Bunsenstraße Nr. 3. Dietmar Schmeiser

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Bunsenstraße Nr. 3 - Dietmar Schmeiser Lindemanns

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Die berichteten dann meist von Frauen und Kindern, die beim Luftangriff umgekommen waren.

      Die Angriffe wurden immer schlimmer. Familie Metz besaß einen Schrebergarten, der zu einer bedeutenden Aufbesserung des Speisezettels verhalf. Der jämmerliche Versuch meiner Mutter, in unserem Ziergarten Tomaten zu züchten, war mit wenig Erfolg gekrönt worden, obwohl wir mit Schaufel und Eimer bewaffnet hinter jedem Pferdeapfel her waren, der sich in die Bunsenstraße verirrt hatte. Um so erfreulicher war es, mit in den Schrebergarten – eine Viertelstunde von der Bunsenstraße entfernt – gehen zu dürfen um zu ernten. Einmal hatten wir uns wieder dorthin auf den Weg gemacht und den Garten noch nicht erreicht, als ein Jagdflugzeug aus heiterem Himmel he-rabstürzte und seine Salven auf die beiden Frauen und uns drei Kinder abschoss. Wir konnten uns in ein nahes Maisfeld stürzen und dort verbergen. Dort verborgen, musste ich an Mutter denken, wie sie unseren gelähmten Vater aus einem Berliner Lazarett abgeholt hatte. Seine Bahre hatten die Träger in ein Schnellzugabteil gestellt, und Mutter saß neben ihm. Es war Nacht geworden, und Mannheim war schon fast erreicht gewesen, als Tiefflieger den Zug angriffen, ohne sich um das rote Kreuz zu kümmern, das über die Dächer des Lazarettzuges gemalt war. Wer flüchten konnte, der rannte aus dem Zug. Mein Vater lag gelähmt auf seiner Pritsche, meine Mutter blieb bei ihm. Sie dachte, ihr Ende sei gekommen. Es muss genau wie hier im Maisfeld gewesen sein.

      Die Kinder erzählten sich Geschichten von vergifteten Gutseln, die der Feind abwerfe, und von Puppen, die explodierten, hebe man sie vom Boden auf. Aber auch in der Erwachsenenwelt gab es erstaunliche Gerüchte. Nicht nur von der hinlänglich bekannten Geheim- und Wunderwaffe, die der eine oder andere schon am Westbahnhof unter Planen versteckt auf Güterwagen entdeckt haben wollte, oder von Messerschmittflugzeugen, die in die feindlichen Bomberverbände hineinflögen und deren Flügel abschnitten, nein, es gab auch spezielle Karlsruher Gerüchte, die ich mit spitzen Ohren verfolgte. So sollten Lampen im nördlichen Hardtwald fächerförmig aufgestellt worden sein, um den Bombern eine nördlichere Lage der Stadt vorzutäuschen. Ich fragte mich, ob denn der Herr Generalluftzeugmeister Milch nicht einmal mit Herrn Metz auf den Speicher gehen sollte, um beim Brandbombenwerfen zuzuschauen. War da nicht zuvor die Stadt taghell mit brennendem Magnesium erleuchtet worden, um den Todesvögeln den Weg zu weisen? Hätte der fixe Herr Milch sich nicht auch mal die übernächste Straße, die Körnerstraße, anschauen können? Schnurgerade waren auf beiden Seiten alle Wohnhäuser verbrannt und gesprengt. Diese Bomber waren nicht in den Hardtwald zu locken, selbst wenn dieser Trick zu Beginn des Krieges erfolgreich gewesen sein soll.

      Wir haben über tausend Alarme und etwa einhundert Luftangriffe überlebt, die aus der Bunsenstraße 3. Herr Milch hat auch überlebt. Die Alliierten haben ihn gefangen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch hier war Herr Milch wieder fix. In sieben Jahren war sein „Lebenslänglich“ schon vorbei!

      Unseres Herzens Wonne liegt

       in praesepio.

      Nein, in der Bunsenstraße lag in Kriegszeiten kein Jesu parvule in einer Krippe. Bruchstückhaft erinnere ich mich an die Christfeste jener Zeit. 1941 und dann alle folgenden Jahre ohne Vater. Dennoch reich beschenkt: 1941 mit einem Pferdewagen von Steiff und einer Eisenbahn von Märklin, die, hatte man das Uhrwerk aufgezogen, tapfer eine Acht fuhr. Neben Gepäck- und Personenwagen besaß sie noch einen Niederbordwagen, auf den ein Panzer geschraubt war. Sicher zur Verstärkung von Vaters Einheit. In Vaters Kriegstagebuch zum 23. November 1941 hingegen ist zu lesen: „Doch wie gerne würde ich die Weihnachtsfreude der Buben erleben; wie sie sich über die Eisenbahn freuen, wie könnte ich mit ihnen spielen. Wie habe ich die Meinen gern!“

      Bei genauem Betrachten des Weihnachtsbildes von 1942 können in unseren Händen auch Plastelin-Soldaten entdeckt werden, die im Laufe des Krieges sich zu einer ganzen Kompanie erweitern sollten. Fast hätte ich es vergessen. Natürlich war ein großer Christbaum im Speisezimmer aufgestellt, mit silbernem Lametta und allerhand bunten Kugeln behangen. Bunte Kugeln, das habe ich damals mitbekommen, waren in der Verwandtschaft nicht geschätzt. An den Weihnachtsbaum gehören silberne. Bunte Kugeln, das war vielleicht heidnischer Zierrat.

      Die gerade verwitwete Oma und Onkel Walter waren zu Besuch. Der Onkel sollte auch Fotos für unseren Vater im Felde machen. Zu diesem Zweck wurde das Zimmer verdunkelt, der Verschluss der Kamera geöffnet und ein an einem Stecken befestigtes Tütchen, aus dem eine Zündschnur herauslugte, angesteckt. Es tat gleich darauf für den Bruchteil einer Sekunde einen grellen Blitz. Dann war es wieder stockdunkel, und Onkel Walter hatte an der Kamera herumzufummeln, um jetzt den Verschluss zu schließen. Was dabei herauskam, war ein erschrockenes Bibi, wie ich meinen Bruder nannte.

      Was in der Busenstraße fehlte, war eine Krippe. Im Elternhaus meiner Mutter gab es ein große, die wir nach den Feiertagen gern bewunderten.

      Dennoch, wir kleinen Kinder vermissten sie nicht sonderlich. Erst als ich dann ins Gymnasium kam, Ministrant geworden war und die Gruppenstunden der katholischen Jugend beim Bund Neudeutschland regelmäßig besuchte, bemerkte ich das Defizit. Krippenfiguren zu kaufen, seien sie aus Gips oder gar holzgeschnitzt, daran war überhaupt nicht zu denken. Mutter war in den Nachkriegsjahren froh, wenn sie im Tauschhandel oder, weiß Gott woher, für uns Weihnachtsgeschenke besorgen konnte.

      Wieder einmal sollte ich die Erfahrung machen, dass man Defizite am besten kompensiert, indem man selbst aktiv wird. Zu jener Zeit besuchte ich im Gymnasium das „freiwillige Werken“. Mit teilweise primitiven Mitteln und geringen Werkstoffen hatte sich unser Kunstlehrer über die Runden zu retten. Nachdem ein Schnitzmesser, das übrigens noch heute in meinem Werkzeugkasten zu finden ist, auf eigene Kosten angeschafft war, galt es aus Holz Spateln zu schnitzen, die später bei Tonarbeiten behilflich sein sollten. Das war eine lange und zeitraubende Arbeit. Ich freute mich auf den Ton, der nur in kleinen Mengen in einem feuchten Metallkasten sich befand. Wir durften uns alsbald an kleinen Figuren versuchen, die leider, wenn sie fertig waren, wieder in die Kiste mussten. Andere Schüler brauchten auch Ton. In wenigen Fällen durfte man so ein Stück trocknen lassen und mit nach Hause nehmen. An ein Brennenlassen unserer Werke, war nicht zu denken, wenn auch immer wieder uns Hoffnung gemacht wurde.

      Es war die Adventszeit gekommen, wir hatten eine junge neue Lehrerin im Werkunterricht bekommen. Die schien mir nicht so eng und sparsam wie ihr Vorgänger, der auch so einen merkwürdigen Dialekt hatte. Der war nicht von hier. Statt dünn sagte er dünne, so gar nicht karlsruherisch.

      Der neuen Lehrerin trug ich meinen Wunsch vor, eine Krippe aus Ton formen zu wollen. Das war ein großes Projekt und wie berichtet, obwohl Mutter einen Obolus für die Materialkosten aufbringen musste, blieb die Tonzuteilung beschränkt. So begann ich, eine Madonna mit Kind zu formen, in der Hoffnung, dass diese gebrannt werden könne, was allerdings in der Schule damals nicht möglich war. Ich habe mir viel Mühe gegeben. Meiner jungen Lehrerin hat das wohl gefallen. Sie gab mir den einen oder anderen Ratschlag. Was mich dann verwirrte, war ihr Hinweis, dass die Brüste der Mütter dicker seien, wenn diese kleine Kinder hätten. Ich folgte ihrem Rat und half mit etwas weiterem Ton nach.

      So gerne hätte ich es gehabt, wäre meine Madonna gebrannt worden. Und dabei nicht nur einen Schrühbrand, sondern auch einen Glasurbrand bekommen hätte. Schließlich braucht eine Madonna einen blauen Mantel.

      Es war zu jener Zeit nicht möglich. Meine Madonna wurde nur getrocknet. Dennoch bekam sie einen blauen Mantel. Ich griff zu meinen Deckfarben. Als alles bunt war, überstrich ich die Farben mit einer Lasur, die ich in unserer Schulwerkstatt vorfand. Die Madonna sah aus wie nach einem Glasurbrand, und die Farbe hat bis heute gehalten. Eine Ersatzlösung aus der Not geboren. Dieses mein Madonnenbild sollte der Anfang einer eigenen Weihnachtskrippe werden.

      Zunächst aber stand oder besser saß meine Muttergottes mit ihrem Kinde einsam unter dem Weihnachtsbaum von 1950. Ich erinnere mich, meine Mutter hat sich gefreut.

      Und es wurde wieder Advent. Es sollte wieder eine Überraschung an Weihnachten geben. So bin ich mit meinem Bruder übereingekommen,

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