Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban
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Mum planschte wie ein Kind im Wasser. Das feuchte Haar hing strähnig in ihrem Gesicht. Das hysterische Gelächter brannte sich in meine Ohren ein, und ich konnte ihre Fahne riechen. Karl rutschte in der Dusche aus. Meine zitternden Hände schossen in das brühende Wasser, um den Goldfisch zu retten, der gefährlich nahe am Abfluss schwamm, doch der Fisch glitt mir durch die Finger. Karls klobige Schuhe zerquetschten einen anderen. Mir blieb die Luft weg. Bewegungslos verharrte ich in dem Nebel. Das Wasser der Dusche prasselte auf meinen Kopf. Ich empfand die Schmerzen, die das kochende Wasser verursachte, als Erleichterung und stand nur wenige Zentimeter von Karl entfernt, dessen Glasauge einem Reptil ähnelte. Mum hielt eine Scherbe des zerborstenen Terrariums vor das Gesicht und blinzelte.
Meine Gartenschlangen glitten über die Fliesen. Eine fiel ins Klo. Die Schildkröte, die Mum in der Hand hielt, ruderte hilflos mit den Füßchen und schnappte mit dem Maul. Karl ging in die Hocke und verbrühte meine Einsiedlerkrebse. Das Chamäleon versteckte sich panisch unter einem Haufen Handtücher. Die Farbe des Schwanzes und des Körpers verwandelten sich schnell in einen ungesunden Braunton. Kaltblüter reagieren schnell in artfremden Umgebungen.
Ich fühlte nackte Wut, konnte Karl nicht mehr sehen, sondern nur noch eine rote Farbe, die mein Gesichtsfeld verengte. Ein scharfer Schmerz schoss mir in den Kopf, als hätte mir eine Axt den Schädel gespalten. Dieses widerliche Arschloch Karl wusch meine Tiere, Wesen, die ich liebte. Ich hatte schon früh gelernt, mich nie zu fest an etwas zu binden, das ich liebte, und hatte gelernt, dass der Tod wie ein Blitz schnell und plötzlich in das Leben einschlagen konnte.
Mum stand unter dem Duschstrahl und sagte ganz leise: „Terrible ist tot.“
Zuerst konnte ich das nicht glauben. Terrible Tony hatte sich schon an das Sterben gewöhnt. Er war mehr als der engste Freund meiner Mutter, fast schon ein Teil der Einrichtung, ein dunkler Punkt in unserem Leben. Einst ein Pagan mit Leib und Seele, war Tony über die Jahre zu einem Schatten seiner Selbst degeneriert. Mit zehn Jahren wurde ich Zeuge seines ersten Todes. Er lag auf Grund eines Herzversagens regungslos in sich zusammen gesunken in unserem Wohnzimmer. Ich öffnete seine Brieftasche. Für 200 Dollar konnte man eine Menge Lebensmittel kaufen. Und es war nicht so, als würde er die Kohle vermissen! Wer konnte schon ahnen, dass er sich wieder erholen würde? Dem Tod knapp entronnen, nahm er sich vor, künftig besser vorbereitet zu sein. Er packte sich einen Seesack voller Gegenstände für sein Begräbnis – seine Clubabzeichen, zusammengerollt und mit Gummibändchen verpackt, seine Clubringe, den Totenkopfstock und – besonders wichtig – die Geldbörse, in der ein Zettel mit allen Telefonnummern der Pagans steckte. Nur für den Fall. Terrible überreichte den Sack meiner Muter mit der nachdrücklichen Anweisung, ihn an einem sicheren Ort aufzubewahren. Er wünschte sich eine Feuerbestattung und wollte dabei ein T-Shirt mit dem Abzeichen der Pagans tragen.
„Crackers fand ihn. Sie wollte ihn besuchen, um einfach mal nach ihm zu sehen. Er hatte einen Schlaganfall, fiel auf den Glastisch und verblutete“, erzählte Mum mit emotionsloser Stimme, als würde sie von einem Partybesuch berichten. Terrible wurde nur 41 Jahre alt. Die Pagans traf die Nachricht seines Todes wie eine gigantische Welle des Entsetzens.
Vor der Bestattung besuchte ich das Grab meines Onkels Russell. Bei den Bikern lautete sein Spitzname Dead, was aus der Retrospektive passend erschien. Kopflose Azaleen lagen verstreut auf seiner letzten Ruhestätte. Ich schmiss einige Zehn-Cent-Stücke auf den Grabstein, eine Erinnerung an die Zeit, in der er an Mautstellen um Geld bettelte. Die Gedanken an Dead weckten Erinnerungen an meinen Vater, der in seinem Leben ganze drei Stunden mit mir verbracht hatte und das auch nur, weil er etwas wollte. Wir führten keine Beziehung, es fand lediglich ein Austausch statt, ein Augenblick, der Mangy nutzte, nicht uns. Wenn ich an ihn denke, fallen mir seine Besitztümer ein: Pelze, teure schwarze Schuhe, glänzende Ledergarnituren, und mit Öl verschmierte Kristallschalen voller PCP. Sein Schlafzimmer glich einem Waffenarsenal voller modifizierter Knarren mit gefälschten Seriennummern.
Mangy verschob wöchentlich ein Pfund Methamphetamin und kontrollierte eins der größten Drogenkartelle an der Ostküste, doch für mich war er nicht mehr als ein mieser, hinterhältiger Dealer, dessen Familie in die Ecke gedrückt wurde und einer dahin gekritzelten Randnotiz glich. Sein Netzwerk zog sich durch Pennsylvania, New York, New Jersey, Delaware, Maryland, Virginia, West Virginia und North Carolina. In Bezug auf die Größe kamen die Pagans gleich hinter den Outlaws, den Hells Angels und den Bandidos. Doch das beeindruckte mich nicht.
„Er war ein Blender“, erklärte mir Saint, während Mangy das RICO-Verfahren über sich ergehen lassen musste. „Das Arschloch sagte aus, dass er sich seine Mitgliedschaft im Mutter-Club mit 10.000 Dollar erkauft hatte. Und dann kaufte er sich aus dem Gefängnis frei.“
Dieser Wichser saß nur zwölf Jahre ab. Er hätte eigentlich eine lebenslange Haftstrafe bekommen müssen. Aber es war nicht die Länge der Zeit, die Mangy im Knast verbrachte, es war seine Grundeinstellung, die mich ankotzte. Mit dem Charme eines Soziopathen hätte Mangy genauso gut Möbel statt Drogen verkaufen können. Ich stellte mir das Arschloch in Knastprogrammen vor, wie er seine Bildung verbesserte, Kurse in Psychologie, Soziologie und Kriminologie belegte, nur damit er die notwendigen Worthülsen drauf hatte, um die leichtgläubigen psychologischen Betreuer von seiner „Rehabilitation“, seiner „Wiedergeburt“ zu überzeugen. Dass er eine zweite Chance verdiente und so weiter. An seinen Händen klebte nie Blut, er arbeitete nie für den Club, zumindest nicht mit dem gleichen Einsatz wie Saint, Terrible oder ein anderer Mentor von mir. Mangy mochte das Rechtssystem austricksen, aber für mich blieb er immer schuldig, schuldig, schuldig. Nutze deine Zeit oder die Zeit benutzt dich! Niemals erschienen mir die Worte von Saint wahrer zu sein.
„Es gibt Gangster und es gibt Sonntagsgangster“, erklärte mir Saint eines Abends beim Essen im Melrose Diner. „Mangy war ein beschissener Sonntagsgangster, ein Möchtegern-Gangster, der mit der Mafia abhing, aber nie dazu gehörte. Er verstand die Kriminellen nicht, wusste nichts von den wahren Ganoven, die noch bei ihren Müttern leben mussten, weil sie sich die Miete nicht leisten konnten, oder Motorradteile klauten, weil sie Drogen brauchten oder Miezen auf den Strich schicken, um andere abzuzocken. Mangy traf niemals einen der wichtigen Bosse. Die machen nämlich das große Geld. Das waren die ausgebufften Typen. Sie mieteten sich die Ganoven, damit die die Drecksarbeit für sie erledigen.“
Terrible war kein Sonntagsgangster. Er hatte sich seinen Spitznamen redlich verdient. In seiner „Blütezeit“ erschoss er Leute oder schlitzte sie auf, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. Als er nicht mehr gehen oder Bike fahren konnte, bastelte er sich einen Totenkopfstock aus einem Eispickel.
„Man merkte nie, wenn er sich von hinten anschlich“, bemerkte Saint.
Das stimmte. Einmal wurde der Tattoo-Shop von Saint das zufällige Ziel einer Ballerei. Terrible saß im Stuhl, die Hände auf seinen Stock gestützt, während die Kugeln um ihn herum flogen. Einige davon schlugen in die Wand knapp über seinem Kopf ein. Saint spachtelte die Löcher nie zu. Sie stellten eine Art Tribut an Terribles verrückten Mut dar.
Abgesehen von Onkel Russell war es das erste Mal, dass ich wirklich jemanden vermisste – und ich vermisste Terrible, weil er etwas präsentierte: Weihnachten. Geschenke spielten an diesen Festtagen keine Rolle, denn niemand schenkte mir was. Allerdings stand ich einen herrlich langen Tag im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wir telefonierten ein oder zwei Minuten mit Leuten, einfach nur um ihnen zu zeigen, dass es andere Menschen in dieser Welt gab, denen sie etwas bedeuteten. Vor meinem geistigen Auge kann ich immer noch Terrible sehen, sein Gesicht vom goldenen Schein