Bunsenstraße Nr. 3. Dietmar Schmeiser

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Bunsenstraße Nr. 3 - Dietmar Schmeiser Lindemanns

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von Frieren und glühenden Ohren in der Nähe des Ofens, um nachvollziehen zu können, was ich beschreiben möchte. Noch war es nicht so kalt geworden, dass im Schlafzimmer an den Fenstern die Eisblumen wuchsen. Wenn aber in der Küche der Kohlenherd entzündet worden war, lief das Wasser in dicken Tropfen an den mit Ölfarbe gestrichenen Außenwänden herab. So kam der letzte Advent im großen Krieg.

      Mutter in Schwarz. Viele junge Frauen in unserer Straße trugen jetzt Schwarz. Mutter hatte oft eine schreckliche Ahnung vom Tod ihres Mannes gehabt. Als ihm das Eiserne Kreuz verliehen worden war, meinte sie, zu ihrer Schwiegermutter gewandt, wenn daraus nur kein hölzernes wird. Jetzt war ein hölzernes daraus geworden. Was nutzten uns noch alle seine Orden und Ehrenzeichen.

      Advent? Die Hoffnung auf das Göttliche und dessen Verwirklichung und Vollendung durch den Menschen, wo doch fast täglich der Feuerregen auf die verbliebenen Kinder und Mütter herabfiel. Mutter hielt durch mit ihren letzten Kräften. Ein Stück Hoffnung sollte für die Kinder bleiben!

      Trotz all des Augenscheinlichen muss es noch mehr Menschen gegeben haben, die in ihrer Tiefe einen Funken dieser Hoffnung hatten bewahren können. Auf dem Markt am Gutenbergplatz gab es noch Adventskränze zu kaufen. Kleine Kränze, die zu Hause geziert wurden mit einem roten Band, aufgebügelt, vom letzten Jahr, vier roten Kerzen und einigen kleinen Fliegenpilzen aus Pappmaschée.

      Und es wurde das erste Licht am Adventskranz angezündet, der nun in der Mitte des Esstisches lag. Edwin und ich reichten mit den Armen gerade auf den Tisch. Mutter saß auf der anderen Seite. Früher hatte Mutter Zither gespielt. Wir haben sie nie mehr gehört. Stattdessen wurde gesungen. Mutter zunächst mit fester Stimme. Edwin und ich etwas hinterher. Wir kannten den Text nur bruchstückhaft. Adventslieder singt man nicht das ganze Jahr. Die schwermütige Melodie hingegen habe ich nie vergessen. Sie löst heute noch bei mir die Gefühle von damals aus. Der Gesang der Mutter vom leise rieselnden Schnee und vom weihnachtlich glänzenden Wald wurde schnell schwächer, bis er endgültig in ihren Tränen unterging. Ob das Christkind so bald kommen wollte?

      Es war kein Christkind in Aussicht. Die Ohren waren heiß, die Füße kalt, Mutter weinte und versuchte im gleichen Moment weiterzusingen. Ihre Augen seien entzündet, und das schmerze sie so sehr. Sie müsse erst Augentropfen nehmen. Diese brannten in den Augen, und Mutter musste der schmerzhaften Tropfen wegen weinen. Ich versuchte, sie zu trösten. Es war ein hilfloses Unterfangen. Ich kam mir sehr unfähig vor.

      Irgendwann kam dann die zweite Strophe, wo es in den Herzen warm werden soll und Kummer und Harm still schweigen. Was Harm ist, wusste ich nicht. Dass die Sorge des Lebens verhallen soll, wenn das Christkind kommt, galt es da zu singen. Mutter versuchte, die Tränen zu unterdrücken.

      In der dritten Strophe erwacht dann der Engel Chor, der lieblich schallt. Bald ist heilige Nacht. Freuet euch, Christkind kommt bald. Mutter rief nach dem toten Vater. Edwin und ich schwiegen. Mutter nahm wieder Augentropfen. Die bissen in ihre Augen.

      Und Mutter hatte etwas vorbereitet. Sie holte einen Pappteller aus der Anrichte. Einen bunten Teller, bedruckt mit Bildern von Tannenzweigen und Christbaumkugeln. In diesem lagen ein paar kleine, rote Äpfel und ein Lebkuchen. Das war ein rechteckiges Stück, so lange wie ein neuer Bleistift, braun und mit einem Bild vom heiligen Nikolaus beklebt. Das Bild des Heiligen wurde vorsichtig von dem braunen Gebäck abgelöst und diente so noch lange als Erinnerung. Mutter brach den Lebkuchen in drei gleich große Stücke, und wir konnten uns wieder freuen. Das war kein Kuchen aus Mandeln und Zitronat. Er war wohl aus dunklem Mehl und etwas Kunsthonig gebacken und gegen Brotmarken beim Bäcker Neff zu kaufen.

      Jetzt wurde für die ewige Ruhe des Vaters gebetet, und es kehrte wieder Stille ein. Mutter nahm uns in die Arme und weinte nicht mehr. Wir waren ihre Hoffnung, ihre Christkinder.

      Bombennächte

      Ein Unrecht rechtfertigt nicht das andere. Ich werde meine Geschichten schreiben, wie ich sie als Kind erlebt habe und werde erzählen, wie nach meinem jungen Leben getrachtet und unsere Stadt zerstört wurde. Unvereinbare Gefühle von Geborgenheit, verströmt von der Hausgemeinschaft im Luftschutzkeller, und Todesangst leben in meiner Erinnerung fort. Nicht zuletzt aber auch eine heftige Neugierde, mit der ich verfolgte, wie sich die Hausbewohner auf die Bombardierungen vorbereiteten.

      Zunächst gab es da wirklich viel Interessantes: Da war eine zähe, dunkelblaue Farbe, mit der Glühlampen angemalt wurden. Die sahen hinterher fast wie Ostereier aus und wurden im Treppenhaus und im Klo eingeschraubt. Man musste des Nachts schon einige Zeit im Treppenhaus stehen, um sich an diese Minimalbeleuchtung zu gewöhnen. Zusätzlich bekam das Treppenhaus noch Rollos aus schwarzem Papier. Die vier Frauen, die in unserem großen Stadthaus wohnten, waren mit allerhand ungewohnter Handwerksarbeit gemeinschaftlich beschäftigt.

      Neben diesen Frauen lebten noch ungewöhnlich viele Männer in den vier Stockwerken der Bunsenstraße 3. Da gab es im zweiten Stock – die Karlsruher kennen kein Erdgeschoss, das ist dort schon der erste Stock – den Herrn Schröder, der hatte einen Buckel und kam für solche Arbeiten nicht in Frage. Darüber lebte der Gymnasialprofessor Bresch, der schon seines Berufes wegen keinen Nagel in die Wand schlagen konnte. Der Einzige, der dies hätte tun können, war Herr Metz aus dem vierten Stock. Den hat man aber selten gesehen. Der war für Starkstrom zuständig und wurde oft nach Luftangriffen dienstverpflichtet.

      Es blieb wieder alles an den Frauen hängen. Die stellten halsbrecherisch Tische und Stühle übereinander, um an die hohen Fensterstürze dieses Bürgerhauses aus der Jahrhundertwende zu kommen. So bekamen nach und nach alle Fenster ihre schwarzen Rollos. An Schnüren, die durch Ringe geführt wurden, konnte man diese Papierbahnen auf- und abziehen. Das machte Spaß!

      Zwischen die Alleebäume in der Kriegsstraße wurden Sandhaufen gekippt. Wir erhielten große Papiertüten. Zusammen mit unserer Kohlenschaufel, die sonst im Brikettkasten lag, zogen wir zu diesen Haufen und füllten die Tüten mit Sand. Sie waren so schwer, dass wir Kinder sie nicht heben konnten. Zunächst standen diese gefüllten Tüten im Hausflur, wo sie eigentlich nicht hingehörten. Sie sollten in erster Linie auf den Speicher gebracht werden, um einschlagende Brandbomben mit diesem Sand löschen zu können. Zuvor waren alle hölzernen Trennwände auf dem Speicher entfernt worden. Nichts durfte hier mehr gelagert werden. In die Mansarden, in denen in besseren Zeiten die Dienstmädchen hausten, wurde all das Gerümpel gebracht. Etwas Sand von dieser Aktion blieb dann dennoch übrig: für unseren Sandkasten. Mutter reagierte mit einem kleinen schlechten Gewissen.

      Irgendwo gab es für mich einen geheimnisvollen Menschen im Hintergrund, der uns Farbe, Papierrollos und Tüten schenkte, aber auch die Frauen auf Trab hielt. Vielleicht hieß er Milch und war von Beruf Generalluftzeugmeister, was immer auch das sein möge. Diese meine Weisheit hatte ich von einem Plakat, das noch lange nach dem Krieg an der mit großen Hebeln bewehrten Tür zu unserem Luftschutzraum hing. Mit Mühe hatte ich Teile dieses Anschlages im Keller entziffert, der eben von diesem Herrn Milch unterschrieben war. Es unterrichtete uns, was man bei Luftschutzalarm alles berücksichtigen müsse und dass man den Anweisungen des Blockwarts unbedingt Folge zu leisten habe. Wer dieser Blockwart war, habe ich nie herausbekommen. Es musste aber ein bedeutender Mann sein.

      Auch die Tür, an der dieses Plakat hing, war uns auf geheimnisvolle Weise wohl wieder von diesem fixen Herrn Milch geschenkt worden. Familie Metz, die im vierten Stock wohnte, hatte einen großen Teil ihres Kellers hergeben müssen, der nun zum Luftschutzkeller ausgebaut wurde. Die Decke wurde mit großen Balken gesprießt. Auf meine neugierige Frage hin, weshalb hier Holzsäulen aufgestellt werden, wurde mir erklärt, dass diese die Decke zu halten hätten, wenn Sprengbomben auf das Haus fielen und dieses einstürzte. Wie hoch der Trümmerhaufen eines vierstöckigen Hauses ist, das sollte ich bald erfahren. Das einzige Fenster des Raumes erhielt eine Eisenklappe. Sie war groß genug, um notfalls bäuchlings ins Freie kriechen zu können. Dass vor und über dem Fenster schon in wenigen Tagen meterdicker Schutt liegen könnte, daran durfte man nicht denken. Die Eingangstür

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