzert mit den Rolling Stones zu erleben.
Gegen Mittag betrat die erste von vielen Bands die Bühne. Zu dem Zeitpunkt befanden sich schon 250.000 Menschen im Park. Das Equipment wurde problemlos ausgetauscht, und die Techniker behoben einige kleinere Probleme. Die meisten Rockmusiker hatten dankenswerterweise ihr Ego zu Hause gelassen. Die Bands spielten, fanden jedoch meist wenig Beachtung. Friedliches Verhalten und Freundlichkeit bestimmten den Tag. Alle warteten ungeduldig auf die Stars des Festivals, denn die Sonne brannte gnadenlos auf das Publikum herab.
Das medizinische Notfallteam bestand aus vier älteren Damen von der St. John’s Ambulance Brigade. Sie kümmerten sich um die Dehydrierten und reichten ihnen in typisch britischer Manier Tee und Plätzchen. In ihrer Nähe stand ein Bereitschaftsarzt, der allerdings nicht benötigt wurde. Frustriert ließ er sein Stethoskop verschwinden, weil er sich ziemlich albern vorkam. Der ganze Event wirkte wie eine surreale britische Gartenparty für Hippies.
Die Stones trafen am Nachmittag im Park ein. Sie wurden in einem Rettungswagen aus dem Zweiten Weltkrieg angekarrt, der sich langsam durch die Massen quälte. Noch nie hatten sie vor so vielen Zuschauern gespielt. Seit den spontanen Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich in der Stadt nicht mehr so viele Menschen auf einem Haufen versammelt. 500.000 Fans wollten die Rolling Stones sehen.
Der bekannte DJ Jeff Dexter sollte durch das Programm führen, war aber nicht erschienen, und so übernahm ich seinen Mikrofon-Job. King Crimson traten auf. Alexis Korners Band spielte. Immer noch kein Lebenszeichen von Dexter. Ich hatte noch nie in der Öffentlichkeit gesprochen, machte mir aber trotzdem nicht allzu viele Gedanken, sondern brabbelte in hippiesker Sprache drauflos und erinnerte das Publikum daran, die Bäume nicht zu beschädigen und sich nett zueinander zu verhalten. Ich war erstaunt, dass alles so glatt lief, und hatte das Gefühl, mich umgäben eine halbe Million Freunde. Kurz vor seinem Auftritt rief mich Mick hinter die Bühne. Er trug weiße, außergewöhnlich geschnittene Kleidung, die Mr Fish entworfen hatte, ein damals angesagter Modedesigner. Meiner Meinung nach sah er ziemlich albern aus, doch natürlich sagte ich das nicht. In dem Caravan, der den Stones als Garderobe diente, verriet mir Mick, dass er zum Gedenken an Brian einen Auszug aus Percy Bysshe Shelleys Gedicht „Adonaïs“ lesen wolle. Er bat mich, die Menge zur Ruhe aufzurufen, damit der Text überall gehört werden könne. Ich versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müsse.
Schnell trieben wir ein Ersatzmikro auf, durch das Mick den Text vortrug.
Mick bat um Ruhe und las Shelleys Zeilen:
Peace, peace! He is not dead, he doth not sleep –
He hath awakened from the dream of life –
’Tis we, who lost in stormy visions, keep
With phantoms an unprofitable strife,
And in mad trance, strike with our spirit’s knife
Invulnerable nothings. – We decay
Like corpses in a charnel; fear and grief
Convulse us and consume us day by day,
And cold hopes swarm like worms within our living clay.