Tatort Deutschland. Gisela Sachs
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Schon von weitem ist die grölende Gruppe mit den jungen Männern hörbar. »Da sind sie ja«, sagt Marie und winkt.
Sie begrüßt jeden einzelnen mit Küsschen links und
Küsschen rechts auf die Wange. »Das ist Röhre, das ist Kalle, das ist …«
Kalle und Röhre setzen sich auf eine Bank. Eine der tätowierten Jungs breitet auf dem Boden eine Decke aus, schüttet Knabbersachen darauf. Schmitti mit den eidottergelb eingefärbten Haaren lässt seine Flasche mit dem Mecklenburger Doppelkorn reihum gehen.
»Nein, danke«, sagt Kalle. »Nein danke«, sagt Röhre, als er ihnen die Flasche anbietet. »Dann eben nicht«, sagt Schmitti, setzt die Flasche an und rülpst wie ein Schwein. »Seid wohl etwas besseres, was?«
Marie rockt zur Rammstein-Musik. Es herrscht Ballermann Stimmung. Eine der Gestalten mischt Cocktails, hat in einer Plastikschüssel sogar Eiswürfel und braunen Zucker mit dabei.
Marie hat Kreide mitgebracht, malt 11 Kästchen auf den Boden. In das erste Kästchen schreibt sie »Erde’. Die weiteren Kästchen nummeriert sie. 1,2,3,4,5,6,7,8. In das neunte Kästchen schreibt sie »Hölle’, in das zehnte »Himmel.’
»Wir spielen Himmel und Hölle«, sagt Marie. Sie hebt ihr linkes Bein hoch wie ein Hund beim Pinkeln, fällt fast um und hüpft auf dem rechten Bein von Feld zu Feld. »Ich hab die Reihenfolge verwechselt«, kichert sie und fängt noch mal von vorne an. Sie hebt ihr rechtes Bein in die Höhe und hüpft, ist glücklich im Himmel angekommen. »Jetzt du, Röhre«, befiehlt sie. Und vergisst auf dem Rückweg die Hölle auszusparen.
Als nächstes hüpft der nicht mehr standfeste Cocktailmixer. Er stürzt bei Kästchen Nummer drei. Marie lacht. »Noch einmal, Harry.«
Danach hüpfen Hotte, Achim, Edgar, Schmitti, Denny, Gockel, Kevin. Und immer wieder Marie. Sie wird lautstark von den Jungs angefeuert. »Hüüü hüpf, Marie.«
Und Marie hüpft. Und hüpft. Und hüpft.
»Wir ziehen um«, sagt Röhre irgendwann. »Die Party geht anderswo weiter.«
Es sind nur noch Kalle und Röhre da. Röhre zieht Marie von der Bank hoch. »Komm, Marie.«
Kalle sammelt die leeren Flaschen und Pappteller von den Bänken und dem Boden auf, verteilt sie in die Mülleimer, lässt seine Blicke umher schweifen. »Alles sauber!«, stellt er zufrieden fest.
»Wohin geht’s?« fragt Marie.
»Überraschung«, sagt Röhre.
Marie kichert. »Ich liebe Überraschungen.«
Sie laufen los. Marie in der Mitte, Kalle rechts und Röhre links. »Immer schön geradeaus, Marie«, sagt Röhre.
Vor dem neuen Rathaus machen sie Halt. Kalle zieht eine schwarze Monster-Energie-Drink-Dose aus seinem Rucksack, öffnet sie und streckt sie Marie entgegen. »Für dich, Marie.«
Marie trinkt gierig, wischt sich den Mund mit ihrem
Handrücken ab. »Hm, jut. Und wo ist die Überraschung, Kalle?«, fragt sie.
Kalle zeigt auf den Riesenkran. »Die Trinitatis Kirche. Sie bauen hier im Namen des Herrn, Marie.«
»Die heilige Dreifaltigkeit«, sagt Röhre. »So wie wir, Marie. Du, ich und Kalle.«
Er streckt Marie einen Black Bear Energier-Riegel hin.
»Zur gesunden und schnellen Ernährung vor und nach dem Klettern, Marie.«
»Was meinst du damit, Röhre?«
»Wir spielen jetzt blinde Kuh«, erklärt Kalle, nimmt sein rot kariertes Tuch von seinem Hals ab und bindet es Marie um den Kopf. Er verknotet das Tuch an Maries Hinterkopf mit zwei Doppelknoten, hält seine Hände dicht vor ihre Augen und zappelt mit allen zehn Fingern. »Siehst du mich, Marie?«
»Nein«, gluckst Marie. »Ich sehe nischt!«
Maries Maiglöckchenduft raubt Kalle den Atem. »Gab es das Parfüm im Sonderangebot, Marie?«, fragt er.
»Oder gibt es einen anderen Grund, warum du die halbe Flasche von dem Gestank über dich gekippt hast, Marie?«
Röhre erhebt seinen rechten Oberarm und schlägt mit geballter linker Faust darauf.
»Klatsch, klatsch«, sagt Marie.
»Den Duft hast du dir von mir zum Geburtstag gewünscht, Marie.«
Marie kichert. »Jaaa.«
»Füßchen hoch, Marie«, sagt Kalle. »Jetzt geht es ab ins Himmelreich.«
»In den siebenten Himmel?«, lallt Marie.
»In den siebenten Himmel«, sagt Röhre. »Dahin, wo die Engelein singen.«
Marie lacht und steigt die erste Sprosse der Leiter hoch. »Und noch ein Füßchen, Marie«, sagt Röhre. »Ja, so ist es gut, Marie. Immer schön ein Füßchen nach dem anderen setzen.«
Marie steigt und steigt, erklettert auf allen vieren die erste Hälfte des Krans. Dann bleibt sie erschöpft stehen. »Ich kann nicht mehr!«
Ihre strohblonden Haare umwehen ihr mit tomatenrotem Lippenstift verschmiertes Gesicht.
»Noch ein Schlückchen, Kalle«, bettelt Marie. Kalle greift in seine Hosentasche, holt den Flachmann heraus, setzt ihn an Maries Lippen. »Zum Wohl, Marie!« Kalle nimmt die leere Flasche wieder an sich, verstaut sie in seiner Hosentasche. »Und weiter geht’s, Marie!«
»Noch ein Schlückchen. Nur ein klitzekleines Schlückchen, bitte, Kalle!«
»Erst steigen, Marie«, sagt Kalle. »Ein Füßchen nach dem anderen setzen, Marie.«
Er greift Marie unter den Rock, kitzelt ihren Oberschenkel.
»Kalleeee«, stöhnt Marie.
»Später«, sagt Kalle. »Später, Marie.«
Er schiebt Maries Po nach oben und Marie erklettert weiter als erste die Leiter innerhalb des Krans.
»Die Affen steigen auf den Thron«, singt Röhre, der eigentlich Joachim heißt. Den Spitznamen Röhre hatte ihm Marie gegeben. Damals, nach ihrer ersten Liebesnacht.
Röhre grölt. »Irgendwas passiert mit dir, du riechst, hörst wie ein Tier. Du hörst uns kommen, wir sind hier.«
»Steig weiter, Marie!«, befiehlt Kalle.
»Ich kann nicht mehr«, stöhnt Marie.
»Steig, Marie!«, sagt Kalle. »Steig!«
»Ich will nicht mehr blinde Kuh spielen«, japst Marie. Sie zerrt an dem Tuch um ihren Kopf.
»Gleich hast du es geschafft, Marie«, sagt