Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban
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„Nichts drin.“ Dagger schüttelte den Kopf.
Saint wirkte gleichgültig. „Vielleicht hat der alte Mann doch die Wahrheit gesagt?“
Auf der Atco-Rennstrecke musste Dagger es mit „zivilisierten“ Profis aufnehmen. Ohne Hemd, aber mit seiner Kutte, raste er über die dreckigen Buckel, und sah dabei eher aus wie ein Dämon, statt wie ein Motorradfahrer. Ein leichter Nieselregen dämpfte die Stimmung der Menge, die größtenteils aus Pagans und Zuschauern aus der Stadt bestand. Die Luft schien vor Spannung und Donner zu vibrieren. Die Pagans formten eine menschliche Wand auf der Zuschauertribüne, standen Schulter an Schulter und hatten ihren Spaß über die Abneigung und den Schock, den sie bei den anderen auslösten. Die Kinder wichen zurück und auch die Frauen verdrückten sich. Die Biker fanden das lustig. Sie prahlten mit den Tattoos, rempelten die Leute aus Lust und Laune an und zetteltenen ohne jeglichen Grund Schlägereien an.
Ich verschlang meinen vierten Hot Dog innerhalb einer Stunde und stellte mich wieder bei der Imbissbude in die Schlange. Durch den Geruch des Bratfetts bekam ich noch mehr Appetit. Schon seit Tagen hatte ich nicht mehr so viel gegessen, und deshalb interessierten mich das Rennen und der Wettstreit nicht die Bohne. Die Rennfahrer ließen die Motoren aufheulen. Aus der Ferne wirkten sie in den eng geschnittenen Lederanzügen, den dazu passenden Helmen und den angehefteten Plastiknummern wie ein überdimensionales Farbknäuel. Die Plakate der Sponsoren flatterten im Wind – „Nur die Geschwindigkeit zählt“. Aus den Lautsprechern hallten laute Ansagen. Überall herrschte geschäftiges Treiben. Cheese, der hinter mit stand, stieß mich an. Er öffnete seinen Trenchcoat und zeigte mir das Arsenal von Deodorantdosen. Er winkte mir zu und meinte: „Pass auf.“
„Hier stinkt aber einer.“ Er verzog die Nase. Links von mir machte sich ein Mitglied der Breed kampfbereit. Die Pagans und die Breed hassten sich, denn ihr Club hatte einen von uns umgebracht.
„Nachdem Storm Cloud starb“, erklärte Cheese, „haben die Pagans ein Mitglied der Breed gekidnappt, es in einen Teppich eingerollt, mit Benzin übergossen und angesteckt. Dann schnappten wir uns das Abzeichen der Breed.“
Dadurch wurde nichts bereinigt, aber das war auch egal. Es fielen keine Worte, nur Grunzen, was sich ständig wiederholte, wie ein archaisches Gestammel. Doch irgendwie fühlten sie sich hinterher besser. Cheese sprühte mit der Deodorant-„Knarre“ so wild durch die Gegend, dass seine Finger vom Druck taub wurden. Der Regen hatte zugenommen und ich begann zu frieren. Der Chemienebel des Deodorants stach in meine Augen. Der Typ von den Breed hielt sich die Hände vor das schmerzverzerrte Gesicht. Er schrie gequält und rempelte mich an. Ich roch seinen Angstschweiß. Cheese stand hinter mir und lachte sich kaputt, denn für ihn stellte das nur eine weitere lustige Episode dar. Mir hingegen war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich verstand nicht, was das sollte, aber damals konnte ich das noch nicht aus einer nüchternen Perspektive beurteilen. Rache für den Mord an Storm Cloud? Auf den Hügeln blitzten die Taschenlampen der Bullen wie böse, rote Augen auf. Als sie ankamen, um den Streit zu schlichten, erinnerte sich keiner der Biker mehr an Details.
Die Flammen des Barbecues schlugen höher und der Geruch von angekokeltem Fleisch zog durch die Luft. Überall lagen Decken herum, auf denen sich Mütter und ihre Kinder das Picknick schmecken ließen. Einige Pagans waren auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen, legten sich unter die geparkten Autos und dösten. Ich flitzte überall herum, machte mich als Laufbursche der Biker nützlich, holte Wasser für die Maschinen und hörte Saint aufmerksam zu, der über die Vorzüge eines Axtgriffs palaverte. Das gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Allerdings schmerzten mir auch die Beine. Bei Partys konnte ich in punkto Durchhaltevermögen mit den Pagans nicht mithalten. Mit zwölf musste ich hart kämpfen, um einen halbwegs klaren Blick in einem Nebel von Alkohol und Gras zu behalten. Mein Kopf pochte und der Alk lief viel zu schnell die Kehle runter. Ich war noch ein Kind, aber die Pagans merkten das nicht. Vielleicht wollte ich genau das?
„Hey Kleiner, komm mal rüber.“ Redneck kam auf mich zu. Er war ein großer, muskulöser und untersetzter Pagan mit geröteten Wangen und blondrotem Haar, das er zu einem schmierigen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Er ähnelte einem aufgeblasenen Ballon, in eine Jeans gequetscht. Redneck hielt außerhalb eines weißen Vans Wache. Seine mit Blech beschlagenen und durch Stahlsohlen verstärkten Stiefel klackten aneinander. Ein Eispickel und eine Kette hingen an seinem Gürtel. Wie die meisten Pagans trug er ein Tattoo-Hemd, was heißt, dass seine Arme von oben bis unten mit Bildern bedeckt waren. Ich gehorchte, denn das wurde von mir erwartet. Man konnte mich für fast alles gebrauchen. Was auch immer die Pagans benötigten – ich sprang und besorgte es ihnen.
Die Tür des Vans öffnete sich. Ich kletterte in den dunklen Innenraum, dann schloss sich die Tür wieder mit einem lauten Klicken. Als sich meine Augen noch nicht an den vollgestopften Raum gewöhnt hatten, fasste mir eine Hand mit lackierten Fingernägeln in den Schritt. Ein schimmliger Teppich lag in der Mitte ausgebreitet. Die bequemen Van-Sitze waren gegen grobe Holzbänke ausgetauscht worden, und drei Zuschauer starrten mich regungslos an.
Eine Frau zog den Reisverschluss meiner Jeans langsam runter, die Jeans, die ich seit sieben Tagen trug. Ihre Haare kitzelten die Innenseiten meiner Schenkel. Sie drückte mich auf den Boden und hielt mich an den Schultern fest. Ich hörte ein bekanntes Kichern. Cheese! Was machte der denn hier? Zähne blitzten auf. Ich konnte mein Spiegelbild in seiner dicken Brille erkennen, meine Augen groß wie ein panisches Reh, in einem dunklen Wald in die Enge getrieben, auf den Durchschlag der Kugel wartend. Cheese war nicht hier, um mich zu retten – er wollte mich anfeuern und mich bei der bevorstehenden Aktion unterstützen. Diverse Gerüche übermannten mich: Nasse Socken, Pisse und Schweiß. Fliegen krochen durch mein Haar. Die Frau umfasste meinen Schwanz mit dem Mund, lutschte sanft, dann härter und schneller, bis ihr Kopf in einem harten Rhythmus auf meinen Bauch schlug. Unter Schmerzen explodierte der weiße Saft auf dem Bauch. Um mich herum klatschten sie Beifall. Wie durch einen Nebel nahm ich den hohlen Applaus wahr. Ich fühlte mich benommen, als sich meine Augen der Dunkelheit anpassten. Andere Typen hatten schon die Hosen runtergelassen und warteten darauf, dass sie an die Reihe kamen. Ein Klopfen an der Tür. Es war Mum, die heulte.
„Das hast du gut gemacht, Kleiner.“ Ich erkannte die Stimme von Salt Lick Cherie. Die Frau leckte sich die Finger ab, winkte mir zu und flüsterte: „Lutschen und ficken – darum dreht sich alles.“
Später, in der Stille meines Zimmers, begann ich zu zittern. Keine Tränen, nur ein Versuch sich gegen das Geschehene zu wehren. Vergewaltigung, wie auch der Tod – das geschah doch nur anderen Leuten, nicht Zwölfjährigen und nicht Jungen! Jungen wurden nicht von einer Hure vergewaltigt, während die eigene Mutter hilflos draußen steht! Mein Brustkorb tat weh und ein pochender Schmerz quälte meine Schläfen. Ich brauchte Ablenkung, etwas, das mich vergessen ließ, mir eine andere Wirklichkeit vortäuschte und das Hässliche in meinem Leben verdrängte. Weil ich diesen Scheiß einfach nicht mehr ertragen konnte. Es war einfach zu hart. Ich hielt das nicht mehr aus. Ich war ein gutes Kind – ein gutes Kind – ein Kind! Ich verschloss die Tür, rauchte, bis ich high war, und tauchte erst Tage später auf, groggy und hungrig, nur noch Rache im Sinn.
Pagans auf einer Tour.
Saint auf seinem