Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten. Sam Cutler
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In Notting Hill konnte ich die Veränderungen hautnah miterleben. Die Menschen schienen diese grimmige Verdrossenheit abgelegt zu haben, mit der die Briten der Welt gegenübertreten. Auf den Londoner Häuserwänden tauchten merkwürdige Slogans auf: „Wenn Wahlen etwas veränderten, würde man sie sofort abschaffen.“ Oder: „Haschisch ist das neue Opium des Volkes.“
Scheinbar jeder diskutierte über radikale Alternativen zu den alten Systemen, junge Menschen beäugten die Musikindustrie mit Argwohn und spekulierten über einen neuen Ansatz. Wir hatten den Eindruck, dass das Musikbusiness nur von alten Säcken bestimmt wurde, die auf Fotos mit ihren dicken Zigarren arrogant posieren. Der Management-Ansatz von Larry Parnes/Tito Burns/Larry Parnell schien hoffnungslos überaltert zu sein, weil nur noch greise „Betonköpfe“ die Fäden zogen. Einige der alten Manager tricksten nicht nur mit dubiosen Geschäftsmethoden, sondern arbeiteten auf die gleiche Art und Weise wie schon seit Millionen von Jahren. Für uns waren das nur noch Fossilien.
Als naiv konnte uns niemand bezeichnen. Jeder wusste, dass einige dieser Typen die Künstler in jeglicher Hinsicht kontrollierten und nicht viel besser als sexuelle Raubtiere agierten. Ihnen lag viel daran, einen „Stall“ junger Männer als Stars aufzubauen und davon zu profitieren – in welcher Hinsicht auch immer. Wir fanden das alles hochverdächtig.
Eine Zeitlang bestimmten gut aussehende Jungs in Röhrenhosen mit ausgebeultem Schritt das Geschehen, die den Massen musikalische Pappgerichte servierten. Sie tauchten im Fernsehen auf, und ihre Platten schossen in die Charts. Wenn wir die „Künstler“ sahen, zogen alle verächtlich die Oberlippe hoch und kicherten: „Voll eins auf den Arsch, es trifft den Richtigen.“ Wir führten uns wie besserwisserische Lehrer auf, die den Dummen den Hintern verdreschen können.
All diese Papp- und Plastikmusik wirkte sich glücklicherweise nicht auf die Acts aus, die nach Alternativen suchten: Soft Machine, Pink Floyd und Arthur Brown, der Bandleader von The Crazy World of Arthur Brown. Diese Bands waren viel zu „far out“ für die alten Knacker, die das Musikbusiness leiteten. Sie hatten panische Angst, eine Beziehung zu diesen drogenschluckenden, langhaarigen Typen werde einen Hauch des Skandals in ihr sonst „grundanständiges“ und allgemein akzeptiertes Leben bringen.
Die alternative Musik benötigte zumindest zu Beginn ein alternatives Management, doch es dauerte nicht allzu lange, bis die Haie der Industrie ihre Zähne in einige der psychedelischen Bands schlugen. Glücklicherweise befand ich mich da schon in den USA und führte ein tolles Leben.
Die All Saints Church Hall, nahe der Westbourne Grove in Notting Hill, gehörte zu den ersten Orten, an denen die alternative Musikszene aufblühte. Dort spielten die Bands nur so aus Spaß, und die Zuschauer zahlten am Eingang einen beliebigen Betrag. Ich arbeitete dort umsonst und war zufrieden, wie all die anderen auch. Die All Saints Church Hall entwickelte sich in der Zeit ihres Bestehens zu einem legendären Veranstaltungsort. Musiker wie Arthur Brown und Charlie Watts traten dort vor einem aufnahmebereiten und zahlreich erschienenen Publikum auf. Ich freundete mich dort mit Nick Mason an, dem Schlagzeuger von Pink Floyd.
Ganz kurz glaubte ich, dass ich mich total in die Schwester der Frau verknallt hätte, die später Nick heiraten sollte, doch damals liebte ich eigentlich alle Mädchen, die sich in der Musikszene tummelten. Ein Hauch göttlicher Erhabenheit umgab sie, sie waren begehrenswert, und ich wollte mit allen ins Bett! Ich liebte die Liebe und musste nur noch herausfinden, was ich mit meinem Herzen anstelle.
Zu den Pink-Floyd-Konzerten erschienen regelmäßig die schärfsten Frauen, besonders als noch Syd Barrett, ihr erster Sänger und Frontmann, in der Band spielte. Wann immer ich Syd traf, der manchmal wie ein verängstigtes Reh in den Scheinwerfern eines Wagens aussah, wurde er von einer bezaubernden Dame begleitet, die wie eine Göttin durch den Raum schwebte. Wir freuten uns für ihn und sein Glück. Ich beobachtete, wie die „andersweltigen“ Frauen Syd ausnahmslos und ohne zu zögern ins Visier nahmen. Er schenkte ihnen wenig Aufmerksamkeit und war mit seinen launenhaften Stimmungsschwankungen beschäftigt, obwohl er ihrer Fürsorge bedurfte. Syd wirkte wie ein Kind, und wir nannten ihn eher abfällig einen „Space Cadet“. Ich zweifelte, ob dieser Mann sich einen Toast zubereiten konnte, doch als ich ihn zuerst kennenlernte, merkte ich schnell, was für ein guter Gitarrist er war. Wenn die Band an neuem Material arbeitete, rief er ihnen die Akkordwechsel zu.
Ohne Zweifel war Syd der erste, wenn auch eher schüchterne und vorsichtige Star der Psychedelic-Szene Großbritanniens. Ihn umgab eine merkwürdige Fremdartigkeit. Oft beschäftige er sich mit den unbedeutendsten Dingen, starrte wie ein Besessener auf belanglose Gegenstände. „Der ist total durchgeknallt“, meinte meine damalige Freundin, und die musste es wissen, denn sie wohnte in Kingsley Hall und wurde von Ronnie Lang behandelt wurde, dem weltbekannten Psychiater und Experten auf dem Gebiet der psychischen Störungen und Krankheiten. Verrückt oder nicht, Syd konnte wenigstens seine Gitarre stimmen, obwohl er manchmal vergaß, das verdammte Ding zu spielen.
Freunde erzählten mir die Geschichte von einer gemeinsamen Autofahrt aufs Land. Syd hielt plötzlich an und latschte einfach weg. Als meine Kumpels kapierten, was da vor sich ging, konnten sie Syd nicht mehr finden und mussten sich auch auf den Fußmarsch begeben, weil er die Autoschlüssel mitgenommen hatte. Als sie ihn das nächste Mal trafen, erinnerte er sich gar nicht mehr an die Fahrt.
Niemand wollte Syd hart rannehmen und ihm gehörig die Meinung sagen, weil er überhaupt nicht wusste, was vor sich ging. Er war unschuldig wie ein Kind. Die Mädchen taten ihr Möglichstes, ihn zu umsorgen und zu beschützen, bis zum Zeitpunkt, an dem er sich völlig in sein Innerstes verkrochen hatte und ihm niemand mehr helfen konnte.
Die anderen Musiker von Pink Floyd verhielten sich unter den gegebenen Umständen ungewöhnlich nett gegenüber ihrem Bandkollegen. Aus einem einstmals klaren und strahlenden Diamanten war eine stumpfe, durch Drogen vernebelte Persiflage des früheren Ich geworden. Jeder empfand das als zutiefst traurig und bewegend, doch niemandem gelang es, ihm zu helfen, obwohl viele es versuchten.
Meine quirlige und wunderbare Freundin hatte mich auf die All Saints Hall gebracht. Ich liebte den Ort und lud meinen Freund Ron Geesin ein, damit er die Szene dort erleben konnte. Ron und ich trafen uns bei einem gemeinsamen Kumpel und freundeten uns sofort an, was wohl daran gelegen haben mag, dass ich seine Musik mochte, eine abgefahrene Art und Weise der Vertonung des „Theaters der Grausamkeit“. Er gehörte zu den angesagten Typen.
Ron war ein geschickter, klassisch ausgebildeter Musiker, doch sein persönlicher Geschmack führte ihn zu höchst ungewöhnlichen Instrumenten und bizarren Klangeffekten, die er mit absurden Texten krönte und mit einem unverständlichen schottischen Akzent vortrug. Die Klangkaskaden wirkten auf die Zuhörer beängstigend und beunruhigend. Er spielte Klavier mit der Leidenschaft eines Wahnsinnigen Es war eine Erfahrung der ganz besonderen Art, seine Vision der Entfremdung vom Herkömmlichen zu erleben. Man erstarrte fast vor Furcht. Trotzdem war Ron einer der geselligsten Menschen, und nachdem ihn die Musiker von Pink Floyd näher kennengelernt hatten, mochten sie ihn wegen seiner außergewöhnlichen Exzentrik. Uns verband eine enge Freundschaft.
Ron nahm keine Drogen, schlug sogar einen Joint aus, doch konnte sich trotzdem auf die Musik von Floyd einlassen. Schon bald schloss er Freundschaft mit dem Keyboarder Rick Wright und dem Bassisten Roger Waters. Ron spielte eine wichtige Rolle, denn er transzendierte und öffnete den musikalischen Ansatz der Band. Sein Einfluss kann auf der ersten LP The Piper At The Gates Of Dawn (1967) über Dark Side Of The Moon (1973), Animals (1977) bis hin zu The Wall (1979) wahrgenommen werden. The Wall wird zwar offiziell Roger Waters und Floyd