Tatort Deutschland. Gisela Sachs
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»Yes, I do«, hauche ich ein halbes Jahr später auf einer Klippe auf Honolulu. Ich trage die wunderbare Schöpfung eines amerikanischen Modedesigners, ein Traum in Weiß. Der herzförmige Ausschnitt meines Kleides ist mit echt Brüsseler Spitze umsäumt, der Rock aus Tüll mit unzähligen Spitzenblüten verziert. Ich trage einen Kranz mit weißen Hibiskusblüten im offenen Haar, habe weiße Hibiskusblüten um meine Fußknöchel und meine Handgelenke geschlungen. Mit Stolz trage ich die Perlenkette meiner Mutter um den Hals, schwebe an der Hand meines Vaters auf einem Teppich aus roten, gelben, weißen und orangefarbenen Rosenblättern meinem Traummann entgegen. Er trägt einen Kranz mit geschlossenen Leis um den Hals, eine weiße Hose, ein weißes Hemd, weiße Schuhe. Ein Ukulelespieler spielt »Somewhere over the rainbow.’ Papa und Mama weinen.
Sternenerfüllte Nächte.
Und wenn ich aufwache, dann bin ich da, wo es keine Wolken mehr gibt. Er wünscht sich Kinder. Viele!
Manchmal gehen Träume in Erfüllung. Ich bin glücklich! So unwahrscheinlich glücklich.
Wir werden uns eine schicke Wohnung in Altona kaufen. Eine Penthouse-Wohnung mit Dachterrasse und Panorama-Elbblick. Leider ist das Geld meines Mannes momentan fest angelegt und so zieht er vorübergehend bei mir ein. In das alte, renovierungsbedürftige Haus in Bramfeld mit den vier Zimmern, das ich von meiner Großmutter Mia vererbt bekommen habe und in dem ich seit zwei Jahren wohne. Ich liebe dieses Häuschen meiner Kindheitserinnerungen, mit dem alten Baumbestand ringsum, dem Zaubergarten, in dem wunderbare Blüten aufgehen, die ich weder gesät noch eingepflanzt habe. Auf die Vielfalt meiner Rosen bin ich besonders stolz. Die hatte Großpapa Hein
für Oma Mia zu ihrem 60. Geburtstag gepflanzt.
Zum Renovieren des Hauses fehlte mir bislang leider das Geld. Als Tippse verdient man nicht so viel. Meine Eltern unterstützten mich mit Rat und Tat, Geld haben sie selber nicht viel. Papa musste aus gesundheitlichen Gründen Frührente beanspruchen, Mama war Hausfrau und bekommt gar keine Rente. Sie peppt das Haushaltsbudget auf, indem sie für die Nachbarschaft Näharbeiten übernimmt. Hier mal einen Reißverschluss ersetzen, da mal ein Hosenbein kürzen, Kleider enger oder weiter machen. Zudem bietet sie sich im Gruppenhaus Bramfeld als Leihoma an, wacht über diversen Babyschlaf, hilft bei Hausaufgaben, bastelt und singt mit den Kindern, auch im Spielhaus Farmsen. Sie kocht Marmeladen aus den Früchten aus meinem Garten: Johannisbeer-, Stachelbeer-, Brombeer-, Himbeer-, Erdbeermarmeladen. Die Marmeladengläser verziert sie liebevoll mit selbst genähten Bändchen, beschriftet Klebeetiketten mit den Zutaten sowie dem Abfülldatum ihrer Köstlichkeiten in Druckbuchstaben, mit königsblauer Tinte.
Je nach Saison bindet Mama Blumensträuße aus Margeriten, Wicken, Fäberdisteln, Lavendel, Sonnenblumen, Astern, Dahlien. Mama hat ein großes Talent dafür, Blumen zu binden. Ihre Sträuße sind begehrt, sie verkauft sie an die Nachbarschaft sowie auf dem Wochenmarkt in Bergedorf, am Marktstand einer Bekannten. Meine Mutter hegt einen großen Wunsch. Sie will endlich eine richtige Oma werden.
Er wäre sowieso die meiste Zeit nicht da, sagte mein zukünftiger Mann. Und, dass das Wohnen in Omas Häuschen ja nur eine Übergangslösung sei. Ein Wohnen auf Zeit. Und, dass er kein Geld in Renovierungsarbeiten stecken würde, wo wir doch ohnehin bald umziehen würden. Seine Möbel wird er deshalb schon gar nicht mitbringen, das sei unnötige Arbeit, meinte er und sie wären auch viel zu schade für das »Rummeleyhaus’. Er wird die guten Stücke im Lagerhaus Klook einlagern. Auch seine Akten, seine Bücher, sein Kanu, seine Surfbretter, sein Bootszubehör, seine Taucherausrüstung.
Ich stehe in der Waschküche und sortiere Wäsche, als es zum ersten Mal geschieht. Mir wird schwarz vor den Augen, ich schwitze, ich friere, ich schwitze. Kalte Schweißperlen benetzen meine Stirn. Mein Herz rast. Ich erschrecke, als ich mich im Spiegel sehe. Ich drehe den Wasserhahn auf, lasse kaltes Wasser über mein Gesicht laufen, benetze meinen Nacken, meine Oberarme und setze mich erst einmal hin. Der Spuk ist rasch vorbei und ich fange an zu bügeln. Heute ist mein freier Tag und sobald ich mit Hemden bügeln fertig bin, werde ich mich aufhübschen. Wir fahren nach Hamburg-Altona. Mama, Papa und ich. Papa hat heute Geburtstag und er hat seine Deerns zum Essen eingeladen. Es geht wie immer zu Kowalke. »Einmal im Jahr muss das sein«, sagt Papa. »Man(n) gönnt sich ja sonst nichts.«
Papa hat, wie jedes Jahr an seinem Geburtstag, einen Tisch für drei Personen auf der herrlichen Balkonterrasse reservieren lassen. Und wie jedes Jahr bestellen wir Kowalkes Überraschungsmenü. Als der Kellner das gedünstete Lachsfilet vor mich hinstellt, passiert es zum zweiten Mal an diesem Tag. Mir wird schwarz vor den Augen, ich schwitze, ich friere, ich schwitze. Kalte Schweißperlen benetzen meine Stirn. Mein Herz rast. Ich würge, halte die rechte Hand vor meinen Mund und renne wie von Furien gehetzt zur Toilette, schaffe es gerade noch, nicht vor die Tür zu spucken.
Ich halte beide Hände unter den Wasserhahn, klatsche mir das kalte Wasser ins Gesicht, benetze meinen Nacken und lasse einen Strahl kalten Wassers über meine Unterarme laufen. Meine Lebensgeister kommen rasch wieder und ich gehe zu unserem Tisch zurück. Mama sieht mich besorgt an. »Alles in Ordnung, Kleines?«
»Alles in Ordnung«, murmele ich und schaufele das Erbsenpüree in mich hinein. Dann den Lachs. Danach die rote Grütze mit Rahm-Eis und Himbeergeist-Vanilleschaum.
»Heute ist Schiffeguckenwetter«, sagt Papa beim Verlassen des Fischereihafenrestaurants. »Die Queen Victoria ist gerade in unserem Hafen zu Besuch«, sagt er.
»Und heute sind so viele Schiffsanläufe wie noch nie. Was haltet ihr davon, wenn wir eine Hafenrundfahrt machen, min Deerns?«
Papa hat ein Faible für Luxusschiffe. Gerne würde er seinen Schwiegersohn auf einer seiner Seefahrten begleiten, aber mein Mann möchte seine Familie und seine Arbeit voneinander getrennt halten, gibt noch nicht einmal den Namen des Schiffes preis, auf dem Kapitän ist.
Wir machen eine Rundfahrt bei Barkassen-Meyer, genießen die einzigartige Atmosphäre des Welthafens Hamburg, sind wie immer sehr beeindruckt von der Hamburger Skyline. Mit leuchtenden Augen sieht Papa auf die großen Pötte in den Hafenbecken, zeigt grinsend auf den Mann in Uniform. Der Kapitän hält eine junge Frau im Arm, seine Hände streifen spielerisch ihren Po rauf und runter. »Unruhige Hände hat er, der Herr Barkassenkapitän«, flachst Papa.
»Guten Tag, meine Damen und Herren«, dröhnt die Stimme aus dem Mikrophon. »Mein Name ist HansJürgen Witte, Ihr Kapitän. Wir werden heute den Kampf mit Wind und Wetter aufnehmen.«
Er sieht die Frau an seiner Seite an, lacht heiser. »Keine andere Stadt in Europa hat mehr Brücken als Hamburg. Noch nicht einmal Venedig …«
Das war der Tag, an dem meine heile Welt zerbrach.
Ich werde dick und dicker. Wieder einmal stehe ich in der Waschküche und sortiere Wäsche. Und wieder einmal bemerke ich die weißen Streifen in der schwarzen Unterhose meines Mannes. Das Gebimmel des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. »Geht es dir gut, Prinzessin?«, fragt Mama.
»Ja«, hauche ich in den Hörer. »Das glaube ich dir jetzt aber nicht«, sagt Mama. Und, dass sie Plundergebäck gebacken habe, und dass sie mit Opa zum Kaffee trinken vorbeikommen würde. Seit Mama von meiner Schwangerschaft weiß, nennt sie meinen Papa Opa. Und mein Vater ist glücklich darüber. Sehr glücklich sogar. Er bringt gerade meine Kinderwiege auf Hochglanz, zimmert Nistkästchen für meinen Garten. »Damit die Lütte was zu gucken hat.«
Mama