Großer Bruder sein. Gisela Sachs
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3. Kapitel
Christian, von der Familie und Freunden Chrissie genannt, hat es eilig. Noch eiliger als an gewöhnlichen letzten Schultagen. Normalerweise läuft er mit Davide zusammen nach Hause. Aber heute nicht. In ein paar Stunden schon wird er mit seinen Eltern in Urlaub fahren. Da kann er nicht lange herumtrödeln und quatschen, wie die Freunde das sonst nach der Schule so tun.
Christian macht sich nicht die Mühe den Reißverschluss seines Schulrucksacks zuzuziehen. Und er nimmt sich auch nicht die Zeit sich von seinen Schulfreunden zu verabschieden, auch nicht vom Mathelehrer, obwohl er ihn sehr mag. Er ruft nur: »Ich geh’ dann mal, Leute«, und stürmt aus dem Klassenzimmer.
Die Sommerschulferienreise wird in diesem Jahr nach Kroatien gehen: zum Schwimmen, Paddeln und Tauchen. Christian und seine Eltern sind ausgesprochene Wasserratten. Die kleine Familie verbringt ihre komplette Freizeit in Wassernähe: an Flüssen und Seen, in Strandbädern und Freibädern.
In den letzten Sommerferien waren sie an der Nordsee, vorletztes Jahr an der Ostsee, die Jahre davor am Bodensee und am Chiemsee. Dieses Jahr soll es zum ersten Mal an einen Badestrand im Ausland gehen. Nach Kroatien. Auf die Insel Krk. Und Christian ist ganz schön aufgeregt. So weit weg von Zuhause war er noch nie. Und er war auch noch nie in einem Land, wo man eine andere Sprache spricht.
Christian hat schon ein paar Worte kroatisch gelernt, von Dario, seinem kroatischen Freund aus der Parallel- klasse. Molim heißt bitte. Und Hvala heißt danke. Da, heißt ja und nein heißt ne. Christian findet es ziemlich einleuchtend, dass nein ne heißt und da ja. Das kann er sich gut merken, das sagt er in der deutschen Sprache auch so. Warum Bok aber hallo und tschüß gleichzeitig heißt, das versteht er nicht.
Dobar dan heißt guten Tag. Und dobar dan geht Christian leicht von den Lippen. Er begrüßt die Menschen in seiner Umgebung schon seit Tagen mit »dobar dan, Frau Wolf. Dobar dan, Frau Wagner. Dobar dan, Frau Mutter. Dobar dan, Herr Vater. Dobar dan, Frau Oma und dobar dan, Herr Opa.« Christians Großeltern finden das sehr lustig. Ihr einziges Enkelkind ist ihr ganzer Stolz.
Die Großeltern, Oma Erna und Opa Wilhelm, wohnen im Nachbardorf. Sie sind die Eltern von Christians Mutter Marie. Christian verbringt viel Zeit bei den Großeltern in dem alten Bauernhaus mit dem großen Garten. Er hat dort sogar ein eigenes Zimmer. Es ist das ehemalige Kinderzimmer seiner Mutter, im zweiten Stock, gleich neben dem Schlafzimmer der Großeltern. Der Opa hatte es für ihn renoviert, als er auf die Welt kam, die Wände von rosarot auf Himmelblau umgestrichen, einen Sternenhimmel an die Zimmerdecke gemalt. Und die Oma hat himmelblaue Vorhänge und Bettwäsche genäht. Himmelblaue Deckchen im Zimmer verteilt.
Himmelblaue Blumentöpfe an die Fensterbank gestellt. Und eine himmelblaue Lampe an die Decke gehängt.
»Kleine Buben mögen himmelblau«, hatte sie dem Opa erklärt.
Mittlerweile hat Christian das Zimmer umgestaltet und die Wände sind mit Postern von Fußballspielern geschmückt. An der Decke hängt eine Fußballspieler- lampe, auf dem Nachtisch steht eine Fußballspielerleuchte und das Bett ziert Fußballbettwäsche. Die Großmutter hat auch diese Bettwäsche genäht, auf ihrer alten Tretnähmaschine, ebenso die Vorhänge mit den aufgestickten Fußbällen.
Christian hat ein riesiges Bücherregal aus Holz, von seinem Vater geschreinert, aber es ist fast voll von Opas Büchern. Christians Opa besitzt viele Bücher und Bildbände über Afrika, Arabien, Australien, Neuseeland, Island, Amerika und Spanien. Auch von der fremden Tierwelt dort. Ebenso Unmengen von Bildbänden über Wasserfälle, Flugzeuge, Schiffe und exotische Tiere. Ein riesiges Regal im Wohnzimmer ist voll davon. Auch das Regal im Flur und das Regal im Schlafzimmer. Der Opa hat seine Bücher überall untergebracht, im ganzen Haus. Aber die allerschönsten Bände stehen bei Christian im Zimmer.
Der Großvater findet es sehr schön, dass sein Enkel so viel Interesse an seinen Büchern zeigt. Oft sitzt er mit Christian auf dem Fußboden und sie blättern gemeinsam in den Bildbänden. So lange, bis der Opa nicht mehr sitzen kann und schimpft. »Das elende Kreuz aber auch.«
Christian schlendert oft mit seinem Großvater durch die Leihbibliothek der nächstgelegenen Stadt und auch durch die Buchhandlungen dort. Die Opa-Bücher-Ausflüge sind immer ganz besondere Tage für Christian. Oft gehen die beiden noch ein Eis essen. Oder eine Pizza. Manchmal auch zum Chinesen, zum Peking Ente essen.
Die Großmutter Erna liest nicht so gerne, nur in der Bibel. Sie sitzt am liebsten im Lehnstuhl unter dem Fenster, mit Blick in den Garten und strickt Socken. Christians Sockenschublade quillt schon über von den Oma-Socken-Geschenken. Es gibt sie immer: an Weihnachten, zu Ostern, zum Geburtstag. Und manchmal auch unter dem Jahr. Immer dann, wenn die Oma ein Sonderangebot an Wolle ergattern konnte. Oma Erna ist sparsam, sie schlägt immer gnadenlos zu bei Wolle- Sonderangeboten.
Christian planscht auch gerne in der Badewanne. Sehr gerne sogar. Er würde stundenlang im warmen Schaum- wasser bleiben, wenn er das dürfte, seine Papierschiffchen schwimmen lassen oder lesen. Am liebsten spannende Abenteuerbücher über Seeräuber und Piraten. Er liest aber auch gerne Bücher über Tiere und Geschichten, die in fremden Ländern spielen. Und er baut für sein Leben gerne Sandburgen. Im Garten in der Vogelsangstraße Nummer eins steht sogar noch sein Sandkasten. Direkt unter dem Walnussbaum hinter dem Haus. Obwohl er dafür eigentlich schon viel zu groß ist, wie seine Oma meint.
Christian liebt Tiere über alles. Am liebsten hätte er einen kleinen Zoo gehabt. Oder einen Bauernhof, so wie sein Opa einen gehabt hatte. Mit Kühen, Rindern, Pferden, Schweinen, Ziegen, Hühnern, Gänsen und Enten. Aber seine Mutter wollte Musikerin werden, keine Bäuerin. Und so hatten die Großeltern dann später beschlossen, den Bauernhofbetrieb einzustellen.
Christian hat drei Hasen: Puschel, Blümchen und Klara. Zwei Kanarienvögel, einen orangefarbenen und einen gelben. Sie heißen Lemon und Orange. Seine Katze, ein grau gestreiftes Tigerchen, hat er auf den Namen Kim getauft. Er wünscht sich einen Hund, einen großen, am liebsten einen Schäferhund. Und der Hund soll Lucky heißen. Aber für einen Hund wäre Christian noch zu klein, meint seine Oma.
»Der Bub ist doch noch nicht einmal zehn.«
»Mal bin ich zu klein und mal bin ich zu groß«, schimpft Christian. »Immer gerade so, wie es der Oma passt.«
4. Kapitel
Die kleine Familie wird mit dem Bus in das Land der Gewässer und der 1000 Inseln reisen. Christians Mutter liebt Busfahrten über alles. Sie genießt es sehr, die Natur zu betrachten, an Wäldern, Wiesen und Feldern vorbei- zufahren, in die Wolken zu schauen und vor sich hinzuträumen. Sie lächelt dann glücklich vor sich hin, vergisst die Welt um sich herum und bemerkt noch nicht einmal, wenn sie angesprochen wird.
Waldundwiesenwolkenguckerträume beschreibt Rainer Schneider diese Zustände. Und diese Waldundwiesen- wolkenguckerträume sind auch der Grund, warum er seiner Ehefrau den Kosenamen Träumerle gegeben hat. Auch Christian ruft seine Mama manchmal Träumerle. Immer dann, wenn er sie besonders gerne mag und mit ihr kuscheln will. Und das ist oft so, fast jeden Tag.
Marie Schneider ist eine zierliche Person, einen Kopf kleiner als ihr Ehemann Rainer. Sie hat lange weizen- blonde Haare, die in der Sonne glänzen wie Gold. Auf ihrer Stirn, den Wangen und der Nasenspitze haben sich ein paar lustige Sommersprossen niedergelassen.
Sie legt die Stirn in Falten, wenn ihr etwas nicht gefällt. Das kommt aber nicht allzu häufig vor, nur wenn Christian die Hausaufgaben nicht ordentlich macht und lieber Fußball gegen die Zimmerwände spielt. Oder er wieder einmal vergisst, die Spülmaschine auszuräumen, wenn