Sommergewitter. Erich Loest
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Читать онлайн книгу Sommergewitter - Erich Loest страница 6
»Warum haben Sie Arbeitskräfte von Buna abgezogen?«
»Weil es dort kein Material gab. Die Bleche kamen nicht.«
»Das konnte doch nicht ewig dauern.«
Schmolka wendete den Blick zu Pfefferkorn, ohne Scheu, prüfend. Der Untersuchungsgefangene saß auf einem an die Wand geschraubten Schemel, die Hände vorschriftsmäßig flach auf den Oberschenkeln. Er steckte in einem Drillichanzug mit eingenähten gelben Streifen, das Haar war an den Seiten mit der Maschine geschnitten, oben blieb eine komische Bürste. Schmolkas Antworten klangen nicht wie von einem, der mit den Nerven am Ende war; fünf Monate Haft hatten ihn keineswegs zermürbt. Wenn sie ihn in ein paar Wochen vor Gericht stellten, würde er kein schlotterndes Häuflein Elend darstellen. Also Ausschluß der Öffentlichkeit.
»Ich hatte vier Leute dort, zwei ließ ich für Restarbeiten, die beiden anderen setzte ich zum Bahnhof Eisleben um. Dort sollte meine Firma Bahnsteigüberdachungen abbrechen.«
»Das ist nicht mehr Ihre Firma, Schmolka!«
»Damals war sie es, und wir reden von damals.«
»Werden Sie nicht frech, Schmolka!«
Diese Schärfe fand Pfefferkorn übertrieben, der Vernehmer wollte wohl Eindruck auf seinen Chef machen. Überall beim MfS waren zu junge Genossen am Werk, wenigstens verfügten einige über gewisse Erfahrungen bei der Kripo. Schmolka schwieg, und Pfefferkorn überlegte: Mit dem da konnte schwerlich ein Sündenbock für alle Mängel in der Schwerindustrie gefunden werden, er gab allenfalls ein Sündenböckchen ab, wenn Sindermanns schärfste Jungs bei der Berichterstattung kräftig draufsattelten. Pfefferkorn nahm einen stärker werdenden Geruch wahr – Fäkalien und Chlor, in einem der Stockwerke über ihm wurde gekübelt: Die Häftlinge trugen ihre Eimer zu einer Zelle am Ende des Gangs, dort kippten sie aus, spülten mit Wasser nach, füllten Chlorkalk ein, blankes Mittelalter. Das kannte er: Wer zuwenig Chlor einlöffelte, hatte den Scheißegestank um die Nase, bei zuviel blubberte das Gas unter dem Deckel hoch. Das richtige Maß fand ein Häftling erst nach Wochen. Der Antrag, wenigstens einen Flügel auf Wasserspülung umzubauen, war gerade erst wieder abgelehnt worden – Überbelegung und zu hohe Kosten, im nächsten Plan vielleicht.
»Wie war das mit dem Verschieben von Lötzinn nach Westberlin durch Ihre Leute?«
»Davon weiß ich nichts, und ich halte es auch für unwahrscheinlich. Die Zuteilung war zuletzt so minimal, daß die Kontrolle leicht fiel.«
»Und Sie selber?«
Schmolka schwieg, legte den Kopf schief, lächelte.
»Ihnen wird das Lachen noch vergehen, Schmolka!«
»Ist schon weitgehend.«
»Also raus mit der Sprache!«
Schmolka war seine Klitsche los, dazu reichte es immer. Ein Ausbeuter weniger, Prozeß ohne Schmiß und Eleganz. Wahrscheinlich mußte die halbe Speckseite doch noch herhalten. Pfefferkorn wünschte sich einen schurkischen Angeklagten, einen wuchtigen Vernehmer und ein knalliges Verbrechen, eine runde große Sauerei. Die Firma würde einem volkseigenen Betrieb angegliedert, das Wohnhaus enteignet, die Frau haute mit ihren Kindern nach dem Westen ab – Routine.
Nach einer halben Stunde ging Pfefferkorn leise hinaus. Von seiner Dienststelle aus rief er daheim an – Thekla saß längst vor ihren Büchern. Die Bezirksparteischule experimentierte mit einem häuslichen Studientag, schwierig für alle, die noch nicht gelernt hatten, wie man ihn nutzte. »Guten Morgen, großer Genosse!« rief sie, »und herzliche Grüße von der wissenschaftlichen Front!« Sie lese im »Antidühring« von Engels ein paar Stellen, die von der Schulleitung nicht zur Lektüre ausgewählt worden seien, und finde sie spannend. Verzettele dich nur nicht, wollte er ihr raten und behielt es für sich. Sein Tag sei noch lang, ja, er sei herzlich einverstanden, wenn sie am Abend seine Mutter besuchte. Er käme diese Woche bestimmt nicht mehr dazu. Und frohes Schaffen!
Kodelwitz war fort zu einer Kreisdienststelle, den Terminplan hatte er ergänzt: Bei Wettin war ein Hetzballon niedergegangen. Die Sekretärin wußte mehr: Er war in einer Starkstromleitung hängengeblieben, Gefahr von Kurzschluß und Waldbrand bestand. Außerdem: Der Genosse Oberstleutnant möge in Ammendorf nachfragen, was in einer Entwicklungsabteilung passiert war – Drohung mit Streik, sollte das Betriebsessen nicht besser werden. Neuerdings nahm das Wort »Streik« überhand – begriff denn niemand, daß es in eine überwundene Epoche gehörte? Ermitteln, in welchem Maße dort ehemalige Nazis oder Offiziere konzentriert waren. In Merseburg stockte die Kartoffelversorgung, wer nicht reichlich eingekellert hatte, stand hungrig da. Es wurde verdammt Zeit, daß das erste Frühgemüse in die Läden kam. Wozu war er eigentlich da, Mädchen für alles? Wenn er sämtliche Leiter für Versorgung vor den Kadi brachte, wuchs deshalb kein einziges Radieschen zusätzlich.
Der Ballon, den ihm der Leiter der Kreisdienststelle vorführte, hatte einen Durchmesser von knapp einem Meter und trug eine Vorrichtung, die nacheinander bis zu zweihundert Flugblätter ausklinken konnte. Die Mechanik – Bastelarbeit. Der Text sprach von Druck auf Mittel- und Großbauern. Die Versorgung mit Saatgut in der Zone werde von Jahr zu Jahr miserabler. Neuerdings gelte die Anweisung, jede Fläche mit irgendeiner Frucht zu bestellen ohne Rücksicht auf Bedarf oder Versorgungsplan – das stimmte, leider. Überall ginge die Milchleistung zurück. Stimmte auch. Karikaturen von Ulbricht und Grotewohl wie üblich. Ein Bauer aus dem Harzvorland, jetzt in Schleswig-Holstein, gab seinen Namen für einen Artikel her, der unmöglich aus der eigenen Pfote stammen konnte: SED-Funktionäre hätten ihn zur Verzweiflung getrieben, weil er sich nicht in die LPG habe pressen lassen, sein Ablieferungssoll sei unerträglich hochgetrieben worden, bis ihm keine Luft mehr blieb. Roter Terror, selbst seine Kinder … Pfefferkorn riet, den Ballon in einem Schaufenster auszustellen, Erläuterungen dazu: Um ein Haar sei er aufs Dach eines Kindergartens gefallen. Vor nichts schreckten die Kriegstreiber zurück – etwa in diesem Sinne. »Macht was draus, Genossen!«
Jetzt noch einen Besuch? Es mußte nicht bei jedem Gespräch etwas Konkretes herauskommen. Pfefferkorn ließ am Haus von Mannschatz vorbeifahren und wenden; hundert Meter entfernt sollte der Genosse Fahrer warten. Doppelte Konspiration, sein Berater schärfte ihm das immerzu ein. Keine Kumpanei mit dem Fahrer! Sie waren per du, das ließ sich nicht rückgängig machen. Die sowjetischen Genossen lebten derlei vor: Einem Offizier, der zum Bahnhof ging, trug ein kurz geschorener Muschik mit zwei Schritten Abstand den Sperrholzkoffer hinterher.
Die Gartentür stand offen, Pfefferkorn ging langsam an der Giebelseite entlang. Vom Sitzen im Auto waren seine Beinmuskeln schlaff geworden, er »eierte«, ein Begriff aus der Kindheit. Ein etwa achtjähriger Junge hockte an einem Sandplatz, Mannschatz kratzte Farbreste von einer Schuppentür. Jetzt, im fleckigen Hemd, das dünne Haar wirr, erschien er älter und verbrauchter als beim Wiedersehen in Halle.
»Das ist aber mal ’ne Überraschung!«
»Die Seele meines Berufs, Alfred.«
Mannschatz legte die Drahtbürste weg und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. »Wird Zeit, daß alles wieder bißchen Farbe kriegt.«
»Hast du genug?«
»Man muß sich kümmern.«
Pfefferkorn schaute sich um: Kaninchenstall mit gut einem Dutzend Boxen, Hühner in einem Drahtkäfig.
»Gehn