Sommergewitter. Erich Loest

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Sommergewitter - Erich Loest

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war auf Rügen gewesen. Dort erzählten alle, die Insel solle zur Festung ausgebaut werden, Hotels würden enteignet. Der Jasminer Bodden werde als Liegeplatz für eine gewaltige Flotte aufgerüstet, ein rotes Scapa Flow. »Die Armee kriegt fünfzig Generäle und die Flotte sieben Admirale. Könnt ihr euch das vorstellen?« Jetzt müßte man dort oben sein, was da alles gebraucht würde: Verwaltungsdirektoren, Kulturleiter, Parteisekretäre – wer sofort mitmischte, schnitt sich die besten Stücke aus dem Kuchen.

      Clara fragte fröhlich: »Und was würdest du am liebsten?«

      Gärtner blickte ernst. Nach seinen Fähigkeiten vielleicht am besten in die Kaderleitung, Fachkräfte nachziehen, Schulungen organisieren, ja.

      Da fingerte Hartmut Brücken eine weiße Schachtel aus der Tasche und klopfte Zigaretten heraus. »Hat mir mein Schwiegervater geschenkt.« Der Genosse Alfred habe das Edelkraut bei einer Parteiveranstaltung in Halle abgestaubt. In solch noblen Kreisen verkehre er für gewöhnlich nicht, sie hätten Stalins Tod gefeiert – na, das war nun keinesfalls der richtige Ausdruck. Brücken vermutete, die Lullen würden in Dresden hergestellt, die Russen hatten sich die dortigen Zigarettenfabriken unter den Nagel gerissen. Die deutschen Spitzengenossen kriegten hin und wieder ein paar Schachteln ab, oder?

      »Mein Vater hat danach ziemlich rumgedruckst.« Clara war sich nicht sicher – wegen des Katers, oder weil ihm das ganze gestunken hatte? »Er maulte: Du mußt doch nicht denken, daß sich Pieck seine Papyrossi selber dreht.«

      »Aug in Aug mit der Macht.« Brücken war bester Stimmung. »Der schlichte Genosse von der Basis schnuppert Höhenluft. Gut, daß mein Schwiegervater mal ahnt, wie Politik wirklich abläuft.«

      »Ich laß nichts auf meinen Papa kommen.«

      »Brauchst auch nicht.«

      »Und dann«, Gärtner wollte gewichtig klingen, »Hartmut, mußte in die Partei.«

      »Muß nicht.«

      »Wenn du Leiter werden willst …«

      »Ob ich eintrete, ist die Frage, ob ich jemals da reinlatsche. Aber als Koppelgeschäft – nie.«

      Gärtner habe brutalsten Gruppendruck erlebt, als er und seine Kameraden im Wehrertüchtigungslager in die Waffen-SS gepreßt werden sollten. Nachdem die ersten drei unterschrieben …

      »Ach, kein Thema für heute abend.«

      Clara schaute bewundernd auf ihren Mann – allerliebster Dickschädel, herrlicher Sturkopp, und nur sie wickelte ihn um den Finger, manchmal. Sie sah sich vor einem Bauernhaus, Windeln flatterten. »Opa und Oma kommen auf ein paar Wochen. Euch quartieren wir im Gasthof ein. Die Bäuerlein drängen Hartmut ihre Gänse und Schweinchen förmlich auf, denn er repariert ihnen am Abend ihren Schrott. Ihr fahrt zurück mit dem Koffer voll Räucheraal, denn nahebei ist ein See und der Fischer mein Verehrer. Die Hauptsache: Unsere drei Kinder wachsen in sauberer Luft zu Prachtkerlen heran.«

      Gitta Gärtner begriff zuerst: »Drei?«

      Clara strahlte, Hartmut warf sich in Siegerpose, tja, die Sache stünde fest, zum Thomas und dem Bienchen gesellte sich demnächst die Nummer drei. Oma und Opa, die Kindernarren, seien geradezu aus dem Häuschen.

      »Sieben Tage lang wart ich schon auf dich« stand auf der RIAS-Hitparade weit oben. Der Schlagzeuger griff zur Klarinette, reckte sie steil, schwenkte sie über die Kante des Podiums. Der Pianist drosch aus Augenhöhe auf die Tasten, wildes Bekenntnis: Jetzt stürmen, stürzen alle Gedanken nach Westberlin, zum RIAS und seinem Tanzorchester, zu Bully Buhlan und Rita Paul in der Waldbühne. Wenn die Combo jetzt eins draufsetzte mit »Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm«, verbannten die Verantwortlichen womöglich den Gaststättenleiter in eine Bruchbude der Preisstufe II ins Vogtland, und die Musikanten verloren ihre Auftrittsgenehmigung. Aber es blieb bei halber Provokation. Pause.

      Kein anderes Thema mehr als das im Anmarsch befindliche Kindchen. Bestürzung zunächst, als die Periode ausgeblieben war und sich trotz sanfter Hausmittelchen nicht einstellen wollte. Das kannten alle vier und nickten bitterernst. Gärtner rief nach Sekt, den brauche er auf den freudigen Schreck. Eine künftige Mutter finde nichts Belebenderes für die Milchproduktion als ein perlendes Schlückchen – da kriegte er von seiner Frau eins auf den Mund. Hehe, eine Runde auf Gärtners Rechnung! Vier Herrengedecke, und wenn Clara vernünftigerweise nicht mittrinken wolle, genüge ein symbolisches Nippen. Was für ein Abend!

      Mecklenburg oder nicht – Brücken fühlte sich oben. In seiner Bude zerrten sie an ihm und bewiesen jeden Tag, was er ihnen wert war. Wenn er in die Taiga zog, lag es an ihm, wie er sein Leben aufbaute, ausbaute. Wenn er Bitterfeld »die Treue hielt«, wie es ein Arsch von der Parteileitung formuliert hatte, konnte er Forderungen stellen: Ich brauche zwei von den neusten Schweißapparaten für meine Brigade, sonst …

      Mit dem Rhythmus kam der Schlagzeuger schlecht zurecht, hilfesuchend blickte er zum Pianisten. Brücken vermutete Südamerikanisches, Samba vielleicht. Wenn er von derlei Taktgewirr auf der Tanzfläche überrascht wurde, schaltete er resolut auf Foxschritt. Der Saxophonist ließ sein Instrument sinken und starrte vor sich hin. Aus seinem Mundwinkel kroch ein dunkler Faden und sickerte zum Kinn. Brücken wollte Gärtner anstoßen, da ruckte der Saxophonist nach vorn, ein Schwall brach aus seinem Mund, Kotze oder Blut. Brücken war sofort hoch und ein paar Schritte über die Tanzfläche, packte schlaffe Schultern und begriff: Blutsturz, wie er ihn bei einem Kollegen erlebt hatte in spätem Stadium der Tbc. Der Schlagzeuger öffnete die Schlaufe des Saxophons und legte das Instrument behutsam zur Seite, murmelte: Ganz ruhig, Gustl, ganz ruhig. Brücken blickte an sich hinunter, er hatte nichts abbekommen. Am Tisch waren sie sich einig: Unverantwortlich, so herumzulaufen und seine Tuberkel in die Luft zu pusten. Bloß raus!

      Während Brücken und Gärtner zahlten, setzten sich Pianist und Schlagzeuger wieder hinter ihre Instrumente. Sie begannen mit »Moonlight Serenade«. Nein, versicherte der Kellner, so was sei noch nie passiert, der Mann arbeite hier seit Wochen. Ja, sie hätten einen Arzt gerufen. Bei »Pennsylvania 6-5000« riefen die Musikanten dazwischen: »Zwo-drei-vier – jetzt ein Bier.« Clara fürchtete, sich übergeben zu müssen, wenn sie nicht sofort ins Freie kam. Sie liefen die Treppe hinab und durch die Passage auf den Markt. Tagelang freue man sich auf einen schönen Abend, und dann das. Gärtner schüttelte den Kopf; sogar in russischen Gefangenenlagern habe es Isolierbaracken gegeben.

      Langsam gingen sie zum Hauptbahnhof; andermal waren sie gerannt, um den letzten Zug zu erwischen. Clara spürte ein Kribbeln in den Brustspitzen – schwer vorstellbar, daß die Dingerchen sich jetzt schon aufs Stillen einrichteten. Ihre Gedanken kreisten unablässig ums Würmchen, bei den beiden anderen Kindern war das nicht so kraß gewesen. Wenn es zehnmal bei der Reichsbahn drunter und drüber ging, das Muttertier baute sich seine Höhle. Sie stellte sich vor, sie wohnten am Rande eines Dorfes, den Korb stellte sie neben der Hoftür in die Sonne. Das Baby lauschte aufs Sirren der Schwalben, das mochte es. Katze auf der Türschwelle. Kein Gestank aus Chemieküchen, kein Rußregen.

      Ihr Zug stand vor der Halle in völliger Dunkelheit. Erst im sechsten Abteil fanden sie einigermaßen schließende Fenster. In die »Femina« kämen sie nicht so bald wieder, darüber waren sie sich einig. Nächstes Wochenende sollten sie daheim ein Gesöff aus Bergmannsschnaps und Kunsthonig mixen, »Kumpeltod« der sanften Variante. Herrliche Zeiten brachen an, sie soffen nur noch zu dritt.

      Der Zug war pünktlich.

      3

      Bruno Pfefferkorn spürte ein quälendes Zerren die Beine hinauf; die Muskulatur hatte in der Haft stärker gelitten, als er sich eingestehen wollte. Daran würde er eines Tages

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