Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler
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Nick Mason und Ron Geesin unterstützen mich bei einem eigenen Musikprojekt, wofür ich ihnen für alle Zeiten danke, da ihre Beiträge dem Experiment eine gewisse Schwere und Tiefgründigkeit gaben. Einige Freunde hatten sich entschlossen, eine Gruppe mit dem Namen Screw zu gründen, eine Punk-Band, mehr als ein Jahrzehnt vor Malcolm McLaren und den Sex Pistols und lange bevor einer wusste, was der Begriff Punk nun bedeutet. Ron und Nick fanden die Musik sowohl schrecklich als auch faszinierend. Wir hatten unseren Spaß, konnten alles rauslassen und frech sein, doch die Band verschwand schnell von der Bildfläche.
Screw gehörte zu den wenigen Formationen, die ihre Zuhörer an die Wand spielten und sie verwirrt und betäubt zurückließen. Nachdem die Leute ein Konzert gehörte hatten, wussten sie nicht, was man davon halten, geschweige denn darüber sagen sollte. Screw verschlug ihnen die Sprache, und das war – wie wir damals dachten – eine nennenswerte Leistung.
Sogar John Peel, der Kult-DJ, der in seiner BBC-Radio-Show die merkwürdigsten, abgefahrensten Sachen auflegte, bekam bei einem Gig von Srew kein Wort mehr über die Lippen. Ich lud ihn zu einem der Happenings ein. Während des Sets schlug Chris Turner, der Mundharmonika-Mann, ein wenig über die Stränge. Seine Lippen platzen auf, und das Blut spritze über die ganze Bühne. Der Sänger Pete Hossell eilte ihm zur Hilfe und besudelte sich die Hände und das Mikro mit Blut. Das wirkte alles schon ziemlich bedrohlich. Nach dem Konzert ging ein besorgter John Peel in den Backstage-Bereich, um seine Hilfe anzubieten. Er war wohl ziemlich schockiert, als er Pete Hossell dabei beobachtete, wie er Chris’ blutende Lippen mit einer seiner dreckigen Socken (in Bier getränkt) abwusch und dabei noch eine tiefen Schluck nahm, als sei nichts gewesen.
Chris war ein erstaunlicher Typ. Er spielte mitreißende Soli auf seiner Blues-Harp und spuckte manchmal einen abgebrochenen Zahn aus, während ihm das Blut in kleinen Rinnsalen das Kinn hinablief. Damit schickte er das Publikum natürlich auf einen Horrortrip. Gelegentlich meinten die Leute, dass er auf der Bühne bei einem seiner emotionalen Ausbrüche verblute. Manchmal musste er auf der Bühne wiederbelebt werden, und einmal rief der Veranstalter bei einem Konzert sogar den Krankenwagen, im festen Glauben, dass der Harp-Mann nun wirklich zu viel Blut verloren habe. (Natürlich war das alles ein Show-Act, denn Chris zerbiss Filmblutkapseln und spuckte künstliche Zähne aus, doch Screw überzeugte das Publikum. Kaum jemand kannte die ganze Wahrheit!)
Nick Mason half bei der Produktion einiger Srew-Songs, die am 13. Mai 1969 in den Lansdowne Studios in London aufgenommen wurden. Die Bänder verstaubten dann 30 Jahre lang in einem Lager für Audiobedarf. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich Nick zu dem ungewöhnlichen Projekt überredete, und nur die Götter wissen, warum Ron Geesin die Bänder überspielte und masterte. Doch Ron hatte stets eine Schwäche für das Ungewöhnliche und Schockierende. Er war der einzige Mann in der ganzen Stadt, der die Dagenham Girl Pipers mochte, weibliche Dudelsack-Spieler, die damals in London lebten.
Aus heutiger Sicht engagierte sich Nick wahrscheinlich für Screw, weil sie ihm eine Pause von der Komplexität und dem cleveren Ansatz seiner eigenen Band ermöglichten. Die offensive und direkte Herangehensweise von Screw stellte für ihn ein heilsames Gegengift zu einem Roger Waters dar, der ihn ständig belehrte, was er denn nun spielen solle. Ich versuchte alles, damit die Screw beim Free Concert der Rolling Stones im Hyde Park auftreten konnten (mehr zu dem Thema später). Bei dem Konzert spielten sie vor 500.000 Zuschauern. Ich erinnern mich noch gerne an den Jazz/Blues-Musiker Alexis Korner, der sich die Show vom Bühnenrand aus ansah und ungläubig den Kopf schüttelte. Kurz darauf flog ich in die USA, und Screw mussten sich andere Vertreter suchen.
Die Band war ihrer Zeit weit voraus, doch leider wurde nichts aus dem Projekt, das unter einem schlechten Stern stand. Ihr Co-Manager knallte völlig durch und gründete in Schottland eine Kommune, deren einziges Mitglied er schwängerte. Der Leadgitarrist Al Kinnear verstarb sehr früh, und der Drummer Nick Brotherwood verdiente sich seine Brötchen als Pfarrer! Pete Hossell ließ sich in São Paulo nieder, und Stan Scrivener, der Bassist, scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Die 1969 aufgenommene Platte wurde schließlich 2006 in einer auf 500 Exemplare limitierten Edition auf dem Spezialisten-Label Shagrat veröffentlicht. Die Musik klang immer noch so durchgeknallt wie damals. Ich kann mich gut an alle Songs erinnern.
UFO war ein weiterer Londoner Club, der eine wichtige Rolle in der aufblühenden Musikkultur spielen sollte. Er öffnete kurz vor Weihnachten 1966 und lässt sich als finstere Höhle beschreiben, die unter einem Kino in der Tottenham Court Road lag. Unter anderem traten dort Pink Floyd und Soft Machine auf. Ich warf mich in mein psychedelisches Outfit und besuchte den Laden, wo ich Leuten begegnete, die aus allen Winkeln Großbritanniens kamen. Ein Kerl aus Deutschland etablierte sich als Haus-Dealer. Manchmal zog ich mir einige Joints durch oder warf einen Trip und schaute mir die Schwarzweißfilme an, die man während der ganzen Nacht auf eine Wand projizierte. Auf einem Trip zu sein und um sieben Uhr morgens die Stufen zur Tottenham Court Road hochzustolpern war schon ziemlich schräg. Ich flüchtete so schnell wie möglich vor der ganzen UFO-Szene, spazierte meilenweit durch die ausgestorbenen Straßen und beobachtete, wie die ganze Stadt langsam zum Leben erwachte.
Als die neuen Clubs eröffneten, nahmen enthusiastische Manager den Platz der alten Typen ein, die das Business schon viel zu lange schleifen ließen. Peter Jenner und Andrew King standen an vorderster Front der „jungen Wilden“ und gründeten gemeinsam Blackhill Enterprises. Durch einen Umweg gelangte ich zu den beiden.
Traditionell verbringt die Bevölkerung Großbritanniens die Wochenenden mit einem Ausflug aufs Land, dem Besuch eine Gartenparty oder von Freunden. Ich hatte eine Einladung zu einer großen Party auf einem riesigen Anwesen in Surrey erhalten. Das Gebäude gehörte Nick Masons’ Schwiegervater, einem bekannten und fortschrittlichen Architekten.
Wir kamen südlich von Guildford an und sahen 40 bis 50 Leute, kunterbunt in allen Farben des Regenbogens gekleidet, die LSD-Trip eingeworfen hatten und weit über dem Boden der „herkömmlichen“ Realität schwebten. Sie schlenderten durch die gepflegten Gärten und machten es sich auf dem makellosen Rasen bequem, der hinter einem unfassbar großen Gebäude lag. Doch irgendwie lief alles so schrecklich britisch-zivilisiert ab. Ich begegnete dem Hausbesitzer, der einen grauweißen Bart trug und sich sehr großzügig zeigte. Er fand die Freunde seiner Tochter bemerkenswert und hochinteressant. Allerdings bin ich mir nicht sicher, was er von mir hielt, denn ich trug die wildesten Klamotten, die ich damals besaß. Mit einer Freundin produzierte ich Kleidung für einige der neuen, ausgeflippten Boutiquen Londons. Wir kauften die Stoffe bei Liberty’s, einem großen Geschäft, das aufsehenerregende Designs anbot, die an die von William Morris im 19. Jahrhundert kreierten Wandbehänge und -teppiche erinnerten. Eigentlich waren die Stoffe für Gardinen gedacht oder für Schonbezüge, aber wir fertigen daraus Schlaghosen und Jacketts für die Shops in Kensington. Ich schneiderte mir einen Anzug mit aufgedruckten knallig bunten Rhododendrenblüten. Mich erstaunt es noch immer, wie viel Mut ich gehabt haben muss, in so einem Dress in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Zwar verkauften wir nicht viel, doch es machte eine Menge Spaß.
An diesem netten Sommernachmittag, tief im Herzen der ländlichen Idylle Großbritanniens, unterhielt ich mich mit Nick Mason und Rick Wright über Musik, das Leben und das Universum und sonstige Belanglosigkeiten. Nach kurzer Zeit kam das Thema Blackhill auf. Die beiden erzählten mir, hier sei eine neue Firma mit einem vollkommen anderen Ansatz des Managements in der Musikindustrie am Start.
Sie meinten, die alten Strukturen müssten eingerissen und alles neu aufgebaut werden. Das bezog sich auf das Management der Musiker und die Organisation des Profilebens. Die Bands durften sich nicht mit alternden, fettleibigen, an der Zigarre nuckelnden Kerlen des Establishments einlassen, die ihnen Vorschriften machten. Die Musiker wollten unter allen Umständen mit Leuten zusammenarbeiten, die ihre Sprache verstanden. Sie wollten von Typen repräsentiert werden, die kifften, die etwas von alternativen Bewusstseinszuständen verstanden und die bereit waren, sich auf einer neuen Ebene zu verwirklichen. Darüber hinaus war es für viele Musiker am wichtigsten, dass sich angesagte Leute um