Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban страница 4
Ich öffnete ein Fenster und spürte, wie mir der kalte Wind ins Gesicht schlug. Es war noch früh am Morgen, und der Himmel war bedeckt. Ich hatte versprochen, meine Mutter an Nachmittag abzuholen. Ich ließ mich auf die Knie fallen und schrubbte wie ein Wahnsinniger den Boden mit der Bleiche, wobei sich die Farbe von Mattbraun in Elfenbein veränderte. Der Schweiß lief mir von der Stirn und stach in meinen Augen. Ich arbeitete bis meine Hände wund wurden, stand auf, ging zur Arbeitsplatte und träufelte noch mehr Bleiche auf den Lappen. Das matte Licht am Himmel verdunkelte sich und schien heftigen Schneefall anzukündigen. Ich leerte einen weiteren Müllbeutel und streckte mich, da ich nun schon seit Stunden am Arbeiten war und mein ganzer Körper schmerzte. Doch der Schmerz gab mir ein gutes Gefühl und erinnerte mich an meine Lebendigkeit. Das war etwas ganz Besonderes – sich lebendig zu fühlen.
„Das riecht hier gut“, meinte Chuck, wobei er doch noch seinen Kopf erhob.
„Meinst du, es wird ihr gefallen?“, hakte ich nach.
„Es wird ihr noch nicht mal auffallen.“
Am Anfang fließt immer Blut …
und dann liegen da Leichen.
Der Regen prasselte auf die Straßen vor unserem Haus in Upper Darby, ein Block südlich der Linden Avenue, in einer hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Siedlung, in der einst der Pagan Motorrad Club sein Regime führte. Die Medien berichteten über die Nähe des Clubs zur Cosa Nostra und beschrieben die Pagans als „die wildeste Outlaw-Biker-Gang mit 900 Mitgliedern in 44 Chapters zwischen New York und Florida“. Nach Aussagen der American Motorcycle Association (AMA) stellten die 1959 gegründeten Pagans das eine Prozent der amerikanischen Biker dar, die angeblich für 99 Prozent aller Verbrechen verantwortlich waren, die von Motorradfahrern begangen wurden. Aber wahre Outlaws mussten nicht unbedingt Kriminelle sein. Man kann sie auch, so ironisch das klingen mag, als Konformisten bezeichnen, ein Club von Missgeburten, der seinem eigenen Ethik-, Kleidungs-, und Verhaltenskodex folgt.
Sommer 1985. Ich war acht Jahre alt und trug meine wenigen Habseligkeiten in einer Plastiktüte aus dem Supermarkt – meine Sammlung gestohlener Baseball-Kappen, eine zerbeulte Nachbildung der Freiheitsglocke von einem Schulausflug und einen Zeitungsausschnitt von der Vorderseite des Philadelphia Inquirer. Die Überschrift warnte: „Die neuen Pagans – die Macht der Angst.“ Auf dem Foto sah man meine Mutter, die rittlings auf dem Rücken von Egyptian saß, dem neuen Präsidenten des Clubs. Ich hatte den Papierfetzen behalten, nicht weil ich stolz darauf war, sondern weil ich mich deswegen schämte. Einen Tag, bevor das Foto geschossen wurde, hielt ich eine Spielzeugpistole mit einem Gummipfropf vor das Gesicht von Mum und drückte den Abzug. Ihr Auge schwoll tief blau an. Das Bild schien eine angemessene Bestrafung für mich zu sein.
Man hatte uns gerade gekündigt. Ich schlenderte unsicher über den Gehweg, fühlte mich mies und hörte das Getuschel eines Nachbarn, eines Bullen der Polizei von Philadelphia, der seinen Sohn warnte, sich „von diesem Kind der Pagans fernzuhalten“. Mein Vater Mangy, der Ex-Präsident der Pagans, war wegen Drogengeschäften eingekerkert worden. Finanziell ging es bergab und das Almosen, das der Club meiner Mutter zukommen ließ, stellte sich als Falschgeld heraus. Mum verkaufte unseren ganzen Besitz – Motorradteile, Möbel, künstliche Pelze und Drogen. Aber es reichte immer noch nicht. Ich starrte sie an. Sie stand in einer Pfütze auf der Straße und sah wie eine nasse Spielzeugpuppe aus. Ich spürte ein heftiges Ziehen im Magen. Sie war alles, was ich hatte, und ich wusste nicht, ob das reichen würde.
Wasser umspülte meine nackten Füße, während ich auf die Holzbretter starrte, mit denen das Haus verbarrikadiert worden war. Das angenagelte Kündigungsschreiben flatterte im Wind. Im Mund spürte ich den bitteren Geschmack der Angst, und der Regen klatschte mir mit voller Kraft ins Gesicht. Ich hörte das schrille Pfeifen eines Zuges aus der Ferne. Ich wünschte mir, in dem Zug zu sitzen.
Die Achtziger waren die Ära der Pagans, in der Entführungen, Fischzüge aller Art und Opfer, die nackt in den Mülltonnen verlassener Seitenstraßen lagen, auf der Tagesordnung standen. Nicky Scarfo, der Chef des organisierten Verbrechens und Nachfolger von Angelo Bruno, dem Geschäftspartner meines Vaters, ließ bei jeder „Steuereintreibung“ einen blutigen Pfad hinter sich zurück. Einmal brachte er sogar einen Richter um, weil der ein falsches Spiel mit ihm abgezogen hatte. Wie das Tuckern eines Motors dröhnte die Gewalt in den Straßen der Stadt. Egyptian, der Protegé und Nachfolger in der Hackordnung, wurde mit 21 Jahren der jüngste Präsident des Pagan-Clubs. Da er felsenfest davon überzeugt war, nur noch vier Jahre zu leben, juckte ihn gar nichts mehr. Er verhielt sich dreist und respektlos. Die Mafiosi mochten ihn nicht, weil er ein falscher Hund war. Schon nach kürzester Zeit verhärteten sich die Geschäftsbeziehungen, die Mangy mit ihnen aufgebaut hatte.
Darüber hinaus schwor sich die Mafia, Egyptian eine Lehrstunde in besserem Benehmen zu erteilen. Eines Nachts stand Egyptian mit seiner Maschine nichts ahnend an einer Ampel – und wurde mit voller Wucht von einem schwarzen Lincoln Continental von hinten gerammt. Egyptian knallte auf den Gehweg, verletzt und blutüberströmt. Der Polizei berichtete er, es sei ein „Unfall“ gewesen, und sah davon ab, Anzeige zu erstatten. Allerdings erfragte er die Adresse des Fahrers „aus versicherungstechnischen Gründen“. Die Polizei, überzeugt von Egyptians Aufrichtigkeit, gab ihm die Anschrift, die auf dem Führerschein des Fahrzeughalters stand. Das Haus gehörte allerdings der Mutter des Mafiosi. Am nächsten Tag ballerte ein unbekannter Täter eine ganze Ladung blauer Bohnen durch ihr Fenster. Durch eine Fügung des Schicksals überlebte die Mutter, und die Pagans berichteten Journalisten später, das dieser Zwischenfall ein wenig „unglücklich“ und „möglicherweise nur ein Zufall“ war. So begann der Todesreigen zwischen der Mafia und den Pagans.
Jedes Katz- und Mausspiel bringt eine Ratte zum Vorschein. Oft war es nur eine einzige Person. Jemand, der gegen die anderen aussagte, der mit den Bullen einen besseren Deal aushandelte, der sich dazu bereit erklärte, einen seiner Kollegen bei den Pagans und dessen Drogengeschäfte zu verpfeifen. Ratten suchen immer den einfachsten Ausweg. Ich empfand das als einen Ausdruck des Lebensinstinkts, eine Wahlmöglichkeit, die einen Lohn abwarf. Die Ratten, die ich kannte und die man erwischte, wurden mit einem Draht gelyncht, mit Benzin übergossen und dann angesteckt oder ganz „normal“ exekutiert. Dieser Kreislauf wiederholte sich wieder und wieder – ohne jegliche Konsequenzen.
Jimmy D. zum Beispiel war ein aufrichtiger Pagan und enger Vertrauter meines alten Herren. Plötzlich tauchten Gerüchte auf, dass Jimmy – trotz massiver Dementi – ein junges Pärchen an seinem Geburtstag ermordet habe, damit sie in einem Verfahren wegen schwerer Körperverletzung, die ein Kollege der Pagans begangen haben sollte, nicht aussagen konnten. Den Protokollen des FBI zufolge, das einige Pagans verhört hatte, wurde Jimmy D. der Auftrag erteilt, sie „loszuwerden“. Nach Angaben der Justizbehörden fuhr er mit den beiden nach Hunters Mill, einer verlassenen, holprigen und verdreckten Straße, umsäumt von hohen Kiefern. Er hatte das Pärchen ausgetrickst und ihnen erzählt, sie würden zu einem Drogenkauf fahren. Jimmy D. erschoss das erste Opfer wie bei einer Exekution, hielt der Frau eine .357 Magnum an die Schläfe und drückte den Abzug. Die zweite Kugel feuerte er direkt in ihr Auge. Keine Zeugen. Der dritte Schuss durchschlug