Hölle auf zwei Rädern. Kerrie Droban
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Читать онлайн книгу Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban страница 3
„Dein Vater. Er steht vor dem Fenster.“
„Mum, wir sind in der vierten Etage.“ Trotzdem warf ich einen Blick nach draußen. Die Straße unten schimmerte blau, erleuchtet von den Scheinwerfern der Autos. Schnee fiel. In meinem Kopf spürte ich ein Hämmern und ich sehnte mich nach einem Joint. Ich war nicht von dem Zeug abhängig – nicht mehr. Aber Marihuana beruhigte die Nerven.
„Er ist gekommen, um uns Geld zu bringen“, unterbrach Mum meine Gedanken. Sie war aus dem Bett gestiegen.
„Nein!“ Ich drehte mich schnell um, packte sie am Ellbogen und führte sie langsam zurück zum Krankenbett.
„Mir ist so kalt“, flüsterte sie mit einer dünnen und kindlichen Stimme.
Langsam setzte ich sie hin, auf Bettlaken, die mit Fäkalien braun beschmiert waren.
„Schwester“, rief ich, als ein kalter Luftzug über meine Haut strich. Über mir drehte ein Ventilator seine Runden und warf gezackte Schatten auf die Decke. Für manche Menschen glich Johns’ Hospital einem Grab. Für Arme bestand kaum eine Aussicht auf Genesung. Sie wurden einfach ihren Angehörigen zurückgegeben, wie ein Haufen zusammengeschusterter Ersatzteile, in der Hoffnung, dass niemand einen Unterschied bemerkt. Im langen Flur hallten Schreie, unterdrücktes Stöhnen und Flüche.
„Was ist denn mit euch allen los? Helft ihr!“ Wutentbrannt rannte ich in den Flur.
Die Krankenschwestern betrachteten mich mit einem stumpfsinnigen, leblosen Gesichtsausdruck. Überall lag Papier auf dem Boden. Eine, den Kugelschreiber hinter das Ohr gesteckt, flüsterte zu ihrer Kollegin: „Unser Antreiber.“
Verdammt. Ihr sollt alle verdammt sein.
Mit zitternden Händen ging ich wieder in Mums Zimmer, befeuchtete einen Waschlappen und tupfte vorsichtig um die wunden Stellen an ihrem Bein herum. Dann wusch ich ihn aus und strich damit langsam über Mums Arme und ihr Gesicht. Kalte Tränen liefen an ihren Wangen herab.
„Du bist ein gutes Kind, so ein gutes Kind.“
Mum. Wie wahnsinnig riss ich sie an den Schultern hoch, nur noch eine trockene Hülle, in die sich Maden eingenistet hatten. Erschreckt zuckte ich hoch. Der ganze Körper war noch steif vom Schlaf auf dem unbequemen Stuhl. Meine Beine kribbelten. Mutter keuchte. Sie schlief, und ihre Beine steckten in diesen Katzenpantoffeln mit den aufgenähten Stoff-Figuren. Ein Arzt stand im Türrahmen und hatte eine ernste Miene aufgesetzt.
„Sie kann keine Flüssigkeit mehr zu sich nehmen.“ Erschöpft und müde presste er Mums Fieberkurve an seine Brust. Auf dem Monitor sah ich nur noch eine flache, grüne Linie.
„Ist sie tot?“, fragte ich mit zitternder Stimme.
„Wenn sie nicht bald etwas trinkt, wird sie sterben.“
Die Linie auf dem Monitor machte einen leichten Ausschlag. In Mum regte sich noch ein Hauch von Leben. Ich drückte ihre Hand. Die Haut war faltig. Ich spürte jeden einzelnen Knochen. „Du darfst keinen Alkohol mehr trinken, verstehst du?“ Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete.
Tränen bedeckten die Wimpern. Ganz zaghaft hauchte sie: „Das verspreche ich.“ Dann, nach einer kurzen Pause, fragte sie: „Und wie sieht es mit den Tabletten aus?“
„Da ist ein kleines Mädchen in meinem Zimmer.“ Mutters krallenähnliche Finger umklammerten das Bettgitter. Die Pupillen ihrer eingefallenen Augen waren größer, als sie eigentlich sein sollten.
„Hier ist niemand, Mum.“ Ich streckte mich zum Fenster und sah mein Spiegelbild im Glas. Meine Augen wirkten leblos, als wäre das Licht in ihnen erloschen. Ich biss mir mit den Zähnen auf die Wangeninnenseite und spürte das eigenartige Gefühl von Monotonie gepaart mit Anspannung. Beerdigungen versprachen wenigstens einen Abschluss und Feierlichkeiten, während Krankheiten, besonders Demenz, einen Menschen auf sich selbst zurückwarfen, ihn dazu brachten, sein eigenes Leben zu hinterfragen. Und ich war mir nicht sicher, ob ich mich schon für so eine Innenschau bereit fühlte.
„Da ist sie doch“, drängelte Mum, wobei sie mit der dürren Hand in der Luft gestikulierte. Sie warf die Laken zur Seite und setzte sich auf den Bettrand. „Schaff sie hier raus. Sie wird sterben.“
„Mum, was machst du da“, protestierte ich. „Das ist doch nur mein Mantel!“ Ich zog den Trenchcoat vom Haken, hielt ihn vor die Brust und winkte mit den leeren Ärmeln.
Der Gesichtsausdruck meiner Mutter verfinsterte sich, sie zog die Augenbrauen zusammen und ließ die Zunge schlangengleich über ihre Oberlippe fahren. „Motherfucker“, kreischte sie und warf mir die Fernbedienung an den Kopf. Unsicher stellte sie sich hin, fiel auf den Boden, wodurch sich ein nasser, brauner Fleck auf ihrem Krankenhausnachthemd zeigte.
„Schwester“, schrie ich mit erstickter Stimme. „Verdammt noch mal, helft uns doch!“
Ich zog Mutter vom verdreckten Boden hoch, fiel mit ihr aufs Bett und roch den nach Aufschnitt stinkenden Atem. Meine Arme waren mit Kot verschmiert. Sie hatte Durchfall und der Nachtopf quoll über. Der Darm entleerte sich mit ungeheurem Druck. Ich erinnerte mich an einen ihrer Selbstmordversuche vor vier Jahren. Sie hatte sich mal wieder im Badezimmer eingeschlossen. Es war noch dunkel, ungefähr vier Uhr morgens. Ich schreckte durch das Geräusch laufenden Wassers hoch. Ein Topf knallte in der Küche.
Dann hörte ich das bekannte Knistern von Cellophan, als Mum wieder eine Packung Rasierklingen öffnete, und hämmerte an die Tür des Bads. Keine Antwort.
„Hau ab!“
Ich klopfte noch lauter. Teller zerschellten in der Küche unter mir. Gedämpftes Lachen drang durch die Dielen.
Ich hörte ein metallisches Klicken, denn Mum hatte den Riegel zur Seite geschoben. Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür und da sah ich sie: nackt, ein Bein in der Badewanne, während das andere über den Rand baumelte, blutverschmiert, mit einer Rasierklinge in der Oberschenkelarterie.
„Sie wird morgen entlassen“, erklärte der Arzt und drückte Mums Akte fest an seine Brust. „Hat sie ein Zuhause?“
Ich stand in ihrer Küche und hatte die Hände in die Seiten gestemmt. Ein schwerer Druck lastete auf meiner Brust. Ich traute mich nicht, das Licht anzumachen. Es war wohl besser im Dunkeln zu arbeiten und sich der Illusion hinzugeben, dieses Drecksloch sauber machen zu können. Chuck, der aktuelle Lebensgefährte von Mum, hockte auf einem Stuhl in der Ecke. Sein Oberkörper war vornüber gebeugt, er war blind und zitterte. Keiner von uns brachte ein Wort über die Lippen. Ich fühlte mich total verloren, wie ein Möbelstück aus einem anderen Haus, das nicht zum Inventar passte. In meiner Erinnerung tauchte ein Geruch auf – der widerlich süßliche Gestank von ungewollter Nähe. Doch dann atmete ich befreit durch. Ich muss zugeben, dass ich als Kind besorgt war, mein Leben würde keine Spuren hinterlassen – dass all die Gewalt und die Wut die Wände wie eine starke Droge durchdringen würden, dass ich mich auflösen würde. Übrig bliebe nur ein leerer Raum für nichts ahnende Bewohner, die einfach neu begännen – als wäre der Schmerz nur eine schillernde Politur, die entfernt wird. Keine Narben. Keine Zeugen. Nur noch ein Geruch.
Ich tröpfelte das Bleichmittel auf einen Putzlappen und holte tief Luft. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle. Der Müllbeutel quoll über von leeren Flaschen Wodka, Jack Daniel’s und Dosen von Frühstücks-Fastfood. Wasser tröpfelte aus dem Hahn und hinterließ ein Rinnsal auf der