Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban
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Meist versuchten die Bullen, alle nur erdenklichen Informationen über die Pagans zu sammeln, und hofften, ihnen nachzuweisen, dass sie im großen Stil am organisierten Verbrechen beteiligt waren. Natürlich ließen sie sich nicht die Chance entgehen, einen Biker wegen Trunkenheit, ungehörigen Benehmens oder Besitzes von illegalen Drogen zu verhaften.
Aber die Pagans waren auf der Hut und verwischten ihre Spuren. Manchmal provozierten sie die Bullen, indem sie beim Pizzaservice anriefen und Bestellungen aufgaben, die dann an die Streifenwagen ausgeliefert wurden. Oft besprühten sie auch die Schilder der Freeway-Ausfahrten mit dem Hinweis: POP – THIS WAY. Die Pagans benutzten mich als ihren Scout, Sündenbock und Lockvogel.
Nachts erklang überall das Geräusch von tuckernden Harleys, heulenden Frauen, zerbrechendem Glas und umfallenden Bierkästen. Auf der Bühne wurde Wein verschüttet, der die Bretter blutrot färbte. Lagerfeuer erleuchteten die Dunkelheit. Die Flammen umspielten die oberen Äste der umsäumenden Bäume. Es bot sich ein Bild von dreckigen Bärten, schmierigen Pferdeschwänzen, ärmellosen Jeans-Kutten und Hakenkreuzen. Auf den dicken Armen der Biker konnte man die Tätowierung „Pagans“ erkennen. Von einer notdürftig zusammengeschusterten Bühne schoss ein goldenes Stroboskoplicht in den Dreck. Rock Star und seine Band Classic drückten einen pulsierenden Beat durch die Boxen, der so laut war, dass mein Trommelfell schmerzte.
Anwärter für die Pagans drückten ihre Zigarettenstummel durch die ausgeschnittenen Augen des Feuergottes Dark Zurt, den man auf ein großes Pappschild gemalt hatte. Bier, Cola, Marihuana, LSD, Ecstasy und Benzedrin gab es im Überfluss. Unbekannte Frauen marschierten an mir vorbei, mit der Aufschrift „Besitz von Mangy“ auf dem T-Shirt. Es schien egal zu sein, ob mein Vater im Knast hockte. Er hatte seine Arbeitstiere, je attraktiver, desto nützlicher und profitabler.
Mitten auf der Bühne räkelte sich eine spindeldürre blonde Mieze provokativ zur Musik und begann einen Striptease hinzulegen. Die ausgezogenen Klamotten warf sie in die Meute geifernder Wölfe. Es war Salt Lick Cherie. Gerüchten zufolge lag ihr persönlicher Rekord bei 50 Männern an einem Abend. Plötzlich stand sie völlig nackt da. Der G-String war vor wenigen Sekunden gefallen, und jetzt schob sie sich eine Maglite-Taschenlampe zwischen die Beine. Dann kroch sie wie eine Albino-Spinne auf dem Rücken über das splitterige Holz, spreizte die Schenkel und ließ die Taschenlampe wie ein zwinkerndes Auge aufblinken. Die Biker drängelten sich um sie, vergossen Bier, tobten vor Begeisterung und klatschten Beifall, die Hände zum Himmel ausgestreckt. Einer vergrub sein Gesicht zwischen ihren Beinen und zog die Taschenlampe mit seinen Zähnen raus. Der Applaus steigerte sich zu einem Tosen.
Ich musste kämpfen, um meine Fassung zu bewahren, denn jetzt ließen sie die Hosen fallen und bestiegen sie, manchmal zwei oder drei gleichzeitig. Ohne zu protestieren machte sie mit, zuckte und stöhnte, steigerte sich in eine Orgie hinein, eine Freiwillige, die ihre Hemmungslosigkeit zelebrierte. Mit der Zunge benetzte sie lustvoll ihre Lippen. Mein Kopf fühlte sich merkwürdig blutleer an.
Was für eine Ironie, dass die meisten Frauen, die mit den Pagans Partys feierten, tagsüber angesehenen Jobs nachgingen, bei Versicherungen oder sogar in Anwaltskanzleien arbeiteten. Wenn es dunkel wurde, verwandelten sie sich wie Monster in ihr Alter Ego, tauschten die konservative Kleidung gegen hautenge Jeans und nuttige Blusen ein, um den Kick von ungezügeltem und hartem Sex zu erleben. Für sie waren die Pagans nur eine Kuriosität, eine Freakshow auf dem Rummelplatz, und nach einer Weile konnte niemand mehr sagen, wer hier denn wen ausnutzte. Doch nicht alle Frauen führten ein Doppelleben. Einige saßen in ihrem eigenen Gefängnis fest. Sie waren vor ihren Vätern oder Onkeln geflüchtet, die sie vergewaltigt hatten, oder vor Müttern, die zu Süchtigen oder Prostituierten geworden waren. Die Ausreißerinnen strippten für Geld und Drogen, streckten den Stoff mit Chemikalien, in der Hoffnung, die Alpträume ihrer Kindheit für kurze Zeit zu vernebeln, bis dann schließlich doch die brutale Realität die Oberhand gewann. Wenn die Mädchen auf Entzug waren, packten ihre durchgeknallten Freunde die mit Narben übersäten Arme und injizierten ihnen einen Schuss Heroin. Der Zyklus wiederholte sich und jedes High riss sie danach noch tiefer in die Dunkelheit.
Einige der Frauen unterhielten sich mit mir. Vielleicht amüsierte ich sie. Vielleicht empfanden sie aber auch einfach nur Mitleid. Sie hatten sich dieses Leben nicht ausgesucht, sondern bereits aufgegeben und sich dem Schicksal gefügt. Vielleicht war das leichter als sich einem unerbittlichen Überlebenskampf zu stellen. Möglicherweise glaubten sie auch, dass sie eine Bestrafung verdient hätten. Man konnte sie nicht mit den anderen Frauen vergleichen, die ihre wohlbehüteten Familien und sicheren Jobs für eine Nacht voller Sex verließen, nur um am nächsten Tag wieder zum Alltag überzugehen und delikate Storys erzählen zu können. Diese Frauen hier verbüßten eine lebenslange Haftstrafe.
Ich schloss die Augen. Mir war schwindlig vom Gras. Die Geräusche um mich herum wurden immer lauter. In meiner Vorstellung verformten sich die Körper zu Fleischklumpen, die sich zusammenballten und Salt Lick Cherie zerquetschten, bis sie keine Frau mehr zu sein schien, sondern ein missgestaltetes Zirkusmonster. Ich öffnete die Augen und sah die Typen, die darauf warteten Salt Lick Cherie zu ficken. Sie ließen Halluzinogene herumgehen, als wären das kleine Partymitbringsel – Acid, Meskalin und PCP, ein Tranquilizer, der ein Pferd umhauen kann und Muskelspasmen und verängstigende Visionen verursacht. Als wäre die Vorstellung, es mit Salt Lick Cherie zu treiben, nicht schon grotesk genug. Mittlerweile loderten die Feuer hell in den Himmel.
Ich zog das Kiffen vor, in der Hoffnung schnell einzuschlafen. Mit angezogenen Beinen, die mir wie ein Ball in den Magen drückten, ließ ich mich einen grasbewachsenen Hügel hinunter rollen. Die Musik von Rock Star und seiner Band hämmerte in meinem Schädel, laut und sich unaufhörlich steigernd, wie ein lang gezogener Schrei. Die Stimme des Sängers schien sich in den Bäumen zu verirren. Ich fühlte nichts mehr, bis auf einen kühlen Luftzug und das nasse Gras in meinem Gesicht. Eine Ackerfurche im Feld stoppte die Rollpartie. Mein Körper war so entspannt, so leicht, dass ich weder Arme noch Beine bewegen konnte, aber mich quälte ein lähmender Kopfschmerz. Auch wenn mich hier tagelang niemand fände, würde es mir gut gehen – sicher umhüllt von meiner eigenen Dunkelheit.
Am nächsten Morgen erinnerten die umliegenden Wiesen an ein gigantisches Schlachtfeld. Ein paar Pagans schliefen in ihren Kutten, mit den Flaggen der Pagans als Kopfkissen und Erkennungszeichen, denn das Club-Gesetz schrieb vor, dass Außenseiter nicht in den Westen des Clubs übernachten durften. Zerschlagene Bierflaschen und zerknüllte Dosen vermüllten die Hügel. Aus der Ferne hörte man das klagende Spiel einer Mundharmonika.
Ich fröstelte. Vom Tau des Grases war meine Hose völlig klamm. Über der Bühne breitete sich eine unheimliche Ruhe aus, die nichts von der Action der vergangenen Nacht erahnen ließ. Salt Lick Cherie lag zusammen gerollt und nackt auf den Brettern, wie ein Fötus. Ihr blondes Haar hing wie ein Schild vor dem Gesicht. Rock Star döste vor sich hin, mit der Gitarre in seinem Schoß. Die Sonne tauchte die Hügel in gleißendes Licht. Ich hörte das Heulen von Motorrädern. Bald würden die Bullen eintreffen. Es war höchste Zeit in die Gänge zu kommen.
Später am Morgen stieg ich auf den Rücksitz der Harley des Club-Präsidenten Jerry Fox, dem jemand den Spitznamen Slowe Poke gegeben hatte. Wir machten uns in Richtung Atco Speedway auf. Die Geschwindigkeit verwandelte die Welt um mich herum in ein langes Band aus formlosen Farben. Die Lichter in der Stadt flackerten wie Kerzen. Die Gebäude schienen flacher zu werden, und leuchtende Glocken glitzerten wie Goldstaub. Die Straße wirkte wie eine lange, schwarze Zunge voller Risse, Schlaglöcher und hektischer Fußgänger. Neben mir verschwommen die Autos, und die Insassen machten den Eindruck, als würden sie durch das Glas erstickt. Ich hielt die Hände in den feuchten Fahrtwind, legte mich mit in die Kurven, wobei der Nieselregen auf meine Wangen prasselte. In einer Biegung brach das