Sommergewitter. Erich Loest
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»Ach was«, höhnte Hemsberger, »Sie bleiben munter und fidel und gucken sich im Olympiastadion Hertha gegen TeBe an oder Bully Buhlan im Sportpalast.«
»Wissen Sie was, ich geb Ihnen die fünfzig Piepen doch nicht. Sie werden an der Grenze gefilzt, und was sagen Sie dann?«
Du mieses kleines Schwein; Hemsberger ließ grelle Wut zu. Ihr seid alle Lumpen, Zwischenhändler, Absahner, Abzocker. Ihr verkauft unsere Nachrichten an Amis oder Franzosen oder den alten Fuchs Gehlen in Pullach gleichzeitig, und daß du wirklich von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit bist, hat mir bisher keiner schwarz auf weiß bewiesen.
»Sie haben eine Rechnung mit dem Iwan offen, haben Sie mir erzählt. Glaub ich Ihnen. Vielleicht müssen wir Sie bald aktivieren, dann können Sie Ihre Rache in Butter gebraten genießen. Ich zahle jetzt vorn an der Theke für Sie mit und schwirre ab. In Ihrer Sache sehe ich, was ich machen kann.«
»Schmutzler und Kollmannsberger sind die besten Stürmer, die Tennis-Borussia jemals hatte, meinen Sie nicht auch?«
»Spielen Sie nicht den Blödmann, Hemsberger.«
2
Hartmut Brücken rollte die Jacke zusammen und schob sie sich unter den Nacken. Mit einem Mutterschlüssel klopfte er das Rohr ab und horchte – es schien zentimeterdick verstopft zu sein mit Ruß und Rost. »Müssen wir abmontiern.«
»Kriegen wir nie wieder ran.«
»Wenn wir das Knie wegschmeißen.« Das mußte er entscheiden, dazu war er Meister. Vor einem Vierteljahr hätte er seinen Senf dazugegeben und stur auf Anweisung gewartet. Schöne Zeit als Arbeiter. Lennert grinste sich eins.
»Raus und in den Schrott. Hartmut, die Reparatur bezahlt mir keiner.«
Mit Lennert durfte er es nicht verderben. In einer Viertelstunde mußte er von dieser Murkserei umschalten auf das Lästigste, die Normen. »Ich schreib dir zwei Stunden, du knallst das Ding weg und brauchst nicht zur Besprechung anzutanzen.«
»Hervorragend, mein Alter.«
Lennert war zwei Jahre jünger als Brücken. In der Sitzung dann riß er womöglich das Maul auf. Das war nicht mehr wie bei der Infanterie: Wer moserte, schleppte als Schütze III Munition, bis ihm das Wasser im Arsch kochte. Einen wie Lennert mußte er mit Handschuhen anfassen. Also fort und Unterlagen aus dem Büro geholt.
Der Instrukteur begrüßte ihn freundlichst. Vor zwei Wochen habe er mit Schwiegervater Mannschatz an einem Tisch gesessen, ja, an dem Abend, an dem der Genosse Stalin gestorben war. Brücken beschloß: Keine Silbe von krustigem Schweinebraten und Sonderbier. Sie trafen sich in einer zugigen Hallenecke voll Gerümpel und verdreckten Bänken. Zwei Drittel der Brigade hockten da, die anderen waren unabkömmlich wie Lennert. Sie lümmelten herum, die Rücken gegeneinander gelehnt, den Blick zu den blinden Fenstern mit Spinnwebgardinen oder dem uralten Gerüst einer Transmission, Zigaretten drehend oder die Augen geschlossen. In das Gemurmel hinein begann der Instrukteur aufgesetzt forsch, beim Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR habe eine neue, entscheidende Phase begonnen. Der Klassenfeind wehre sich verzweifelt; wieder seien zwei Ingenieure republikflüchtig geworden. Noch werde untersucht, ob sie Pläne mitgenommen hätten, um sie drüben gegen Westmark zu verscheuern, als Eintrittsgeld in den Kapitalismus sozusagen. »Kollegen, mit eurem Meister habe ich schon über die Regulierung überholter Normen gesprochen. Wenn du uns mal den Stand erklären willst, Kollege Brücken?«
Das stimmte halb und halb: Neulich waren ihm ein paar Agitationsblätter in die Hand gedrückt worden. Aufpassen! »Ich verstehe das Ganze so, daß wir begründete und nicht generell erhöhte Normen anstreben.«
»Manche Normen sind jahrelang stehengeblieben, vor allem aufm Bau. Da liegen ungeheure Reserven, Kollegen!«
Schupp, der beste Schweißer, auf einer U-Boot-Werft an der Atlantikküste in Form geblieben, lag breitbeinig auf einem Bretterstapel. »Aber die Marmelade wird teurer.«
Man möge nicht kleinlich argumentieren, so der Instrukteur. Zuwenig Saatgut für Zuckerrüben, Untersuchungen seien im Gange. Im Hintergrund murmelte Meier: »Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein.« Brücken blickte Meier mit hochgezogenen Brauen an. Sein Einwand: »Wir haben eine Rohrbrücke zu neunzig Prozent fertig und kommen nicht weiter, weil wir keine Elektroden kriegen. Also auch keine Prämie.«
»In einem halben Jahr sieht alles anders aus. Deshalb müssen die Normen …«
Brücken ließ nicht locker: »Wir sind nicht gegen begründete neue Normen. Aber bei einer Reparaturbrigade ist jeder Auftrag anders. Meist wissen wir nicht, was wir zunächst an Schrott wegräumen müssen. So war’s immer.«
Jetzt wollte der Instrukteur sichtlich Oberwasser gewinnen, seine Stimme nahm einen ironischen Klang an. »Das war schon immer so – was ist das, Kollegen? Blanker Sozialdemokratismus, ’tschuldige. Wir gestalten aber einen revolutionären Umbruch. Viele Brigaden haben sich zur freiwilligen Erhöhung der Normen um zehn oder sogar fünfzehn Prozent bereit erklärt. Zum Beispiel in Hettstedt. Was meinst du, Kollege Brücken?«
»In ’nem anständigen Brigadevertrag muß drinstehen, daß die Bereitstellung von Material vorausgesetzt ist. Und da sehe ich schwarz.«
Aus dem Hintergrund: »Schwarz wie ’n Neger um Mitternacht.«
»Albert nicht rum. Wir kriegen seit einer Woche kein Gramm Lötzinn.«
»Aber jede Menge Blödsinn.«
»Du sollst den Quatsch lassen, Harry! Also gut. Ich gehe mit ein paar Kollegen noch einmal alle Positionen durch.«
Der Instrukteur setzte wieder an, ein Erfahrungsaustausch mit ähnlich gelagerten Brigaden in Halle könne zu einer Klärung führen, aber Meier und Schupp fragten Brücken, was er unternommen hätte, damit im Waschraum nicht nur aus einer Brause warmes Wasser fließe und das gerade bei Schichtende nur tropfenweise. Also endlich Feierabend, es war schon zehn Minuten über die Zeit. Aber da begann Schupp noch einmal über die Normen zu reden, pomadig klang das am Anfang, und alle dachten: Was soll der Quark noch? Schupp konnte sich allerhand leisten, und es klang nahezu freundschaftlich, als er dem Instrukteur riet: »Du, paß mal auf und erzähl das oben weiter, möglichst weit oben: Ich hab gehört, in Hettstedt hätten die Kumpels ’nen kleinen Sitzstreik eingefädelt, bloß ’ne Stunde auf beiden Backen, vielleicht war’s noch nich mal ’n Streik, sie verstanden was nich und haben gefragt, und die Zeit verging, und der Instrukteur begann zu schwitzen, und am Ende gab er zu: Neenee, alles ’n Mißverständnis, und die Normen blieben, und langsam kamen die Kumpel wieder in die Gänge. Verstehst du?«
Der Instrukteur hielt es wohl für das beste zu lachen, Schupp lachte nicht, und Brücken fand, das eben sei eine hübsche kleine handfeste Drohung nach Arbeiterart gewesen fürs nächste Mal.
Brücken fuhr nicht gleich nach Hause, sondern in die Nähe des Marktes, dort war ihm ein Kinderfahrrad versprochen worden, na, versprochen war ein zu klares Wort. Eine Verkäuferin hatte Lieferungen erwähnt, die Mitte des Monats kommen müßten, kommen sollten, wenigstens Rahmen für Kinderräder wären dabei, ein Vorderrad kriegte er von Gärtners, Gepäckträger und Sattel besaß er schon, bis zum Geburtstag von Thomas blieben sechs Wochen. Die Verkäuferin sprach mit einer Kundin, schüttelte zu ihm hin den Kopf. Da hätte er gleich abschwirren können, wartete aber, entsann sich, daß der Instrukteur von Sozialdemokratismus getönt hatte, das geschah immer öfter auch dann, wenn jemand