Eisblumenblüte. Isolde Kakoschky
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Ihr Leben spielte sich sowieso mehr in der Firma ab als zuhause. Viele Jahre war sie nun schon Disponentin in der Futtermittelhandlung mit eigenem Speditionsbetrieb. Das Mischfutterwerk hatte es schon in der DDR gegeben, allerdings unter einem anderen Namen. Nach der Wende kamen Investoren aus dem Westen. Damals ging die Angst um die Arbeitsplätze in der Gegend um. Hier oben im äußersten Nordosten, erst der DDR, später des vereinigten Deutschlands waren die Arbeitsplätze nie so dicht gesät. Doch es war alles gut gegangen, die Firma wurde modernisiert, erweitert und fungierte jetzt als Vertriebsstandort; und nach einem Computerlehrgang fühlte sich Kristina fit für neue Herausforderungen. Das war nun bald 20 Jahre her. Damals hatte sie auch immer noch an Kinder und die Gründung einer Familie gedacht, doch kaum eine Beziehung hielt so lange, um aus dem Gedanken mehr werden zu lassen. Spätestens nach der ersten Begegnung mit ihrer Mutter hatten die potenziellen Schwiegersöhne die Flucht ergriffen. Dass ihre Mutter nicht gut auf Männer zu sprechen war, konnte niemandem entgehen. Einmal, so um ihren 18. Geburtstag herum, hatte Kristina es gewagt, sie nach ihrem Vater zu fragen. Den bitterbösen Blick in Mutters Gesicht hatte sie nie vergessen. »Sprich das Wort niemals mehr in meiner Gegenwart aus!«, hatte sie wütend geschrien. Und Kristina hatte es nicht wieder getan. Als die Mutter
starb, bereute sie es, denn nun waren alle Quellen versiegt, noch etwas zu erfahren.
So in Gedanken versunken, war sie auf der in dieser Jahreszeit wenig befahrenen Straße in Richtung Küste unterwegs. Über die Peenebrücke gelangte sie auf die vorgelagerte Insel. Vor ein paar Jahren, nach dem Tod ihrer Mutter, hatte sich Kristina in einem der Küstenorte eine schöne, sanierte Altbauwohnung gesucht. Die zwei Zimmer reichten für sie und ihren tierischen Mitbewohner aus, aber das allerbeste war die Terrasse mit Meeresblick. Hier war ihre kleine Oase, in die sie sich nach der oft stressigen Arbeit zurückziehen konnte. Für die Terrasse eignete sich das Wetter zwar nun nicht mehr, doch auf ihrem gemütlichen Sofa, mit dem Katerchen neben sich, ließ es sich auch aushalten.
Kristina parkte das Auto auf dem Stellplatz im Innenhof und öffnete auf dem Weg in die Wohnung ihren Briefkasten. Sie entnahm ihm eine Katalogwerbung, ein Faltblatt mit den Angeboten der ortsansässigen Fleischerei für das Wochenende und einen einfachen weißen Umschlag, dem sie zunächst keine Bedeutung beimaß.
Erst nachdem sie die Schuhe von den Füßen gestreift, ihre Jacke an die Garderobe gehängt und dem Kater seinen Fressnapf gefüllt hatte, fiel ihr Blick wieder auf den Brief. Absender war eine Berit Schwerzer, der Name sagte ihr gar nichts, aber der Ort war ihr nicht unbekannt. Dort hatte sie einmal gewohnt, dort im
Mansfelder Land. Es schien ihr, als sei das eine Ewigkeit her. Eine Nachricht, die wie aus einem anderen Leben zu ihr kam. Kristina drehte den Brief zwischen den Fingern hin und her und ließ sich in den Sessel fallen. Wer schrieb ihr hier, und warum? Der Kater schnurrte um ihre Beine als wolle er ihr sagen: Wenn du es wissen willst, musst du den Brief aufmachen! Unbewusst nickte sie, natürlich musste sie den Brief öffnen! Sie suchte nach einem passenden Gegenstand und riss dann doch ungeduldig mit den Fingern den Rand auf. Ihre Augen glitten über die eng beschriebenen Zeilen. Als sie das Blatt von oben bis unten überflogen hatte, war die erste Frage zwar beantwortet, doch es taten sich neue auf. Eines hatte sie verstanden, es sollte ein Treffen geben mit ehemaligen Mitschülern, kein Klassentreffen, sondern ein Jahrgangstreffen aller Parallelklassen. Dann war diese Berit wohl in einer Parallelklasse von ihr gewesen. Doch was wollten die jetzt, nach so vielen Jahren, von ihr? Sie war nur ein halbes Schuljahr überhaupt in dieser Schule gewesen, erinnerte sie sich nun langsam. Und woher hatten die überhaupt ihre Adresse? Ach ja, da stand es doch, und nun entsann sie sich auch, sie hatte sich bei dieser Seite angemeldet, die versprach, alte Freunde zu finden, schnell und kostenfrei. Warum eigentlich? Sie wusste es nicht mehr. Wollte sie finden oder gefunden werden? Nun war es eben passiert.
In der Küche entkorkte sie eine Weinflasche und goss sich ein Glas voll. Es war unanständig viel im Glas, aber das brauchte sie jetzt. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Eigentlich erinnerte sie sich kaum noch an die Zeit damals, obwohl sie doch schon 13 Jahre alt war, als die Mutter mit ihr die Stadt verlassen hatte. Und die Familie. Ja, damals hatte sie eine Familie gehabt. Daran erinnerte sie sich jetzt wieder. Verdammt noch mal, sie musste doch noch mehr wissen! Und Bilder, es musste doch Bilder geben aus dieser Zeit!
Der Karton! Wie ein Geistesblitz schoss es ihr durch den Kopf. Da war ein Karton gewesen. Er hatte ganz hinten im Kleiderschrank der Mutter gestanden. Nur flüchtig hatte sie hineingesehen, so viele andere Dinge waren wichtiger gewesen, damals vor 15 Jahren, als die Mutter innerhalb weniger Wochen gestorben war. Und dann war er einfach in Vergessenheit geraten. Kristina sprang auf. In der Abstellkammer musste er sein. Sie schob leere Blumentöpfe und ein paar Konservendosen zur Seite und kletterte über ein ausrangiertes Beistelltischchen. Dort, ganz hinten im Regal musste der Karton stehen. Als sie ihn endlich gefunden hatte, war er viel kleiner als erwartet. Und auch der Inhalt enttäuschte sie eher. Ein Kalender von 1971, eine zerrissene Halskette, und ein paar Fotos von Häusern, die ihr fremd waren und von Menschen, die sie nicht kannte, das war´s. Das erschien ihr nun gerade nicht wie die Offenbarung. Sie klappte den Deckel wieder
zu. In ihrer Magengegend machte sich ein deutliches Grummeln bemerkbar. Es war eindeutig besser, sich jetzt eine Pizza in den Ofen zu schieben, als weiter hier über die Vergangenheit zu grübeln. Sie musste ja nichts übers Knie brechen, das geplante Treffen war erst nach Weihnachten.
2. Kapitel
Am Abend zuvor war es spät geworden, erst gegen Mitternacht hatte sich Kristina ins Bett gelegt und doch kaum Schlaf gefunden. Zu viel geisterte durch ihre Gedanken. Nun kam sie nicht in Gang. Sie sah von der Terrasse in Richtung Meer. Doch statt Meeresblick zeigte sich nur eine trübe Nebelmasse. Das Wetter hatte sich geändert, die dünne Schneedecke war wieder geschmolzen, das undurchsichtige Grau war definitiv kein Wetter zum wach werden. Auch die Fahrt mit dem Auto zog sich in die Länge, so dass sie ungewohnt spät ihre Arbeitsstelle erreichte. Sie registrierte Marks Blick durch seine geöffnete Bürotür und hob grüßend die Hand. Bestimmt hatte er schon auf die Uhr gesehen und sich gefragt, wo sie heute steckte. Kristina entging es nicht, dass sie dem Kollegen nicht gleichgültig blieb. Mark war in ihrem Alter, geschieden und sah noch immer recht attraktiv aus. Ab und zu gingen sie gemeinsam am Abend etwas essen. Doch über ein gutes, kollegiales Verhältnis waren sie nicht hinaus gekommen.
Schon bald nahm sie der Büroalltag wie üblich in Anspruch. Sie hatte den Rechner hochgefahren, checkte ihre Emails und orientierte sich anhand der Karte auf dem Monitor, wo die Fahrzeuge der Firma gerade fuhren oder zum Beladen und Entladen standen. Als die Post kam, begann sie, die eingegangenen Lieferpapie-
re, Wiegescheine und Rechnungen zu sortieren, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.
»Kaffee?« Mark stand mit einer Tasse des duftenden Getränks vor ihr.
»Danke.« Sie nahm ihm die Tasse ab und trank einen kleinen Schluck.
»Was ist los, Kristina? Ist das Auto kaputt oder der Kater