Sommergewitter. Erich Loest
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Schichtwechsel in einer Viertelstunde. War er hier, um Clara zu informieren, ihre Meinung zu erfragen oder sich eben doch anzulehnen? War er ein Trottel – jeden Tag eine andere Meinung? Mußte ihm ausgerechnet Hemsberger über den Weg laufen? Einmal Offizier, immer Offizier. Er würde ein andermal mit Clärchen reden oder nie. Er stieg aufs Rad, flach war hier herum alles wie ein Bettlaken; wenn die Straße über eine Eisenbahnlinie gehoben wurde, galt das schon als Berg. Erst nach einem Kilometer merkte er, welche Richtung er einschlug, nach Gleibitzsch, wo Irmchen wohnte, seine Cousine, verheiratet mit einem Kuhbauern. Eddi half im Winter beim Straßenbau aus oder arbeitete in einem Werk. Bündnispartner immer noch, nicht Pfefferkorns frischer Feind. Was mußte er immer an den denken, vor dreißig, zweiunddreißig Jahren hatte er nicht einmal seinen Namen erfahren. Plötzlich dicke Tinte. Sollte auf Herta hören. Die spürte, ob einer echt war, die roch jeden falschen Braten.
Um die Grube »Vergißmeinnicht« und durch Ramsin. Gleibitzsch war ein Haufendorf, immerhin mit Kirche und Gasthof. Dahinter Beyersdorf, Gutsdorf, aufgeteilt während der Bodenreform. Die Neubauern hatten selber nüscht. Damals warb die Partei im Kombinat, um auch ein paar Genossen unter die Umsiedler zu mischen, jetzt war sie hinter Hartmut her. Beyersdorf, dort hatte eine Kollegin gewohnt, Anlagenfahrerin mit schwarzen Augen, auf die waren alle scharf gewesen, er auch, auch er, ja. Schöne wilde unvergeßliche Geschichte.
Irmchens Hof lag still, jede Pforte verrammelt. Er klopfte ans Stubenfenster, ans Küchenfenster, nichts rührte sich. Um die Ecke schlug ein Hund an, Nachbarstöle. Er klapperte mit dem Briefkastendeckel, rief. Hinter der Gardine eine rasche Bewegung. »Ich bin’s, Alfred! Irmchen! Irmchäään!«
Endlich öffnete sie das Fenster. »Mußt wieder gehen, Fred. Vorgestern ham sie Eddi geholt, ja. Ich laß kein rein. Wenn ich dir bloß ein paar Eier gebe, heißt’s gleich …«
»Wer hat ihn geholt?«
»Wer schon.«
»Und warum?«
»Als wir in die LPG rein sin, hat Eddi zwee Sack Weeze nich angegem.«
»Wegen zwee Sack?«
»Mußt wieder gehn, Fred.«
»Irmchen, wenn ich dir helfen kann.«
»Kannste nich, Fred.«
4
»Ja, ich sag die Wahrheet, bestimmt. Weiß nich, was mir letztens einjefalln is und was nich. Richtich: Erna Dorn mein Name, am siebzehnten Juli neunzehnhundertelf in Tilsit jeborn, Ostpreußen. Mein Vater hieß Arthur Kaminsky und war kaufmännischer Anjestellter. Wollte ich auch wern und hab Stenotypistin jelärnt. Bei der Polizei war ich, immer nur im Büro. Gestapo, bei der hab ich manchmal ausjeholfen, ham mich ausjeborcht sozusagen, in Könichsbarch bei Kriegsanfang. Hab ich bisher nich so ausjesagt, deshalb brauchen Sie nich zu belfern, is doch nich wichtig. Schön, was wichtig ist, bestimm Sie. War bei einem andern Vernehmer, ich hab paarmal jesacht: ausjeborcht, und der hat das im Protokoll wegjelassen. Nee, ich unterschreib nich noch mal so was. Ich paß auf.
Mein ersten Mann, Erich Dorn, hab ich achtunddreißig jeheirat, SS-Unterscharführer, nuscht besondres. Ich kann doch rein nuscht dafier, wenn die Listen vom KZ Ravensbrück nich stimm, ich habe sie nich jeschriem und jefalscht schon gar nich, nee. In nem KZ war ich nie. Der Erich is in Rußland jefalln. Ich hab dann nach der Flucht hier in Halle Max Gewald jeheirat, der war bei der Volkspolizei. Sie müssn nich mit mir schrein, ich weeß, ich hab mir die Schwangerschaft einjebild oder hab mir ’n Kissen unters Kleid jesteckt. Geb ich alles zu. Hab Milch jekriegt und überhaupt beßre Karten. Max war jut zu mir, mein bester Mann iberhaupt, wenn ich mal bei dem jeblieben wär. Aber wejen meiner Schwindelei hat er sich scheiden lassen. Ich durfte auch nich mehr Gewald heißen, nu heiß ich ebent wieder Erna Dorn. Tut mir wahnsinnig leid, daß ich jemandem erzählt hab, Max wär Kommandant vom KZ Ravensbrück jewesen, ich weeß, er hat dann riesige Hudelei jehabt.
Fang Sie doch nich wieder mit der Jestapo in Könichsbarch an, das war nuscht, war ’ne Dienstverpflichtung für zwei Monate vielleicht höchstens. Hab Akten kopiert, das war alles. Nun komm Sie mir doch nich mit Folterkeller und Juden nach Treblinka, ich hab in nem Büro jesessen und abjetippt, was die Herrn mir jejeben ham. Lebensläufe. Bei Ihn hier sitzen doch auch Fraun und sorjen für Ordnung, nich wahr? Sie brauchen sich jetzt wirklich nich uffzurejen, ich hab doch nich die Gestapo mit Ihn hier verglichen, fällt mir nich ein.
Nach meiner ersten Strafe hab ich ’ne Bruchbude zujewiesen jekriegt, der Max hat mich ja nich wieder zu sich jelassen.
Ohne Ofen, Toilette mit vier andern Parteien übern Hof. Arbeit inne Fabrik als Packerin, dann wieder nich. Was machste dann am Abend? Kino, und bißchen aufm Bahnhof rumwarten und quatschen und sehen, daß de was zu roochen kriegst. Da stand en Koffer, ich wollt ihn zum Fundbüro bringen un hab nich jewußt, wo das is. Und wie ich so suche, kommt die Polizei. War dumm von mir, daß ich erst mal jesagt hab, der Koffer jehört mir un da sin Jeschänke drin.
Uff Zelle, ja, wir komm miteinander aus. Die Neue hat die Scheißerei, kriegste kaum vom Kübel runter. Armes Luder aus Schlesien, nee, die erzählt nuscht, was se ausjefressen hat. Wenn ihr wüßtet, sagt die bloß, und: Vielleicht hacken sie mir die Rübe runter. Was soll ich mir vorstelln könn, wenn die nich mal ’ne Andeutung macht? Herr Vernehmer, hätten Sie mal für mich ’ne Zijarette?
Immer Lebenslauf un Lebenslauf, jeht bißchen durcheinander bei mir. Manchmal hab ich jeflunkert. Wie das so is uff Zelle, was sollste reden den janzn Tach. Nee, ich bin keine Halbjüdin, hab ich mal erzählt un dann jleich wieder verjessen. Ich war in keinem KZ, weder als Häftling noch als Wärterin, hab ich mal erfunden, so oder so ähnlich. Weil die uff mir rumjehackt ham, die feinen Damen. Un da hab ich jebranzt, ich wär Aufseherin in nem KZ jewesen. Mit Peitsche un Schäferhund und so. Die in der Zelle ham mich verpfiffen. Ham jedacht, dann komm se eher raus, is doch so. Ich war schon immer das dumme Luder. Hab ich erfunden mit der Aufseherin, die ham blöde gegafft, kann ich Ihn sachn. Schäferhund! Da waren die platt un neidisch un alles durcheinander un zusammen. Jeprügelt, nee, hab ich nie behauptet, das nu nich. Bin ich doch viel zu jutmütich zu. Erna, hat mir Max beinah jeden Tag jesacht, du mit deiner Gusche. Hat emd nich jeholfen. Gestern um die Zeit ham Se mir ne Zijarette jejeben, wissen Se noch?
Noch mal von vorne? Ach du verdammte Kacke. Jeborn am siebzehnten Juli neunzehnelf in Tilsit, da könn Se mich ausm Schlaf prügeln, sag ich immer dasselbe. Arthur Kaminsky, Anjestellter in verschiednen Firmen, hat nie viel verdient. Handelsschule hab ich besucht und bin dann zur Kripo nach Könichsbarch. Jeflüchtet in nem Eisenbahnzug, der is bei Elbing jerade noch durch, ehe die Panzer alles abjeriegelt ham. In Halle ham se mich ausjeladen, manche sin bis Thüringen weiter. Schön Dank für die Zijarette, Ja, dankeschön.
Fier Politik hab ich nie Zeit jehabt. Max hat mir manchmal Bücher jegem, aber ich mußte zuviel klejen. Abends war ich immer zu müde. Jedichte von Rosa Luxemburg sollt ich lesen, aber aus Jedichten hab ich mir nuscht jemacht. Schon als Kind nich. In ne Parteischulung hat er mich mitjenomm, aber das war mir alles zu hoch. Ins Kino bin ich jerne jegang, bin ziemlich ans Wasser jebaut, ich hab mir alles zu Herzen jenomm. Manchmal hab ich abends im Bett noch bißchen jeheult, und der Max hat mich ausjelacht. Klar bin ich fürn Friedn, bei dem, was ich im Krieg durchjemacht hab. Tiefflieger über unserm Zug, kann ich Ihn sagen. In Westberlin war ich nich ein einziges Mal, Max hat mir das verboten jehabt, gabs bei uns nich. Etwa unser Jeld rüberschaffen bei dem Kurs, so dicke hatten wirs nie. Was soll denn das, wenn wir mehr jehabt hätten, dann wärn wir erst recht nich, oder jenau so nich. Max war dajejen un ich sowieso. Da könn