Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban

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Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban

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um den Rauch der Zigarette gierig zu inhalieren. Mum neigte den Kopf, streichelte mir durchs Haar und meinte mit einem angedeuteten Lächeln: „Ich hätte dich auffressen sollen.“

      Obwohl sie den Spruch oft im Spaß wiederholte, versetzten mir die Worte einen Stich, denn in ihren Augen sah ich die altbekannte Gewalt auflodern. An manchen Morgen betrachtete ich mein Spiegelbild, und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich erkannte die eisige Kälte, einen explosiven Ausdruck, der dem Inneren einer Bombe glich. Ich ballte die Fäuste, ließ los, ballte sie wieder und verteilte Hiebe in der Luft, sprach mit mir selbst und fühlte mich manchmal, als würde ich überschnappen.

      Wie zum Beispiel in diesem Moment, in dem ich meine schlafende Mutter beobachtete. Das Licht fiel schräg in das Zimmer und die Bettdecke wurde durch den Luftzug des Deckenventilators leicht gekräuselt. Ich lauschte angestrengt ihrem Atem. Ich dachte, sie wäre tot und verkroch mich panisch in eine Ecke im Wohnzimmer, steckte mein Gesicht in ein Kissen und weinte drauf los.

      Den Lehrern erzählte ich, ich wäre von einem Insekt gestochen worden und deshalb sei mein Gesicht so rot und aufgedunsen. Ich versteckte mich in dunklen Winkeln, hinter den aufgehängten Mänteln, die aussahen als wären sie kopflose Kinder. Ich konnte nicht mit meiner Verletzlichkeit umgehen und wurde deshalb ein knallharter Typ. Noch bevor ich zehn war, zerrte ich kleine Mädchen in Wandschränke und hatte Sex mit ihnen. Ich verletzte sie, weil ich verletzt worden war und mich diese Schmerzen in einen schäbigen Menschen verwandelt hatten. Plötzlich stand mein Leben auf dem Kopf, ohne jegliche klare Linie, nur auf die primitivsten menschlichen Emotionen wie Gier und Lust beschränkt. Ich dachte nicht mehr nach. Ich empfand nichts mehr. Ich bedauerte nichts. Ich entwickelte mich nicht mehr.

      Manchmal stellte ich mir vor, eine andere Mutter zu haben, eine, die wenigstens einer Hilfsarbeit nachgeht, deren Namen ich ohne Scham aussprechen konnte, die mir bei den Hausaufgaben half, die mich nach der Schule abholte, wie die anderen puppenhaften Frauen mit den aufgespritzten Lippen, die passende Kleidung trugen und große Einkaufstaschen schwenkten. Sie dufteten nach Blumen. Mutter beschwerte sich dagegen, dass die Sonne zu grell schien und sie von ihr geblendet wurde.

      „Wir können dir helfen“, unterbrach die Direktorin meinen Gedankenfluss. Mir helfen? „Erzähl mir doch was über dein Zuhause.“

      Ich erinnerte mich an den Morgen, an dem ich völlig aufgeregt aufwachte. Meine Klasse hatte einen Schulausflug zur Freiheitsglocke nach Philadelphia geplant. Bisher war ich nie über die Grenzen von Delaware County hinaus gekommen. Helle Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer, und Eiszapfen hatten sich kristallähnlich an der Oberseite des Fensters gebildet. Auf dem Tisch in der Küche lag Angel Dust verstreut. Eine Art weißer Schleier zog über die schlafenden Körper. Ich trat versehentlich auf Mums verknotetes Haar, und sie regte sich, gähnte und warf meine Gummistiefel weg.

      „Ich werde heute die Freiheitsglocke sehen“, sprudelte es aus mir heraus. Sie zog sich ein Kissen über den Kopf. Mir war schon kalt, aber nun begann ich zu zittern. Cheese, ein Freund meiner Mutter von den Pagans, lag alle viere von sich gestreckt und halb nackt auf der Couch neben ihr, setzte sich die Brille mit den dicken Gläsern auf und durchsuchte die Hosentaschen. Er warf mir ein paar Dollar zu. Die Scheine flatterten auf den Boden. Ich stopfte mir die Kohle in meinen Wintermantel. Cheese erinnerte mich an den Weihnachtsmann. Crackers, seine Frau, winkte mir zu, doch noch bevor ich ihm für die Großzügigkeit danken konnte, war Cheese schon wieder eingeschlafen. Vorsichtig bahnte ich mir den Weg durch die zerbrochenen Möbel, sah das verkrustete Essen und die halb geleerten Bierflaschen auf dem Tisch. Ich schüttete ein Glas Wodka aus und füllte es mit geronnener Milch. Dann trat ich vor die Tür auf die eiskalte Straße und musste an wahre Helden denken. Sie trugen keine Umhänge, flogen nicht und setzten sich keine goldenen Masken auf. Manchmal hatten sie dickes rotes Haar wie ein Pferdeschwanz, steckten in einer versifften Jeans und stanken.

      Die ganze Zeit über wartete ich, um einen kurzen Blick auf die gebrochene Kupferglocke zu werfen mit ihrem Klöppel, der über 20 Kilo wog, und dachte dabei an das zerknitterte Geld in meiner Tasche. Ich wollte, dass Mum und ich dieses Gefühl der Freiheit zusammen erleben. Es war bitter kalt. Um mich herum hörte ich das heisere Krächzen von Krähen. Der Tau auf dem leblosen Gras durchnässte meine Schuhe. Ich trug halbfingrige Handschuhe, und die Fingerkuppen verfärbten sich ganz blau. Ich kaufte eine Miniaturglocke aus dem Souvenirgeschäft. Der Klöppel war beweglich, und immer wenn ich die Glocke zur Seite legte, ertönte ein Läuten. Aus der Nähe betrachtet, machte die reale Freiheitsglocke, lange der Witterung ausgesetzt, einen reichlich zerbeulten Eindruck. Durch die Mitte zog sich ein langer Riss, doch ich fand sie schön. Ich konnte es nicht erwarten wieder bei Mum zu sein, in das Wohnzimmer zu rennen und mein Souvenir zu präsentieren.

      Um zwei Uhr nachmittags betrat ich das Haus und fühlte mich, als würde ich in eine Höhle kriechen. Das gedämpfte Licht warf bizarre Schatten in den Flur. Halbnackte Frauen vergruben ihre Köpfe zwischen den Schenkeln unbekannter Männer. Mutter schrie wie eine Sirene. Schwere Vorhänge blockierten die Sonnenstrahlen. Der beißende Gestank unbekannter Chemikalien stieg in meine Nase. Ein Unbekannter stand am Herd und kochte. Er hatte das verdreckte Gesicht eines Trolls – war blass und pickelig. Um seinen Hals zog sich ein Stacheldraht-Tattoo. Als ich die Küche betrat, schaute er kaum auf.

      „Guck mal, was ich dir mitgebracht habe!“ Ich hielt die Glocke vor ihr Gesicht und ließ sie bimmeln. Sie fuhr mich wie ein tollwütiges Tier an, warf mir Beleidigungen an den Kopf, spuckte und riss mir das Souvenir aus der Hand, um es in die nächste Lampe zu werfen.

      „Verschwendung“, kreischte sie, außer sich vor Wut. „Du hast dein Geld für so eine Scheiße ausgegeben?!“ Ich versuchte ihre Stimme abzublocken, zitterte aber innerlich. Das war nicht meine Mum. Das war meine Mum auf Drogen. Glas zerschepperte um mich herum. Ich fiel auf die Knie und durchsuchte unbeholfen die Scherben, um die Freiheitsglocke wieder zu finden. Doch ich konnte nicht weinen, denn alles was ich fühlte, war eine unendliche Traurigkeit. Irgendwie tauchte Cheese aus dem ganzen Nebel auf und umfasste meine kleinen Hände.

      „Du weißt doch – sie meint das nicht so.“ Er blinzelte mich durch die dicken Brillengläser an. „Sie ist nicht sie selbst.“

      Ich sah ihn nicht an, denn meine Augen starrten nur auf den Scherbenhaufen. Der Ausraster von Mum hatte mich wie ein Wirbelsturm getroffen.

      „Sie versucht ihr Möglichstes, Kleiner.“ Cheese seufzte.

      Ja, das wusste ich.

      „Wir können dir helfen“, dröhnte die Schulleiterin, aber ich hörte schon nicht mehr zu. Mein Blick hatte sich an den Hals der grauen und faltigen Frau geheftet, der Truthahnfleisch ähnelte.

      „Wir können den Sozialdienst einschalten ….“ Bla, bla, bla.

      Ich will doch nur ein Traktor- oder Lkw-Fahrer werden.

      Später am Vormittag holte mich Großmutter von der Schule ab. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen.

      „Von der Schule verwiesen? Er ist doch erst acht Jahre“, bettelte sie die Direktorin an, darauf hoffend, das sie den Entschluss rückgängig macht.

      Ich bin kein normaler Achtjähriger. Unsicher stand ich auf und spürte dabei die Erleichterung. Ich könnte nach Hause, endlich die Schule verlassen. Auch Mum musste nichts befürchten. Die Jugendfürsorge würde mich nicht abholen. Ich hatte schon Geschichten gehört, dass man Kinder wegen Vernachlässigung oder Missbrauch einfach ihren Eltern entriss. Ein Teil von mir versuchte deshalb immer anständig und normal zu wirken – ich wollte nicht weg. Alles in allem war Mum keine schlechte Mutter. Sie war nur ständig high. Die zahllosen Selbstmordversuche waren für sie nur eine Entschuldigung. Aber damals verstand ich das Wort Vergebung noch nicht. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es heute überhaupt verstehe. Möglicherweise dachte Mum, dass sie einfach

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