Die Göttinnen. Heinrich Mann

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Die Göttinnen - Heinrich Mann

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die erst vor wenigen Stunden in galanter Kostümierung den Staatsstreich einleiten wollte? Wo sind nun die Gesichter, deren Verblüffung mich belustigte! Ich reizte die Armseligen und freute mich, wenn sie boshaft wurden. Ich weiß nicht einmal, ob ich Feste gab, um eine Revolution anzuzetteln, oder ob ich durch Verschwörung und Umsturz meine Geselligkeit beleben wollte. Das prickelnde Hin und Her glücklicher und unglücklicher Zufälle erhielt mich munter. In das grämliche Stillleben der alten grotesken Leute im Königsschloss warf ich mit Faschingslaune die Wörter Freiheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, Wohlstand. Es war, als tanzte ich noch in Paris und habe mir eine neue Mode ausgedacht. Soll jetzt etwas Dauerhaftes daraus werden, oder gar etwas Tragisches?"

      Sie wehrte ihren Gedanken und sann doch unablässig über zurückgelassenen Bildern. Ein junger Hirt, mit stumm leuchtenden Augen unter der niedrigen blassen Stirn, stand die Arme über seinem Stabe gekreuzt, unter dem epischen Himmel, unbeweglich inmitten eines sich drehenden Kreises von Ziegen und Schafen. Ihre Köpfe beunruhigten seltsam, sie erinnerten an heidnische Mythen. Ein junges Weib, bedeckt mit verhärtetem Schmutz, der die Lüste der fremden Beherrscher abwehren sollte von ihrem Leibe, gab ihrem Kinde ein Messer in die Hand. Sie lehrte es den Angriff auf einen magern Hund, der die Zähne fletschte.

      Die Herzogin murmelte in brennendem Gedenken:

      "Das war stolz und voll tiefen Sinnes! Wie lange ist es schon her, dass ich es sah! Ich habe doch in derselben Liebe gebebt wie jene in Benkowatz unter dem lodernden Wort des Tribunen, und in demselben Hass wie die Alte mit dem Schädel ihres Sohnes. Konnte ich es vergessen? Dies Volk ist stark und schön!"

      In ihren Ziegenfellen standen sie, übriggebliebene Bildsäulen aus heroischen Zeiten, neben Haufen von Knoblauch und Oliven, bei riesigen gebauchten Krügen aus Ton, unter großen friedlichen Tieren. Sie waren selbst fast Tier — und fast Halbgott! Vergessene Profile tauchten vor ihr auf, gerade scharfe Nasen, Münder mit Leidenszügen, lange schwarze Locken. Sie sah ihnen zu wie einst, da sie als weißes Kind von den Klippen vor Schloss Assy hinabschaute zu den Barken, auf denen unbekannte Wesen grüßend an ihr vorüberzogen.

      "Ah! Es sind mir keine Schatten mehr wie damals! Ich kenne jetzt ihre Summen, ihren Geruch, ihre Sehnen, ihr Blut! Die hageren, feierlichen Gestalten, die zu meinen Fenstern heraufstarrten, ihre Gebärden, von Pavic' Rede entfesselt, ihr tierischer Jubel bei den geschenkten Gelagen, die drohende Wut ihrer beschränkten Geister, erst gestern um meinen Wagen her! Ihre Anbetung und ihre Mordlust, beides gilt mir gleichviel, beides ist stark und schön!"

      "Über Schönheit und Stärke ein Reich der Freiheit aufzurichten: welch ein Traum!"

      Fernher, von dem Lande das ihm gehörte, flog dieser Traum ihr nach, auf dem Rücken des Windes der nach seiner Küste roch. Er holte sie ein und fasste sie mit Gewalt. Sie glühte unter seinen stürmischen Werbungen, ganz allein mit ihm am Rande ihrer einsamen Barke, auf einem verlassen leuchtenden Meere. Der braune Faltenmantel des Armen fiel von ihren zuckenden Schultern. An die schimmernde Rundung ihrer Perlmuschel geschmiegt, ein kostbares Geschöpf der Tiefe, nackt, feucht und duftend lag sie in den Armen eines Gottes.

      Pavic kam zum Vorschein, mit geschwollenen Augen. Er trug Brot und Speck herbei; der Schiffer teilte mit ihnen. Der Sturm begann die Wellen mit Schaum zu krönen; sie sahen sie grün und klar heranrollen gleich Blöcken von Smaragd. Gegen Abend trat Ruhe ein. Die Sonne ging als Riesenscheibe, mit grellem Glanze unter; die Welt verschwand unter einer Purpurdecke. Allmählich streiften Schatten darüber hin, graue Nebelfiguren, Rauchsäulen auf der Trümmerstätte eines verbrannten Tages. In der Dunkelheit begegneten sie heimkehrenden Fischerbooten. Und endlich landeten sie.

      "Wo sind wir?" fragte die Herzogin.

      Pavic verlangte Auskunft von dem Morlaken.

      "Ein Stückchen unterhalb Ancona," erklärte er, mit mutloser Handbewegung.

      "Wir brauchen ein Fuhrwerk," sagte er sodann. "Jetzt um zehn Uhr abends, und in die Stadt dürfen wir uns nicht getrauen."

      "Warum nicht?" meinte sie.

      "Hoheit, wir sind politische Flüchtlinge."

      Sie standen ratlos am Strande. Schließlich geleitete der Schiffer sie eine Stunde ins Land hinein. Die Herzogin verlor im Sande ihre Tanzschuhe; Pavic zog sie ihr schweigend wieder an. Sie wanderten an einer Dorfmauer hin; es war ein Passionsweg darauf gemalt. Wo sie aufhörte, stand eine kleine achteckige Kirche, ein Stück abseits von ihrem hohen Glockenturm. Dahinter erschloss sich eine lange, blühende Laube von Linden und Kastanien. Pavic und der Führer durchmaßen sie langsam. Zwischen den Blättern hindurch spielten Lichter des aufgehenden Mondes über den Weg und zeigten ihnen an seinem Ende ein weißes Haus.

      Die Herzogin sah ihnen nach, aus dem Schatten der Kirche. In dem ragenden Marmorportal lehnte eine niedrige hölzerne Pforte, mit hochgeschnitzten Engelsköpfen darauf, leise geöffnet. Die Herzogin trat ein. Sie erblickte auf den acht inneren Wandflachen, deren vier sich zu Kapellen vertieften, lauter kleine Genien. Sie streckten die Köpfe aus den schweren Falten steinerner Vorhänge, sie schlugen Akanthusblätter zurück und entstiegen Blütenkelchen. Sie hielten einander umschlungen, sie klatschten in die Grübchenhände, lachten mit vollen Gesichtern und sperrten herzhafte Münder auf: der enge Raum war erfüllt von ihren Geisterstimmchen. Die Liebkosung des Mondscheins lockte ein Lächeln auf die kalkgepuderte Miene des einen, es löste einem andern die kurzen üppigen Glieder, dass er sie heimlich und zaghaft aus der Mauer hob, hinaus in das Leben der Nacht.

      Von oben, aus einer Öffnung in der Kuppel fielen scharfe weiße Strahlen auf das Bild eines Knaben in goldenen Locken und langem pfirsichroten Gewande. Er hielt die linke Hand hinter sich, zwei Frauen in lichtgelb und blassgrün hin. Mit silberner Ampel leuchtete seine Rechte ihnen voran, durch den in Finsternis versteckten Garten.' Der Herzogin war es, als sei sie es selbst, der dieser schlanke, ernste und noch ganz freie Knabe ihr ungestüm erträumtes Reich erhellen wolle. Ihr Traum, zufrieden damit, sie im Sturm bezwungen zu haben, durchsonnte sie nun mit stiller Kraft; sein geglättetes Gesicht aber trug dieser Knabe.

      "Aber wir sind zwei, vor denen er einhergeht," so fragte sie sich. "Wer ist die andere?"

      Die Züge der beiden Frauen lagen tief im Dunkel.

      Sie ging hinaus, bedächtigen Schrittes, und folgte nun auch dem stummen, vom Monde gebannten Baumgang, bis vor das weiße Haus. Der Hauptbau, breit und einstöckig, streckte sich im grauen Hintergrunde; eine blendende Rampe führte flach und langsam auf ihn zu. An einem der rechteckig vorragenden Flügel standen Pavic und sein Begleiter, sie verhandelten fruchtlos. Ein wütender Mensch fluchte über die Ruhestörung und drohte mit den Hunden: ihr Gebell übertönte sein Schreien.

      Als die Herzogin auf die Bildfläche trat, brach aller Lärm ab. In dem dreieckigen Schlagschatten zwischen Mittelfront und linkem Pavillon flammte rot ein Fenster auf. Es ward geöffnet, eine Frau sagte verschleiert und so gütig, dass man gern ihre Hand berührt hätte.

      "Sie sind nicht umsonst gekommen, das Fuhrwerk steht gleich bereit."

      Die Herzogin rief selbst ihren Dank hinauf zu der Unbekannten. Sie warteten; der Wagen rollte um das Haus. Die Herzogin und Pavic stiegen ein. Die Stimme der Frau wünschte ihnen eine glückliche Fahrt. Sie kamen an der kleinen Kirche vorbei; die Herzogin fühlte sich voll Zuversicht, fast glücklich. Sie meinte, von diesem zufälligen Orte, dessen Tagesbild sie nicht kannte, an den eine Stunde der Nacht, der Flucht, des gehobenen Empfindens sie getragen hatte, nehme sie Freunde mit. Sie gedachte des Knaben mit silberner Ampel:

      "Du gehst vor uns her. Aber wer ist die andere?"

      IV

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