Sommergewitter. Erich Loest

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Sommergewitter - Erich Loest

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– er würde jede Bemerkung in diese Richtung vermeiden. Mannschatz wolle Kissen holen. Und was zu trinken. Stachelbeerwein? Nach ein paar Minuten war er mit einem Tablett wieder da, hatte eine Drillichjacke übergezogen. Unterdessen fragte Pfefferkorn den Jungen, wie er heiße und in welche Klasse er gehe. Etwas anderes fiel ihm bei Kindern selten ein. Thomas, aha, schöner Name. Der Junge machte sich hinters Haus davon.

      Mannschatz goß ein, der Wein schimmerte tief dunkel. Seine Frau habe Spätschicht in ihrer Betriebsküche, Tochter und Schwiegersohn müßten bald kommen. Ja, seine Tochter habe bei der Reichsbahn gelernt von der Pike auf. Reichsbahn sei wie eine Familie, dort gäbe es nicht diese Fluktuation wie in der Industrie neuerdings. Und kaum Republikflucht. Stachelbeerwein hätte er letztes Jahr soviel angesetzt, wie er Flaschen auftreiben konnte. »Prost, Meiner! Hast in der Nähe zu tun?«

      »Das auch.« Pfefferkorn bot Zigaretten an, diesmal aus normaler Schachtel. Er hätte Schnaps mitbringen können, hätte womöglich großkotzig gewirkt. »Vor allem will ich dich wiedersehen. Nicht immer im Dienst stecken mit immer den gleichen Problemen. Schmeckt, dein Wein.«

      »Und geht in die Birne.«

      »Wie bist du denn durch den Krieg gekommen?«

      Zur Organisation Todt sei Mannschatz ab 1943 gezogen worden; soviel wußte Pfefferkorn. Vorher unabkömmlich im Betrieb. Danach kurze Zeit in sowjetischer Gefangenschaft, ein paar Wochen in der Tschechoslowakei. Und wo im Einsatz? Norwegen, Ukraine, Bau und Reparatur von Brücken. Auch die Organisation Todt war zur Partisanenbekämpfung herangezogen worden, zumindest hatte sie ihre Baustellen bewacht und verteidigt. So war es bei neunzig Prozent aller Genossen in diesem Alter – kein Lebenslauf ohne Flecken, das Klassenbewußtsein versaut. »Hab wegen deiner Kur angefragt.« Das stimmte nicht, er würde es nächste Woche nachholen. »Wäre was für dich, Alfred, Mitarbeit in der Veteranenkommission.«

      »Ehrlich, Bruno, bei uns in Bitterfeld sind da nur Genossen aus der KP drin.«

      »Ist grundsätzlich nicht so, kann ja gar nicht. Vielleicht drängt sich niemand sonst zu dieser Arbeit? Mir ist inzwischen einiges eingefallen. Wir lagen damals noch eine ganze Weile auf diesem Damm. Drüben zog die Sipo auf in Schützenkette, und wir hatten fast keine Munition mehr. Du hast mir ’nen Patronenrahmen zugeworfen.«

      »Ich denk kaum noch an die alten Geschichten. Der Aufstand war von Anfang an falsch, wir mußten schließlich verlieren. Hunderte Tote, ein paar tausend Jahre Zuchthaus. Ich bin ja mit ’nem blauen Auge davongekommen.«

      »Mit deinen Patronen hab ich mir den Weg freigeschossen. Sonst hätten sie mich totgeschlagen.«

      »Dann sind wir ja quitt.«

      »Unsere große Zeit, Alfred.«

      Ein Mann in einem Schlosseranzug schob sein Fahrrad in den Gang. Mannschatz stellte vor: Hartmut Brükken, der Schwiegersohn, frischgebackener Meister. »Ach Scheiße«, sagte Brücken, »den Titel kannste dir an den Hut stecken.« Der Genosse Pfefferkorn aus Halle – aha, sein Schwiegervater habe von der Zusammenkunft neulich erzählt. Brücken stellte sein Fahrrad ab und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

      Mannschatz fragte: »Wie war’s heute?«

      »Wenn wir so weitermachen, ist der Plan gleich wieder im Eimer.«

      Pfefferkorn: »Welcher Plan und warum?«

      »Wir bauen ’ne Rohrbrücke, das heißt, wir sollen sie bauen. Aber die meisten Zeichnungen sind Pfusch. Ich hab noch nie so ’ne Hektik erlebt.« An diesem Wort klebte Brücken: Hektik, als ob damit irgend etwas schneller ginge, Hektik in der Planung und ohne Sicherheit beim Material, Hektik in der Werkleitung und der Betriebsgewerkschaftsleitung dort hätte der Vorsitzende den Krempel hingeschmissen. Natürlich diente nun die Gewerkschaft als Sündenbock.

      Pfefferkorn: »Und warum haust du nicht auf den Tisch?«

      »Da hauen schon viel zu viele auf zu viele Tische. Wir brauchen Ruhe und Material, das isses.«

      Ein Kerl wie ein Baum, fand Pfefferkorn, der konnte von Glück reden, daß ihn die Waffen-SS nicht geschnappt hatte. Vielleicht hatte sie ihn zu keilen versucht, aber ein Arbeiterjunge meldete sich freiwillig weder dorthin noch zur Marine oder den Fallschirmjägern, sondern ließ sich einziehen. Helle Augen, die den Gesprächspartner nicht losließen. Schnelle Sprechweise. So einer gehörte ins Studium, mußte die bürgerliche Intelligenz ersetzen. Wenn Thekla so einen kennenlernte – dieser Gedanke war neu, Pfefferkorn versuchte nachzuspüren, inwieweit er quälte oder zur Beschwichtigung einlud: So war der Lauf der Welt. Warum sollte es nicht funken, wenn ihr so einer über den Weg lief. Das wäre nicht fremdgehen im landläufigen Sinne, sondern Ausgleich für Opfer, Belohnung für Opfer, er müßte es schaffen, solch eine Situation, sollte sie eintreten, von außen zu sehen, schön, schlecht, schönschlecht. Kein Thema für heute, ein Problem hoffentlich nie. Pfefferkorn überlegte, wie lange er noch bleiben sollte. Eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand trat an den Tisch. »Meine Tochter Clara mit dem sonnigen Enkelkind.« Mannschatz beugte sich hinab, flüsterte: »Bienchen, Bienchen« und ließ ein Summen folgen. Eine hübsche, gesunde, fröhliche Frau – Pfefferkorn fühlte ein Stechen in der Brust wie stets, wenn er an seine Tochter und die beiden Enkelinnen erinnert wurde, ums Leben gekommen bei einem Bombenangriff auf Dessau.

      Thomas kam hinzu und quengelte, sein Vater habe ihm versprochen, ihn auf dem Fahrrad um die Siedlung zu fahren – wann denn endlich? Jaja, nach dem Abendbrot. »Das hast du schon gestern gesagt!« Clara verzog sich mit den Kindern – jetzt aber ab in die Wanne, ihr Ferkelchen! Pfefferkorn tat überrascht, er müsse los und wolle den Familienbetrieb hier keinesfalls aufhalten. Brücken schenkte sich noch einmal Obstwein ein und blieb bei seinem Bild: Der ganze Betrieb voller Tische, an denen unentwegt und immerfort entschieden wurde, und niemand ahnte oder wollte auch nur wissen, wie es an den Nachbartischen zuging. Keinen treffe irgendeine Schuld außer der Gewerkschaft und natürlich dem Schuft von Dispatcher, der angeblich die geheimsten Papiere mitgenommen hatte. Und ihn an der Rohrbrükke beiße jeder irgendwie zuständige Hund.

      »Gute Formulierung«, lobte Pfefferkorn.

      »Müßtest Hartmut mal in seiner Brigade erleben, wenn er in Fahrt kommt.«

      »Und nichts ändert.«

      Pfefferkorn bedankte sich für Wein und Gesang und überlegte, ob es großkotzig wirken würde, wenn er die halbvolle Packung liegen ließe. Er nahm noch zwei Zigaretten heraus und steckte sie in die obere Jackettasche. Also auf, Genossen, der Tag sei für ihn noch nicht vorbei.

      Mannschatz ging mit zur Pforte. Genossen wie sein Schwiegersohn würden überall gebraucht, versicherte Pfefferkorn, in jedem Betrieb, jeder Verwaltung, bei der Kasernierten Polizei. Hartmut sei nicht in der Partei, sagte Mannschatz, und Pfefferkorn erwiderte, das ließe sich ändern. Mann, diese Perspektiven, nie war es der Jugend so leicht gemacht worden!

      Familie wie aus dem DDR-Bilderbuch, fand Pfefferkorn während der Rückfahrt, natürlich nicht ohne verquere Vergangenheit. Vor zehn Jahren stand Mannschatz Wache an einer Brücke gegen die Partisanen, seine Söhne waren Soldat oder schon tot. Clara lernte bei der Reichsbahn unter der Parole, Räder müßten rollen für den Sieg. Er selbst im KZ bei der Produktion von Karabinern 98k als Vorarbeiter von Serben, Griechen und rumänischen Juden. Als Funktionshäftling mußte er sich keine Glatze schneiden lassen. Den Karabiner, den Mannschatz an der Schulter trug, hatte er als Kontrolleur abgenommen. Die Waffe war erstklassig, keineswegs hatte ein Häftling sabotierend den Schlagbolzen abgebrochen, wie er es neulich in einer Erzählung gelesen hatte. Tja, die jungen Genossen Dichter.

      Wieder Schmerzen in den Beinen.

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