Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban

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Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban

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      Nach seiner Verhaftung machte Jimmy D. einen Deal mit der Polizei. Er verhielt sich wie ein Opportunist, genau wie mein Vater. Einfach eine Ratte. Doch bevor Details über die Vereinbarung bestätigt werden konnten, wurde Jimmy D. im Knast mit Methamphetamin erwischt. Er brauchte eine besseren Deal. Zuerst bestach er die Gang der schwarzen Muslime, damit sie ihn beschützten und Anschläge der Pagans vereitelten. Als nächstes konspirierte er mit der DEA und dem FBI, trug 30 Tage lang einen Mikrosender und horchte seine eigenen Leute aus. Das führte zur Anklageerhebung gegen 22 Pagans wegen Verstößen gegen den Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act, einem Bundesgesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das den Behörden die Verfolgung von Bandenmitgliedern erleichtert. Auch mein alter Herr zählte zu den überführten Personen. Was mich anbelangte, war Jimmy D. für unsere Wohnungskündigung verantwortlich. Die Belohnung dafür sollte schrecklich sein.

1.tif

      Eine typische Kutte der Pagans, so zerrissen und verdreckt, dass sie praktisch auseinanderfällt. Zu sehen sind unter anderem der diamantförmige Aufnäher mit dem „1 %“-Symbol und Dark Zurt, das Maskottchen des Clubs.

2.tif

      Eine Kutte der Pagans, an deren seitlichen Halterungsösen weitere Teile befestigt werden können.

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      Sie war keine schlechte Mutter,

      sie war nur ständig high.

      Die Rache musste erst mal warten. Ich war acht und obdachlos. Pfützen hatten sich unter meinen Füßen gebildet. Ich besaß keinen Schirm, gar nichts, nur die abgewetzten Jeans, die ich schon so lange trug. Mein Magen knurrte. Zuletzt hatte ich Pop-Tarts gegessen, irgendwann gestern. Ich lebte von der Hand in den Mund und wollte nur eins: Überleben!

      „Ich würde dich ja bei mir behalten, aber wir haben einfach keinen Platz.“

      Mutter zwinkerte, jedoch mit einer sachlichen Miene, als sie mich zu meinen Großeltern – Mum Mum und Pop Pop – abschob, die in einem zweistöckigen Backsteinhaus in Upper Darby lebten. Mutters Augen schienen um Verständnis zu bitten, und schon verschwand sie zusammen mit ihrem neuen Lover Karl in seinem zerbeulten Delta 88. Ich spürte noch ihre Hände, die meine Schultern berührt hatten, doch das Gefühl verschwand langsam.

      Offensichtlich nahm ich zu viel Platz weg. Man verschob mich zwischen den Wohnungen wie Mobiliar, ein merkwürdiges Eckstück, das zu keiner Einrichtung passte. Die neue Bleibe bei meinen italienischen Großeltern roch nach alten Leuten und gepresstem Knoblauch. Sie lebten in einem Reihenhaus mit drei Zimmern, das in einer Sackgasse lag. An das Grundstück grenzte eine Bahnlinie, von der aus schwarze Qualmwolken in den Himmel zogen. Die gedämpften Farben im Haus, Braun- und Goldtöne, erinnerten mich an das Laub im Herbst. Ich saß verschüchtert auf einem gelben Telefonbuch an einem mit Papierstapeln, Lesebrillen, dahin geworfenen Umschlägen und Rechnungen überfüllten Tisch. Die warmen Mahlzeiten wurden ohne ein Sterbenswörtchen gegessen. Mein Zimmer lag auf dem Dachboden – es war ein Raum, der jahrelang als Abstellraum für Gerümpel gedient hatte und in dem nun ein Bett mit Bezügen aus Polyester stand. Wenigstens konnte ich jeden Tag duschen. Ich fühlte mich hundselend und war mir dessen voll bewusst, dass ich nicht hier hingehörte.

      Das Haus meiner Großeltern lag in der Nähe der Gallagher Elementary, meiner dritten Schule in drei Jahren. Die Verwaltung verpasste mir den Stempel Sonderschüler. Eigentlich hätte man mich auch gleich als geistig zurückgeblieben brandmarken können. Die „Sonderschüler“ wurden in Anhänger verfrachtet, drückend heiße Blechcontainer, die in der Nähe des Campus standen, als wären sie Mülltonnen. Ich hatte ­Legasthenie und – inoffiziell – ADHD, obwohl die Ärzte das damals noch als Hyperaktivität klassifizierten und so ein Verhalten einem „schlechten Elternhaus“ zuschrieben. Ohne offizielle Diagnose gab es keine Medikamente, nur den Ratschlag der „liebevollen, aber nachdrücklichen“ Erziehung. Die Schule vermittelte mir das Gefühl, ein Aussätziger, ein „böses Kind“, ein „verrückter und wilder“ Nachkömmling der Pagans zu sein. Ja, und genau dazu hatte mich das Leben gemacht.

      Manchmal machte es mir Spaß, wenn sich das Gesicht der Schulleiterin verzog, als hätte sie Verdauungsbeschwerden, denn diese Reaktion auf mein Verhalten konnte ich kontrollieren. Mir fiel es viel leichter, einfach dem Stempel zu entsprechen, den sie mir aufdrückten, als zu erklären, was mit mir geschehen war. Und mehr brachte die Schule auch nicht zustande – sie beschrieben mein Verhalten, als wäre ich ein Virus, mit dem sie sich angesteckt hatten, den sie aber nicht ausmerzen konnten. Es gab einfach keine Förderprogramme.

      „Anthony erscheint leicht hyperaktiv und manchmal verdunkelt sich seine Persönlichkeit.“ Das berichtete die Schulschwester meiner Mutter, nachdem ich wegen unkontrollierbaren Schreiens zu ihr geschickt worden war. „Wir machen uns Sorgen. Hat er ihnen schon mal von imaginären Freunden erzählt?“

      „Er ist nun mal kein Überflieger“, lautete Mums lapidare Erklärung, als würde das alles erklären.

      „Weißt du, warum du hier bist?“ An einem bedeckten Nachmittag saß ich bei der Direktorin und verschwand fast in der weichen Ledercouch, während sie bedrohlich über mir thronte. Ihr Schreibtisch wirkte wie ein riesiges Portal aus Eichenholz, das in der Mitte des Raums schwebte, und ich fühlte mich kaputt, als würde ich keinen Halt mehr finden. Sie war aufgedunsen, hatte große Zähne und dicke Wurstfinger, die sich an den Spitzen bläulich verfärbten. Auf dem Tisch lagen überall kleine Papierkügelchen.

      „Sollen das hier Anschauungsobjekte sein?“

      Sie zog die Augenbrauen hoch und zermalmte eins der Kügelchen. „Und wie nennst du das?“

      „Das kleinste Papierstück der Welt!“

      „Willst du hier den Neunmalklugen spielen?“ Sie faltete einen der kleinen Bälle und las die Beschriftung laut vor. „Zig-Zag Zigarettenpapier?“

      Dann eine Pause. Ich hörte die rauen, kurzen und schnellen Atemzüge. Sie hielt wieder die Luft an. Der Regen hämmerte gegen das Fenster. Ich starrte in meine Spiegelung, lang und unförmig, als würde mein Gesicht schmelzen. Meine Augen richteten sich auf den Rasen und Mum, die auf das Gebäude zu stolperte, ihr blondes, nasses Haar wie ein Tuch an ihr klebend. Ihre Arme waren wieder mal mit Mullbinden umwickelt. Ich sprang vom Sofa und flitzte in den prasselnden Regen, um ihr zu helfen. Sie stank nach Alkohol. Die weiten, blutunterlaufenen Augen waren mit Tränen gefüllt.

      „Wegen dir musste ich hierher latschen“, giftete sie.

      „Es ist alles in Ordnung, Mum.“ Ich legte einen Arm um sie, stützte ihren zerbrechlichen Körper und hielt sie fest an mich gedrückt, während wir zum Haus ihres Freundes, eines Dachdeckers, gingen. Mir tat es leid, dass die Schule sie angerufen hatte. Vielleicht hätten sie sich lieber an meine Großeltern wenden sollen. Doch die Leitung war wegen meiner Lebensumstände ziemlich verwirrt. Auch ich hatte Probleme mit der Frage, wie viel Raum ich in Anspruch nahm und warum meine Mutter keinen Platz für mich hatte.

      Am nächsten Tag wurde ich gefragt, ob meine Mum oft trinkt. Die Direktorin nahm ihre Brille ab und putzte sie mit dem unteren Teil des Pullovers. Ich saß wieder in ihrem Büro, diesmal wegen einer „Obszönität“. Unbehaglich rutschte ich auf dem Stuhl hin und her. Ich studierte aufmerksam die Frau, als wäre sie ein Teil meiner Wespensammlung, eine Kuriosität hinter Glas. Ich befand mich auf der sicheren Seite, wenn ich von außen nach innen schaute. Doch noch wichtiger empfand ich es, dass Mutter

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