Die Göttinnen. Heinrich Mann

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Die Göttinnen - Heinrich Mann

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zurückgebogenen Gesichter hinab, die die Sonne verklärte. Die Banner der Kirchen und Klöster erfüllten die blendende Luft mit dem Prunk ihrer Goldstickereien. Das rotgoldene Zeltdach des Kirchenfürsten stieg wie die Wiege eines Gottes vom blauen Himmel herab. Die Helme blitzten. Zarte Engelsflügel schimmerten an den Schultern kleiner Mädchen, die der Herzogin mit den Fingern Küsse zuwarfen. Das Volk schnellte Arme, Mützen und Liebesschwüre zu ihr in die Höhe; es jauchzte und wogte bunt. Plötzlich flammte ein Degenstahl auf: in der Umgebung des Prinzen hatte ihn jemand gezogen. Gleich darauf grüßten alle Schwerter; es war wie der Flug eines Silbervogels durch das Mittagslicht. Phili selbst sandte Kusshändchen hinauf, gleich den Schulkindern.

      Die Herzogin verneigte sich; die Sonnenstrahlen glitten über ihre schmalen Schultern. Die Prozession zog weiter, sie sah ihr zu, in einem gelassenen Machtgefühl.

      Sie war damals einundzwanzig. Von der Wölbung des schwarzen Haars, das in schwerer Welle zurückgeschlagen war, fiel auf ihre Stirn ein bläulicher Schatten. Im Nacken bogen sich die vollen Flechten. Die Brauen zogen schwache Linien, der Mund lag unbestimmt da, mit leise aufeinander geschmiegten, blass gefärbten Lippen. Aber das Kinn und die Biegung der feinen, großen Nase sagten entschiedene Dinge. Der Kopf war farbenarm, doch reich vom Silberzauber des Lichts. Sie hob die breiten Lider: ein fester, stahlblauer Glanz fand den Weg fernher, von großen Meeren.

      Pavic zeigte sich hinter ihr, in Frack und weißer Halsbinde, unbeweglich und ein wenig unaufmerksam, als ein Schöpfer, der nicht geruht merken zu lassen, das alles sei sein Werk. Er zerbiss sich die Lippen und legte zwei Finger an die Nasenwurzel, gegen die Blendung oder gegen den Druck eines trüben Gedankens. Alle Fenster der zwei herrschaftlichen Stockwerke waren von den Freunden der Herzogin besetzt. Rustschuk, von schönen Frauen umringt, verbeugte sich unermüdlich. Er tupfte sich mit dem gelbseidenen Schnupftuch elegant auf den Mund; er zog die Camelia aus seinem Knopfloch und warf sie unter das Volk.

      Den ganzen Tag wurden die Salons des Palais Assy nicht leer. Hunderte trieb es heute an, sich der mächtigen Dame ins Gedächtnis zu rufen. Andere Hundert waren erst heute von der Notwendigkeit durchdrungen, zu wählen zwischen den Koburg und ihr. Sie bestellte alle auf denselben Abend; sie wollte noch am gleichen Tage bei einem umfassenden Rout die Parade der Ihrigen abnehmen. Es gab eine Überfülle zu tun, sie griff nach dem ersten besten, um ihn auf Botengänge zu schicken. Einmal, als sie das Vorzimmer öffnete, fiel ihr ein riesiger Offizier entgegen. Er verbeugte sich rasselnd.

      "Major von Hinnerich!"

      Dieser treue, strenge Mensch, der gute Engel des armen Phili! Sie war doch überrascht, ihn hier zu finden. Kam er ehrlichen Herzens? Einen Augenblick zögerte sie. Aber von Hinnerich sah sie mit rotem Gesicht, bärbeißig und zutunlich an. Er strömte Mannentreue aus. Er hatte lange mit sich gekämpft; jetzt war er ihr gewonnen, unverbrüchlich. Sein Glück hatte gewollt, dass seine Begeisterung für die Herzogin von Assy gerade an dem Zeitpunkt durchgebrochen war, wo ihre Sache am günstigsten stand.

      Empfangsabende wechselten jetzt mit Bällen ab, unablässig. Das Palais Assy lieh allabendlich seinen roten Festglanz der ganzen Stadt. Rustschuk, der früher Revolten bezahlt hatte, kaufte nun dem Volke einen beständigen Freudenrausch. Musik zog durch die bunt beleuchteten Straßen, der Wein floss kostenlos in den Schenken, im Hafen glitten bekränzte, bewimpelte Kähne durch die glückliche Nacht. Niemand konnte sich erinnern, dass die Welt je so schon gewesen wäre; nur ein paar sehr Alte meinten, es sehe aus, als sei die Republik Venedig wiedergekehrt.

      Auf der Piazza Colonna lagerte beim Schmause eine dankbare Menge und schaute zu, wie die Wagen der Gäste heranrollten. Über die Stufen des Portals ging immerfort Seidenrauschen und Degenklirren. Prinz Phili trieb sich ohne Begleiter in der Umgegend herum und hielt die Leute an, um tränenden Auges nach den Vergnügungen im Hause seiner Feindin zu fragen. Warum er nicht dabei sein dürfe! Er könne sich ja gar nichts Lieberes denken, als von solch einer Frau depossediert und in den Kerker geworfen zu werden!

      Die Freunde der Herzogin trafen, um sich die dalmatinische Revolution anzusehen, aus Paris und Wien ein, als führen sie zu einem Derby oder zu einer Premiere. Sie gerieten in einen Tanzsaal, wo niemand an die nahen Ereignisse zu denken schien. Die Herzogin selbst besann sich zuweilen darauf. Sie spürte dabei denselben leichtfertig prickelnden Vorgeschmack des Triumphs wie sonst, wenn sie eine alte Marquise im Whist besiegte. Sie hatte dann die entscheidende Karte noch einen Augenblick in der Hand behalten und der ratlosen Greisin zugeblinzelt. So blinzelte sie jetzt, des Ausganges der Dinge gewiss, nach dem Königsschlosse hinüber, wo Nikolaus und Beate, gänzlich vereinsamt, durch die schlecht beleuchteten Säle irrten. In einem Winkel fror Friederike.

      Bei einem Frühstück in engem Kreise hörte die Herzogin ganz entzückt dem türkischen Gesandten Ismael Iben Pascha zu; der beleibte, lebenslustige Mann plauderte von der Rechtspflege in seinem Lande.

      "In Smyrna wird mir ein Schwarzer vorgeführt; er ist wie ein Narr aus einer Moschee herausgesprungen und hat einem zufällig vorübergehenden Europäer ein langes Messer in den Bauch gerannt. Er rollt weiße Augen und schwört, der Prophet habe ihm im Gebete befohlen, den ersten Ungläubigen, der ihm begegne, zu toten. Ich erwidere: ,Und mir befiehlt der Prophet, dich aufhängen zu lassen!

      Der Gesandte leerte ein Glas Sekt.

      "Was wollen Sie, Hoheit, gegen den Propheten hilft nur der Prophet. Und ein rasches Urteil ist besser als ein weises. Eine arme Frau soll Milch getrunken haben, die ihr nicht gehörte. Ich sage nur: ,Aufschneiden!'"

      Pavic, der an der andern Seite der Tafel saß, ward auf einen kleinen, jungen Lakaien aufmerksam. Die andern schlichen mit Platten und Flaschen geschäftig um den Tisch, jener aber stand ungeschickt da, horchte auf die Gespräche und ließ den Blick nicht vom Gesicht der Herzogin. Aus einer Schüssel, die er schief hielt, tropfte Sauce auf den Teppich. "Sie!" raunte der Hausfreund verweisend. Der Diener sah ihn an, und Pavic zuckte heftig zusammen. War das … das war Prinz Phili! Er wandte sich nach seinen Nachbarn um, keiner hatte etwas bemerkt. Da fasste er den kleinen Lakaien recht fest ins Auge. Gewiss, das waren die hilflosen Bewegungen des Thronfolgers, das waren auch seine Züge, nur die Haare fehlten auf den blassen Wangen. Pavic warf sich plötzlich in die Brust, sein gestärktes Hemd krachte; er hielt sein Glas hin. "Sie!" Und er ließ es von dem jungen Menschen füllen.

      Kurz darauf war der Lakai verschwunden. Pavic ward nachträglich von Zweifeln befallen, die ihm keine Ruhe ließen. Er musste mit irgendjemand über die Sache reden. Man lachte ihn aus: Prinz Phili als Bedienter! Ob er denn an Gesichtstäuschungen leide. Aber Pavic wollte vom Thronfolger bei Tische bedient worden sein; er war nicht geneigt, sich dies nehmen zu lassen. Am nächsten Tage glaubte es die halbe Stadt. Man erfuhr auch, dass der König Nikolaus die Geduld verloren und seinen Erben geohrfeigt habe. Phili blieb geraume Zeit unsichtbar. Als er wieder zum Vorschein kam, war sein Bart noch sehr kurz.

      Die Geschichte ward viel zu stark gefunden, sie brachte manchen zur jähen Erkenntnis der Lage. Das Spiel, das die Herzogin und ihre Leute mit der bewährten Dynastie Koburg, mit dem ehrwürdigen König Nikolaus trieben, galt nun als unwürdig. Viele verließen die Partei Assy.

      Sodann folgte der Zwischenfall mit dem jungen Brabanzine. Dieser achtzehnjährige Edelmann hatte gerade die klösterliche Erziehungsanstalt verlassen und saß in einer Vorstellung von Frou-Frou. Beate Schnaken betrat ihre Loge: das Geschick des Jünglings war entschieden. Er suchte sie auf und stammelte zu ihren Füßen seine erste, ungeschickte Begierde. Beates reifes Herz trank dankbar dieses seltene Elixier; doch konnte sie unmöglich einem jugendlichen Stürmer zuliebe von ihren langjährigen Grundsätzen abweichen. Innerhalb der Landesgrenzen durfte nichts vorkommen. Sie verständigte hiervon ihren Verehrer, mit dem Hinzufügen, zu einer Reise ins Ausland lasse ihr die Politik keine Zeit.

      Zwei Tage später ertrank der arme Brabanzine bei einer Bootfahrt. Gleichzeitig erhielt Beate Schnaken

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