Tatort Deutschland. Gisela Sachs
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Bennet starrt ins Leere, verliert sich in Erinnerungen. Er kennt den Nachbarn seiner Patentante, bei der er aufgewachsen ist, schon von Kindesbeinen an, hatte viel Zeit bei Torsten Bonkwald, dem Amphibienliebhaber, verbracht. Bennet durfte ihn sogar einmal bei einem seiner Amphibien-Hilfs-Einsätze begleiten. Er erinnert sich noch gut daran, hat den Lärm der Laubfrösche noch im Kopf. Sie hatten damals einen Krötenzaun gebaut. Und Bennet durfte lange aufbleiben. Viel zu lange für ein Kindergartenkind, wie seine Patentante meinte.
»Lass mal gut sein, Else«, hatte der kinderlose Torsten Bonkwald damals gesagt. Dann hatte er Bennet stundenlang über Knoblauchkröten, Grasfrösche, Moorfrösche und Rotbauchunken erzählt. Nach dem Einsatz hatte Torsten Bonkwald einen Riesentopf mit Gulaschsuppe für die Helfer vom Nabu in Grimma gekocht, Bäckerkalle hatte Brötchen und Hefezopf spendiert und Tante Else auf dem Schifferklavier gespielt. Da war die Ehefrau von Torsten Bonkwald, die Bonkwaldtante, wie Bennet sie liebevoll nannte, schon lange tot.
»Es ist ein gutes Krötenjahr heuer«, sagte Torsten Bonkwald zu Tante Else. Bennet kann sich noch gut daran erinnern, damals hatte er nicht verstanden, was Herr Bonkwald damit meinte. Heute weiß er es, ist selbst Mitglied beim Nabu in Grimma, ebenso wie seine Kollegen Kalle und Röhre.
Manchmal hatte Bennet sich vorgestellt, wie es wäre, wenn seine Patentante und Herr Bonkwald ein Paar wären. Und er ihr Kind. Sie hätten dann immer zusammen die Kröten über die Straße geführt oder Zäune gebaut, Äpfel in Streuobstwiesen gesammelt, Insektenhotels aufgebaut und Gulaschsuppe gekocht. Und er hätte immer Kalle mitgenommen, seinen besten Freund aus dem Kindergarten. Aber irgendwie merkte Tante Else nicht, dass der 1. Vorstand vom Nabu Grimma ein Auge auf sie geworfen hatte. Else Stresemann hatte und hat nur das Wohl ihres einzigen Neffen im Auge, dessen Eltern bei einem Verkehrsunfall bei Leipzig ums Leben gekommen sind. Männer hatten und haben in ihrem Leben keinen Platz.
Seine Eltern wollten ins Theater. Damals. In der lauen Sommernacht, als die Grillen um die Wette zirpten, Glühwürmchen im Dunklen leuchteten, das Quaken der Frösche und Kröten zu hören war. Es war ihr Hochzeitstag. Bennet weiß nicht mehr der wievielte. Silvia Kühner hatte sich fein gemacht, hatte das kurze tomatenrote Kleid an, dass sie sich in einer Boutique in Leipzig gekauft hatte. Extra für diesen Tag. Und Bennet Kühner bekam den Mund nicht mehr zu, als seine Mama ins Wohnzimmer gestöckelt kam. In Schuhen so hoch wie Stelzen, aus schwarzem Lackleder. Silvia Kühner drehte sich lachend im Kreis, strahlte den Sohn an wie die Sonnengöttin höchstpersönlich. »Na, mein Großer, wie gefalle ich dir?«
»Mein Gott, Silvie«, sagte Bennet Kühner Senior. »Wie schön du bist!«
Dann kniete der Ehemann sich auf dem Fliesenboden nieder, streichelte seiner Angetrauten zärtlich über den flachen Bauch, sagte: »Zuckermami.«
Silvia Kühners Augen funkelten wie Sterne, als sie ihren Sohn in die Arme nahm und sagte: »Du bekommst ein Brüderchen, Bennet.«
Aus den Augenwinkeln heraus sieht Bennet, wie sich seine Kollegin Marie am Nebentisch niederlässt. Sie hat ihren Gürtel mit den Waffen umgebunden. »Hatte keinen Bock auf Panzerschrank«, sagt sie zu Kalle, der sie fragend ansieht. Sie nippt an ihrem Kaffee. »Mein Gott, ist das wieder eine schwache Brühe.«
Marie flirtet mit den Kollegen am Tisch, mit Kalle. Vor ein paar Wochen noch hat sie mit Bennet geflirtet, mit ihm zusammen gewohnt. Im dem Häuschen in Günthersdorf, das er von seiner Großmutter vererbt bekommen hat. Sie hatten Pläne zusammen gemacht, wollten heiraten, das Haus von Oma modernisieren, ein Kind zusammen haben, vielleicht auch zwei oder gar drei. Sie wollten seine Patentante Else zu sich nach Günthersdorf holen. Aber dann wurde es Marie zu eng in der kleinen Stadt, zu eng in der Beziehung mit Bennet. Und sie zog aus dem Haus mit dem großen Garten aus, in dem ihre Kinder hätten spielen sollen, obwohl die Anträge zur Förderung von Privatmaßnahmen in der Dorferneuerung schon gestellt waren.
Bennet starrt auf das Rührei auf seinem Teller, schiebt den Teller weit von sich. Seine Patentante wohnt immer noch in Grimma. Und Tante Else will auch nicht raus aus ihrem Haus.
Handyklingeltöne vermischen sich mit Kaffeelöffelklappern, Gläserklirren, Stimmengewirr. Wortfetzen streifen sein Ohr.
»Sie schicken wieder alle Leute nach Berlin zurück«, sagt Uli. Er schüttet Milch über die Cornflakes. »Sind noch im Hotel, komme raus.«
Der Einsatzleiter brüllt in sein Mobiltelefon, knallt seinen Schreibblock und den schwarzen Kugelschreiber auf den Tisch. »Ableitung des Verkehrs!«
Kalle schließt während des Telefonierens die Augen.
»Alles klar. Danke. Komme nach.«
Maries Hand streift wie zufällig über Kalles Oberschenkel.
»Es besteht die Möglichkeit hierzubleiben«, stottert Kalle. Marie lächelt, verzieht ihren Mund zu einer Schnute, sagt: »Jut.«
Uli steht auf, schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich melde mich, sobald wir in Grimma sind, Bennet.«
Bennet schielt nach Marie. Seine Blicke streifen über ihr schwarzes T-Shirt, den Gürtel mit den Waffen und Werkzeugen um ihre Hüften. Er ist mit ihr und Kalle in einer Gruppe zur Verkehrskontrolle eingeteilt.
»Wenn du den Job machen willst, musst du das ertragen«, sagt
Uli. Bennet schweigt.
»Die nächsten zwei Tage schlafen wir für alle Fälle noch mal im Hotel«, brüllt Uli durch den Frühstücksraum. »Euer Gepäck könnt ihr hierlassen, Leute.«
Er telefoniert mit Hotte. »Genau. Alles klar! Danke, Hotte. Grüße an Lutze. Bis dann.«
Der Saal leert sich. Bennet trinkt seinen Kaffee aus und begibt sich auf das Zimmer. Lange steht er am Fenster, sieht über die Dächer von Leipzig, schaut den Menschen hinterher, die aufgeregt wie eine Ameisenhorde umherwuseln, auf den orangefarbenen Riesenkran. Der Himmel ist katzengrau, es regnet aber nicht. Es kommt Hilfe aus der Partnerstadt Hamburg. 30 Fahrzeuge mit 170 Feuerwehrleuten aus der Hansestadt treffen in Dresden ein. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht Pirna. In der Nacht zum 6. Juni wird am Pegel Schönau die Zehn-Meter-Marke überschritten. Marie und Kalle sind ein Paar.
»Hallo Röhre«, flötet Marie in die Sprechmuschel ihres roten Handys. »Wie geht es dir denn so?«
Sie erzählt von ihrem Einsatz in Grimma. »Lauter Bekloppte da unten. Sie wollen nicht raus aus ihren verdammten alten Häusern.«
Sie schimpft über das Frühstück im Ramadan Hotel.
»In dem Kasten gibt es noch nicht einmal frische Ananas, keine blauen Trauben, keinen Parmaschinken. Der Kaffee war wieder einmal viel zu schwach, lauwarm. Ich hasse lauwarmen Kaffee! Die haben noch nicht einmal …«
Marie steigt in den gläsernen Fahrstuhl. Sie hat Höhenangst, starrt während der Aufzugsfahrt konsequent auf den Boden. Einige der Polizisten unterhalten sich im Flüsterton miteinander. Sie sind sichtlich betroffen von den Ereignissen der letzten Stunden.
Der Aufzug hält. Marie drängt sich an ihren Kollegen vorbei. »Es ist ja so was von egal, egal wie alles andere, von dem man nicht betroffen ist«, sagt sie und steuert geradewegs dem Ausgang zu, zückt ihr Handy, wählt eine Nummer und flötet. Ich habe große Lust auf Party machen. Wir könnten uns heute Abend treffen, Kalle. Im großen Garten vielleicht?«
»Er