Eisblumenblüte. Isolde Kakoschky
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»Ja, wirklich. Sie hat schon am Freitag gemailt, aber ich habe es erst heute gelesen. Ich habe unseren Paul wieder heimgebracht. Na, und die kleine Lina musste ich doch auch endlich begrüßen!«
»Ach ja, ihr seid ja wieder Großeltern geworden, ich gratuliere auch noch.« Karsten war froh, dass Berit ihm die Gelegenheit gab, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen und stieg dankbar auf ihr Thema ein. »Falls unser Benni nicht ebenso so ein Spätzünder ist wie ich, dann werde ich das hoffentlich auch noch mal erleben.«
Er war schon 40 gewesen, als er seine zehn Jahre jüngere Frau geheiratet hatte und ein paar Jahre später war Benjamin zur Welt gekommen.
»Bei Markus und Tanja dürfte die Familienplanung damit abgeschlossen sein«, mutmaßte Berit über ihren Sohn und dessen Frau, »und Julia und Sebastian werden sich wohl noch etwas Zeit lassen, schließlich ist Julia mitten im Studium.« Ihre Tochter war ja gerade erst 20, da hatte sie noch viel Zeit.
Inzwischen hatte sich Karsten wieder etwas gefangen.
»Mensch Berit, was mache ich denn jetzt? Nun, wo ich weiß, dass du Kristina aufgespürt hast und sie sogar kommen wird, kann ich es kaum erwarten, sie endlich wiederzusehen. Über 40 Jahre, was für eine lange Zeit! Hat sie noch etwas geschrieben? Wie geht es ihr und Marianne?« Die Ungeduld war ihm deutlich anzumerken.
»Nein, leider nichts weiter. Die Mail war sehr kurz gehalten. Ich werde ihr auf jeden Fall antworten, dass wir uns freuen, sie hier zu treffen. Vielleicht schreibt sie dann etwas mehr.«
»Ja gut, mach das.« Karsten hätte jetzt so viele Fragen gehabt, so viele Gefühle stürmten in diesem Moment auf ihn ein, doch er wusste auch, dass er sich und Kristina Zeit lassen musste.
»Du Karsten, lass uns später weiter reden. Ich möchte unbedingt noch kurz zum Friedhof fahren und es wird schon dämmrig«, versuchte Berit, ihm ihre Eile zu erklären.
»Na klar, fahrt nur.« Er verstand Berit, dass sie gerade am Totensonntag noch einmal zu den Gräbern wollte. Sie trauerte aufrichtig um ihre Eltern. Er hingegen verspürte überwiegend Abscheu. Wieviel Unrecht war ihm und Kristina und Marianne angetan worden.
Karsten hatte nicht bemerkt, dass Andrea ins Zimmer gekommen war. Zärtlich legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Noch immer hielt er das Telefon in der Hand. Er drehte sich zu seiner Frau um. »Kristina kommt im Januar. Berit hat eben angerufen.« Seine große Freude, die er gerade noch empfunden hatte, war in Nachdenklichkeit umgeschlagen.
Andrea zog ihren Mann an sich. Sie kannte ihn jetzt seit 20 Jahren, da lebte ihre Schwiegermutter Annemarie noch, die von allen nur Annemie genannt wurde, und Schwiegervater Karl. Karsten war Andrea damals immer wie ein Einzelgänger erschienen. Mit fast 40 hatte er noch bei seinen Eltern gelebt. Durch Andrea änderte sich sein Leben, sie heirateten und waren überglücklich als Benjamin geboren wurde. Ein paar Jahre nach Benjamins Geburt war Annemie dann gestorben. Auf dem Sterbebett hatte sie Karsten das gut
gehütete Geheimnis anvertraut. Sie hatte ihrer Seele Luft gemacht, um ruhig sterben zu können, Karsten hatte es fast den Boden unter den Füßen weggerissen. Von da an war Karl für ihn nur noch »der Alte«. Geredet hatte Karsten nie wieder mit ihm, bis er starb.
Ja, und dann hatte Andrea mit Berit im Büro gesessen als diese anfing, ein Jahrgangstreffen vorzubereiten. Der Name Kristina Schmidmann ließ sie hellhörig werden. Karsten schien aus allen Wolken zu fallen, als Andrea ihrem Mann von Berits Suche nach ihrer Mitschülerin Kristina berichtete. Dann war auch der letzte Rest von dem aus ihm herausgebrochen, was er seit Annemies Tod mit sich herumtrug. Wie sehr wünschte er sich, Kristina wieder zu sehen. Nun könnte das in greifbare Nähe rücken.
Es war fast schon dunkel, da stand Berit mit ihrem Mann Daniel vor dem Grab ihrer Eltern. Sie hörte förmlich die Worte ihrer Mutter, als sie die Grabstelle vor drei Jahren, nach dem Tod ihres Gatten, erworben hatte: »Dann könnt ihr mich mal direkt neben meinem Heinrich begraben.« Zwar hatte sie den Herzinfarkt am Tag nach der Beerdigung noch gut überstanden, doch das Herz blieb angeschlagen. So war sie nur ein Jahr später ihrem geliebten Heinrich gefolgt. Da konnte auch die Liebe ihrer Familie die Lücke nicht schließen.
Berit war so froh gewesen, dass sie in diesem Jahr wieder mit ihrer Mutter ins Reine gekommen war. Längst hatte sie ihr verziehen, dass diese in ihrer Jugend die Briefe ihres Freundes unterschlagen hatte. Berit war, nachdem sie László endlich gefunden hatte, nach Ungarn gefahren und verlebte eine schöne Woche mit ihm. Doch danach war ihr klar geworden, dass man eine Jugendliebe nicht einfach zurückholen kann. Es war keine leichte Entscheidung gewesen, doch jetzt fühlte sich alles gut und richtig an. Daniel nahm Berits Hand und drückte sie sacht.
So sehr wünschte sie nun Andreas Mann, dass auch er noch seinen Frieden mit sich und der Familie finden möge.
4. Kapitel
Der Montag begann mit der üblichen Hektik. Doch während die meisten Kollegen lieber noch etwas länger Wochenende gehabt hätten, war Kristina froh, sich wieder im vertrauten Arbeitsalltag einzufinden. Der Trubel im Büro, das nervige Klingeln des Telefons, das Piepsen des Faxgerätes oder der Benachrichtigungston des Mailprogrammes, das alles hatte ihr gefehlt. Die Kollegen waren ihr in den Jahren ans Herz gewachsen. In Ermangelung einer eigenen waren sie ihre Familie geworden.
Als auch der letzte LKW, mit neuer Fracht versehen, unterwegs war, nahm Kristina ihre Kaffeetasse und ging hinüber zu Mark ins Büro.
»Ich habe dich gestern versucht zu erreichen«, begann sie ohne lange Einleitung. Wahrscheinlich hätte sie kein Wort gesagt, wenn sie es sich noch einmal überlegt hätte, was und wie sie etwas formulieren wollte. Das kannte sie schon, viel zu oft war es ihr passiert. Dann war der Moment vorbei und sie glaubte, an den ungesagten Worten ersticken zu müssen.
»Ja, ich habe es gesehen, als ich heim kam.« Mark lächelte sie an. »Aber es war wirklich zu spät, da wollte ich nicht mehr bei dir anrufen. Was gab es denn?«
»Ach nichts weiter.« Kristina winkte ab, überlegte es sich dann aber doch und fuhr fort: »Ich dachte, wir könnten gemeinsam zu Mittag essen, ich war auf dem Friedhof.«
»Na ja, auf dem Friedhof war ich auch«, erwiderte Mark. Doch noch ehe sich Kristina einen falschen Gedanken machen konnte, sprach er weiter. »Aber über 100 Kilometer entfernt, in Rostock. Mein Bruder und ich waren gemeinsam mit unserer Mutter am Grab von unserem Vater.«
Du hast es gut, dachte Kristina, sprach den Gedanken aber nicht aus, weil er ihr sofort unpassend erschien. Und doch wäre sie froh gewesen, wenigstens einen Vater auf dem Friedhof besuchen zu können.
Mark spürte, wie eine gewisse Melancholie plötzlich von seiner Kollegin ausging. Er hatte so etwas vorher nie bei ihr bemerkt, sie war immer so kühl, abgeklärt, fast gefühlsarm gewesen. Etwas musste passiert sein, was ihr Seelenleben durcheinander gebracht hatte. Sie war so anders, seit dem Tag, als sie morgens zu spät gekommen war. Nein, drängen würde er sie nicht, vielleicht kam sie doch noch von selbst auf ihn zu.
Routiniert erledigte Kristina ihre Arbeit. Manchmal hatte sie schon gedacht, dass sie funktionierte wie ein Uhrwerk. So lag dann auch pünktlich am Nachmittag der Wochenbericht für die Geschäftsleitung