Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler
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Der Einzige, mit dem ich über meine Gefühle reden konnte, war ein Kumpel namens Brian. Schon bald machte ich mich auf den Weg zu seinem Haus, um ihm von meinem sexuellen Frühlingserwachen zu berichten. Wir hockten uns in sein Zimmer, und während Brian einen Joint kurbelte, versuchte ich ihm von Jeannie zu erzählen, doch ich kam nicht zu Wort, weil Brian wortgewandt von einem Buch schwärmte. Ich hörte aufmerksam zu, als er mir von den Figuren und der Handlung erzählte. Es handelte von den USA und zog mich augenblicklich in den Bann.
Brian überreichte mir feierlich Jack Kerouacs On the Road.
Ich ging nach Hause, machte es mir in meinem Zimmer bequem und begann mit der Lektüre. Es war für mich eine unvergleichliche Offenbarung. Zum ersten Mal hielt ich ein Buch in Händen, das einen Neubeginn schilderte, das die Lust des Aufbruchs und des Reisens beschrieb – all das, was ich mir schon immer gewünscht hatte, was ich schon als kleines Kind verwirklichen wollte. On the Road handelte von Jazz, Sex, Dope und von der Hoffnung. Ich war mir sicher, in diesem ruhelosen Romantizismus die Vorlage eines Lebensentwurfes für mich gefunden zu haben, und liebte jede einzelne Seite mit zügellosem Enthusiasmus. Das Werk überragte alles, was ich bis zu dem Zeitpunkt gelesen hatte.
On the Road war das erste Buch, in dem ein Drogenrausch beschrieben wurde. Mich beruhigte die Tatsache, dass auch andere kifften und dann sogar noch Werke darüber verfassten. Schnell erkannte ich, dass der Erzähler Sal Paradise, in der Handlung ein Schriftsteller, den schwierigen, aber trotzdem magischen Dean Moriarty liebte. Ich sehnte mich nach einem Menschen in meinem Leben, der solch eine Magie ausstrahlte. Nachdem ich erst mal Dean Moriarty zu meinem Helden auserkoren hatte, überraschte mich nichts und niemand mehr. Alles schien möglich.
Durch dieses Buch inspiriert, wollte ich die USA von Küste zu Küste bereisen, immer weiter westwärts fahren, bis die Brandung des Pazifiks meine Knöchel umspülte. Ich wollte in zwielichtigen Kaschemmen mit durchgeknallten Typen kiffen, mich ohne Ziel treiben lassen, einfach die pure Lebenslust spüren und alles genießen, was ich sah und erlebte – und später dann nach Mexiko City fahren. In dem Buch wurde aus einer Reise durch die USA mit hoher Geschwindigkeit die Metapher für eine Reise ins Innerste der Psyche.
Bis zum heutige Tag gehört On the Road zu den wenigen Romanen, die ich von vorne bis hinten gelesen habe, ich hielt inne und machte weiter – drei Mal. Nach der Lektüre erkannte ich, dass ich ein „Beatnik“ bin. Oder, um genau zu sein, ganz nach dem Vorbild des Werks ein Beat werden wollte.
Jahre später erfuhr ich, dass die Figur des Dean Moriarty aus On the Road auf Neal Cassady basierte, dem Freund des Schriftstellers Ken Kesey, der den Bus der Merry Pranksters fuhr. (Die Pranksters waren eine Gruppe von Freigeistern und Suchenden, die sich 1960 um Kesey scharten.) Die Grateful Dead kannten Neal Cassady und hielten große Stücke auf ihn. In der Zukunft sollte ich mich also um eine Band kümmern, die tatsächlich einem meiner Helden begegnet war! Um mich frei entfalten zu können – und das wollte ich dringend –, musste ich die Schule aufgeben und verdammt noch mal aus Großbritannien verschwinden.
Die Aussicht, genau wie mein Vater ein Lohnsklave zu werden, erfüllte mich mit großer Angst. Soweit ich es einschätzen konnte, sahen die Lehrer in mir einen Handwerker mit großem Potenzial, vielleicht einen Klempner, der seinen Lebensunterhalt mit der Scheiße anderer verdient. Doch das wollte ich auf gar keinen Fall, vielen Dank auch! In bester Teenager-Manier suchte ich mit finsterem Blick nach Alternativen, die mir ein Leben mit einen Minimum an Arbeit ermöglichten. Tja, Lebensentwürfe, die sich auf Sex und Musik stützten, waren nicht allzu leicht zu finden, und so dachte ich an einen Job in der Unterhaltungsindustrie, denn dort gab es eben Sex und Musik – meine wichtigsten Freizeitbeschäftigungen – im Übermaß. Glaubte ich zumindest.
In der Musik, diesem schillernden Spektrum von heißen Gitarren bis zu glamourösen Frauen, lag meine Bestimmung, und dort wollte ich meine bislang unerkannten Talente verwirklichen. Das Musikgeschäft schien wie für mich gemacht zu sein. Das redete ich mir ständig ein. Dort schätzte man die Eigenschaften, mit denen ich glücklicherweise geboren wurde – natürliche Geschicklichkeit, genau die richtige Portion Charme, harte Eier wie die von King Kong, und Schultern breiter als die Strandpromenade in Brighton.
Allerdings gab ich schnell den Gedanken auf, ein Rockstar zu werden, denn das Ziel lag im Bereich des Unmöglichen. Nachdem ich einen flüchtigen Blick auf die Ansprüche des Musikbusiness geworfen hatte, merkte ich schnell, dass ich da nicht mithalten konnte. Ich war kein besonders talentierter Gitarrist und sah im herkömmlichen Sinne auch nicht gut genug aus. Außerdem wurde mir dieser Wunsch schon in einer Reihe der entsetzlichen Schulen wirkungsvoll „ausgeprügelt“.
Ich studierte die Rockstars der damaligen Ära, die überwiegend aus ärmlichen Verhältnissen stammten. Die meisten hatten vor ihrer Karriere ihre Brötchen als Straßenverkäufer, Hilfsarbeiter am Bau, Klempner oder im Straßenbau verdient, gehörten also nicht zu den Hellsten. Sie kamen, wie die Briten es so wunderschön ausdrücken, aus „bescheidenen Verhältnissen“. (Sie mögen am Anfang noch bescheiden gewesen sein, aber meine Güte, wenn sie erst auf der Bühne standen, war davon nicht mehr der leiseste Hauch zu spüren.) Diese Leute benötigten eindeutig einen fähigen Assistenten. Rockstars waren ja so zerbrechlich und sensibel – die armen Kerle –, und genau dort lag meine Chance. Ich wollte sie unterstützen und mich um sie kümmern, mit anderen Worten, eine „Nanny für Erwachsene“ werden. Die Grateful Dead machten Jahre später bei den Danksagungen für Workingman’s Dead eine treffende Anspielung auf meinen Job („Executive Nanny“).
Zu der Zeit war ich noch blauäugig und erkannte nicht, dass die Scheiße anderer Leute mein Leben auf eine albtraumhafte Art überschwemmen würde, noch lange nach der Schulzeit. Die Lehrer hatten mir ja unmissverständlich prophezeit, dass Scheiße meinen Job bestimmen werde! Als ich mich auf das Musikgeschäft einließ, wurden die Probleme der anderen unausweichlich zu meinen eigenen, was es das Sprichwort audrückte: „Es ist immer die gleiche Scheiße, nur mit anderen Fliegen!“ Außer ihnen die Ärsche abzuwischen und die Zähne zu putzen, habe ich wirklich alles für die Musiker gemacht. (Allerdings sollten Chrissie Hynde und Marianne Faithfull in Deutschland merken, dass ich eine deutliche Grenze ziehe. Ich werde niemals in einem fremden Land Hygieneprodukte für Frauen kaufen, wenn ich der Sprache nicht mächtig bin!)
Früher jedoch faszinierten mich all die Millionen Einzelheiten und Details, die man beachten musste, um ein erfolgreiches Konzert auf die Beine zu stellen. Dort – an vorderster Front – wollte ich mein Feldbett aufstellen und für eine erfolgreiche Produktion kämpfen. Schnell entwickelte ich in Bezug auf die Arbeit einen starken Realitätssinn, da vor allem die Musiker meist nicht wussten, auf welchem Planeten sie gerade schwebten, ganz davon abgesehen, was der Begriff „realistisch“ überhaupt bedeutet. Sie hatten sich diesen Job ausgesucht, um ihre Träume wahrzumachen und sich nicht mit den unbedeutenden Nichtigkeiten des ganz normalen Lebens rumzuschlagen. Ihre Devise lautete: „Die Realität ist was für Leute, die nicht mit Drogen umgehen können.“
Ich erreichte mein Ziel, wurde persönlicher Tourmanager und begleitete zwei der größten Bands aller Zeiten: die unsterblichen Rolling Stones aus Großbritannien, bei denen Keith („The Man That Death Forgot“) Richards den Ton angab, und die legendären Grateful Dead aus Kalifornien, bei denen ein eher langsamer und zögerlicher Jerry („The Tainted Saint“) Garcia den Weg wies. Ich bin der Einzige, der für beide Bands in dieser Funktion gearbeitet und trotz aller widrigen Umstände überlebt hat, um meine Geschichte zu erzählen. Man muss sicherlich nicht betonen, dass hier das launenhafte Schicksal eine wichtige Rolle spielte, aber Moment mal – ich erzähle jetzt schon zu viel.
3. No Direction Home
Nachdem ich die Schule verlassen hatte, flüchtete ich kurz nach Paris, in der Hoffnung, dass nun endlich mein aufregendes und ereignisreiches Leben beginnen werde. Doch ich erkrankte und musste nach Großbritannien zurückkehren.