Steve Howe - Die Autobiografie. Steve Howe

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Steve Howe - Die Autobiografie - Steve Howe

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Als ich mich einmal ganz beiläufig im Werkunterricht über irgendetwas beklagte, wurde mir schon mit einem Lineal auf die Knöchel meiner Hand gehauen. Ein anderes Mal bezog die ganze Klasse Dresche mit dem Stock, weil ein Missetäter nicht zu seiner Regelüberschreitung stehen wollte. Er hatte, als der Lehrer mit dem Rücken zu uns stand, ein Tintenfass quer durchs Klassenzimmer gepfeffert. Einmal knöpften sich ein paar ältere Schüler meine Wenigkeit vor. Sie boxten und traten mich, aber nicht allzu hart.

      Man erwartete von uns, so viel Lernstoff wie möglich aufzusaugen, bis ich nicht mehr imstande war, mit den fleißigeren und begabteren Jungs mitzuhalten. Französisch wurde gestrichen. Da bekam ich gar keinen Fuß in die Tür. Dafür musste ich nun aber ausgerechnet Spanisch lernen. Das entwickelte sich zu einem weiteren Fehlschlag, ähnlich dem Religionsunterricht. Die Lehrer, die uns im Turnunterricht betreuten, waren grob und unflätig. Sie ließen jedenfalls keine Gelegenheit aus, uns zu bestrafen. Für meinen Teil lief ich nämlich nicht so gern oben an der Sprossenwand entlang. Die war ganz schön hoch. Kaltes Duschen gehörte ebenfalls zum Pflichtprogramm. Ein Schwimmlehrer im Bad in der Hornsey Road stieß mich zweimal ins Wasser, und beide Male sank ich bis zum Grund des Beckens. Nur mit Müh und Not und gerade noch rechtzeitig erreichte ich die Wasseroberfläche, um nach Luft zu schnappen. Ich sollte daraufhin Jahrzehnte nicht mehr in ein Schwimmbad steigen. Der Mathelehrer Mr. Bayliss hatte immer ein paar Lineale dabei, mit denen er uns zu schlagen pflegte. Mitten im Unterricht machte er sich immer mal wieder für zehn Minuten aus dem Staub, um vor der Türe eine Zigarette zu quarzen. Wir konnten es riechen, wenn er zurückkam.

      Jahrelang schon hatte ich um eine Gitarre gebettelt. Wie gesegnet ich mich doch fühlte, als im Dezember 1959 meine Gebete endlich erhört wurden! Im Alter von zwölf Jahren nahm mich mein Dad mit, eine Gitarre für mich auszusuchen. Es handelte sich dabei um ein deutsches Fabrikat – eine mit sechs Stahlsaiten bespannte und mit F-Löchern versehene Archtop-Gitarre, die wir für 14 Pfund in einem Laden am King’s Cross erstanden. Am Weihnachtstag erhielt ich sie schließlich formell überreicht.

      Es wäre damals praktisch unmöglich gewesen, den Aufstieg des Rock’n’Roll zu verschlafen. Ich hatte somit schon ein paar der besten Gitarristen überhaupt zu Gehör bekommen, noch bevor ich selbst eine Gitarre besaß. Ein paar von ihnen sollten mich später in meinem Spiel beeinflussen. Manche von ihnen tun das sogar bis heute. Auf jeden Fall war durch das Hören dieser alten Schellackplatten aus der Sammlung meiner Eltern eine Art Grundstein gelegt worden.

      Anfangs tat ich einfach bloß so, als würde ich spielen, obwohl ich eigentlich nicht wusste, wie das ging. Nachdem ich Marschkapellen und Schnulzenheinis hinter mir gelassen hatte, entwickelte ich eine Vorliebe für Les Paul sowie seine mehrspurig aufgenommenen und mitunter beschleunigt abgespielten Gitarren, die vor Hall und Echo nur so strotzten, ohne dass mir das sonderlich bewusst gewesen wäre. Auch interessierte ich mich für die Spieltechnik von Jimmy Bryant & Speedy West. Dieses Duo versah abwechselnd Tennessee „Ernie“ Fords Country/Hillbilly-Aufnahmen wie „Shotgun Boogie“ mit aufregenden Gitarren- und Steel-Guitar-Solos. Sie waren beide zwei wirklich bahnbrechende Pioniere. Ich hörte diese Musik via Musiktruhe unserer Familie, einer Kombination aus Radio und Schallplattenspieler. Bald schon aber besaß ich meinen eigenen Plattenspieler. Wenn ich damit Musik hörte, versuchte ich, die Shadows und Duane Eddy auf der Gitarre zu begleiten.

      Lehrbücher für angehende Gitarristen stellten keine große Hilfe für mich dar, obwohl mir Dance Band Chords For The Guitar von Eric Kershaw durchaus zusagte. Damit erlernte ich unterschiedliche Akkordumkehrungen sowie auch ein paar komplexere Griffe, wie sie nicht allzu häufig im Rock’n’Roll Anwendung finden. So saß ich in meinem Zimmer in unserer Wohnung in Loraine Mansions und übte Akkordwechsel und Tonleitern. Auch probierte ich, mir selbst Sachen einfallen zu lassen, die sich an den Gitarrensolos jener Tage orientierten. Schrittweise war ich bald in der Lage, mir das gesamte Griffbrett in meinem Kopf bildlich vorzustellen. Ich konnte nun gewisse Muster heraushören und mir vorstellen, wo ich mit meinen Fingern hinmüsste, um bestimmte Noten oder Akkorde zu spielen. Es fühlte sich an, als müsste ich fortan zwei parallel verlaufende Leben unter einen Hut bringen. Als ob ich Kopf voraus ins kalte Wasser gesprungen wäre! Zuerst dachte ich, dass es ein guter Einstieg sein müsste, Gitarre im Stil der Tanzbands zu spielen. Oft beobachtete ich Gitarristen im Fernsehen, die ihre Akkorde zu den Bigbands improvisierten. Sie trieben zusammen mit dem Bass und dem Schlagzeug den Rhythmus voran – auf gewöhnlichen Archtop-Gitarren, wie ich selbst eine hatte. Ich stellte mir vor, wie ich auf der Bühne stünde, neben einem Sänger, und auf den Einsatz für mein Solo wartete, etwa während eines zwölftaktigen Breaks oder eines einfachen Riffs. Am besten war es wohl, die gitarrenlastigen Instrumentalstücke jener Zeit zu lernen. Wer sich diese aneignete, löste quasi das Ticket zur Mitgliedschaft in einer Band.

      Gleichzeitig recherchierte ich ständig neue Gitarristen. So wurde etwa Chet Atkins bald mein absoluter Lieblingsgitarrist. Teensville von 1960 war mein erstes Album von Atkins. Seine Country-Picking-Arrangements hatten einen großen Einfluss auf mich. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, ihn auf meinem Plattenspieler anzuhören. Obwohl manchmal auch Gesangsharmonien zum Einsatz kommen – und sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt –, vermag nichts von seinen außergewöhnlichen Darbietungen abzulenken. Wie er mit dem DeArmond Volume & Tone Pedal umging, war bahnbrechend. Er hatte sich diese Technik bei den Steel-Guitar-Spielern abgeschaut. Es ist vor allem seine Daumen-Technik in Kombination mit der Melodielinie, oft noch um einen Akkord ergänzt, die mich verblüfft. Er nahm sich oft selbst bei sich zu Hause auf. Sein Sound entsprang sowohl seiner gefühlvollen rechten Hand als auch seinem Talent als Produzent. Er schlug die Saiten überraschend soft an und bewegte seine linke Hand mit großer Eleganz und Logik über das Griffbrett.

      Ich hätte zwar gern alle seine Platten gekauft, doch waren nur ein paar davon in Großbritannien erhältlich. Auf Chet Atkins’ Workshop und Finger-Style Guitar ist der Sound einfach unfassbar gut. Er brachte seine Gretsch förmlich zum Swingen und Singen. Ungefähr zur selben Zeit wie Chet trieb auch Les Paul seine Karriere voran, und ich besitze von beiden ihre ersten 10-Inch-Schallplatten. Ob ihr mir glauben wollt oder nicht, aber sie heißen beide Galloping Guitars.

      Chets Lebensgeschichte enthält gleich mehrere historische Meilensteine. Obwohl er lange als verkannter Held galt, wurde er letzten Endes für seine beispiellosen Leistungen rund um die Countrymusik mit vielen Auszeichnungen überhäuft. Ich durfte ihn mehrmals treffen, etwa im Rahmen eines Konzerts in London, wo er in den Achtzigerjahren mit Doug Turner auftrat, der selbst wiederum ein unglaublicher Gitarrist im Stil von Chet ist – was eigentlich noch eine grobe Untertreibung darstellt. Nach der Show überreichte ich Chet die Noten zu „Clap“. Ich wäre ja komplett durchgedreht, wenn er es jemals gespielt oder sogar aufgenommen hätte! Das letzte Mal sahen wir einander in den Neunzigerjahren, als wir beide gemeinsam mit Larry Coryell und Herb Ellis in einer vom Gitarrenhersteller Gibson veranstalteten Konzertreihe auftraten. Diese Shows fanden im Rahmen einer Musikmesse in Frankfurt am Main statt. (Larry und ich ergriffen am letzten Tag die Gelegenheit, zusammen zu jammen. Auch er war ein fantastischer Gitarrist.) Chet und ich fuhren allabendlich gemeinsam zum Club, und ich löcherte ihn mit Fragen nach Details zu einzelnen Aufnahmen. Allerdings konnte er sich nur an ein paar seiner Gitarren-, Verstärker- und Mikrofon-Einstellungen erinnern. Er hatte einen entspannten Sinn für Humor und verstrahlte diese gewisse Herzlichkeit. Ich fragte ihn auch, ob er vorhabe, noch einmal etwas mit Les Paul aufzunehmen. „Ach, nur wenn er mich anruft!“, antwortete Chet lapidar.

      Angesichts seines Spiels entdeckte ich, wo ich mich selbst am wohlsten fühlte. Nicht etwa, indem ich ihn imitierte, sondern vielmehr, indem ich eigene Stücke schrieb, in denen ich auf ein paar seiner Country-Picking-Techniken zurückgriff. Er hat diesen Stil zwar nicht selbst erfunden, aber doch weiterentwickelt – nicht zuletzt für die elektrische Gitarre. Auch Merle Travis darf nicht unerwähnt bleiben, da Chet dort weitermachte, wo dieser aufgehört hatte. Scotty Moore, der ursprüngliche Gitarrist von Elvis, führte diese Spieltechnik dann in den Rock’n’Roll ein. Nur Chet war nun einmal eben der Meister, was das Picking anging – sein Stil wurde Thumb-Picking, Travis-Picking, Fingerpicking, Cross-Picking oder sogar Claw-Picking genannt. Chets DVDs Rare Performances By Chet Atkins

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