Die Göttinnen. Heinrich Mann
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Früher noch als die Enthusiasten versicherte der Baron Percossini die Herzogin seiner vollständigen Ergebenheit. Jeder Besuch, den er ihr im Auftrage der Prinzessin machte, fügte seinem glatten Treubruche etwas hinzu. Unmerklich, unter lauter obenhin gelispelten Fadheiten, langte er bei Kundschafterdiensten an. Übrigens war die Herzogin sich bewusst, er spioniere ebenso gut sie selbst aus wie seine Herrschaft. Er plauderte ihr von den Versuchen vor, die die von ihr Bedrohten endlich zu ihrer Vernichtung unternahmen. Sie erfuhr ohnehin von Freunden an allen Höfen, die Vertreter des Königs Nikolaus führten Klage über sie. Sie erreichten nichts; denn durch ihre eigenen Verbindungen im internationalen Hochadel war die Herzogin besser geschützt als die regierende Familie durch den Willen einiger europäischer Staatsmänner. Die Partei Koburg hatte für sich überall nur die Kabinette, die Partei Assy die Camarilla. Das Geld Rustschuks wirkte in den fremden Hauptstädten rascher als die aus Zara eintreffenden Depeschen. Auch war der Weltfriede wichtiger als das Schicksal der Nikolaus, Friederike, Philipp, Beate. Von diesen vier erwies Beate sich am stärksten. Sie brach ohne weiteres auf, behufs Gewinnung des Ministers einer Großmacht, der eben in Italien reiste. Es war ein weicher, frommer Herr; fast hätte sie ihn auf die gleiche Weise gerührt wie ehemals den König Nikolaus. Im Augenblick vor seinem Falle besann er sich auf die Pflicht und floh in großen Tagemärschen vor der Verführerin.
Die Herzogin nahm diese Geschichte heiter auf. "Wenn der Mann weniger stark gewesen wäre," so meinte sie, "was dann? Ich hätte mit dem Fräulein Schnaken in Wettbewerb treten müssen, und alles wäre auf die Frage hinausgekommen: bevorzugt Seine Excellenz die blonden Haare oder die braunen? Meine Herren, die weibliche Politik ist wenig verwickelt."
Aber die Partei Assy ward stärker und fing an Fehler zu machen. Der erste war eine jähe Verbesserung der herzoglichen Güterverwaltung. Sie war sinnreich geordnet. Unter einem Generalpächter stand eine Anzahl Pächter, diese verfügten über eine größere Menge Unterpächter, und die einzelnen Unterpächter befehligten ihre Aufseher, die unmittelbar die Bauern beherrschten. Die Aufseher nahmen den Bauern fast den ganzen Erntepreis ab und gaben ihn größtenteils weiter an die Unterpächter, die ihn nach Abzug des ihrigen den Pächtern aushändigten; das meiste davon verabfolgten diese dem Generalpächter. Jeder ernährte also seinen Vorgesetzten, und alle zusammen lebten vom Bauern. Niemand hätte daran Anstoß genommen, nur Rustschuk fand den Generalpächter zu wohlhabend und zu einflussreich: sie hatten sich an der Börse hassen gelernt. Er stachelte mehrere Anhänger der Herzogin gegen das Latifundien - System auf. Pavic lieh ihnen seine Beredsamkeit. Die Herzogin war freudig überrascht. Eine kraftvolle Handlung machte es ihr möglich, im eigenen Hause die Gerechtigkeit einzuführen. Ein sanguinischer Federstrich beseitigte das ganze Heer der Pächter. Acht Tage darauf brannten überall in Dalmatien die Rebstöcke, die Ölbaume fielen über Nacht in Splitter. Die kleinen Entlassenen stifteten Unruhen auf dem Lande, in den Städten lärmten die größeren. Was ihnen von der Ernte blieb, mussten die Bauern an den Ring der Pächter verschleudern; diese bedrohten die Käufer. Die Einnehmer, die den Gewinnanteil der herzoglichen Kasse eintreiben wollten, wurden mit Steinwürfen und Flintenschüssen empfangen.
Die Herzogin konnte sich nicht genug wundern.
"Das Volk bleibt ein Rätsel. Offenbar ist es gewohnt, ausgebeutet zu werden, und will keine Gerechtigkeit. Wie viel durfte es früher vom Ertrage seiner Arbeit behalten?"
"Kaum ein Zwanzigstel."
"Ich überlasse ihm die Hälfte, und es wirft mit Steinen. Was würde es tun, wenn ich ihm das ganze schenkte?"
Rustschuk lächelte geistvoll:
"Hoheit, das wäre unser aller Tod."
Bei dem von den weggeschickten Beamten in der Presse erregten Sturm spritzte manches schmutzige Wasser auf. Neugierige Zeitungsmenschen, die von ihren Rädern mit Kot besprengt, in die Tiefe ihres Wagens danach lugten, welche Boutons sie heute trage, nannten die Herzogin von Assy eine Deklassierte. Ihr Umgang mit Pavic und Rustschuk deklassiere sie. Pavic beging die Ungeschicklichkeit, sie deswegen um Entschuldigung zu bitten. Sie hob die Schultern:
"Welches ist denn meine Klasse?"
Sein eigener Verkehr konnte ihr unmöglich Schande bringen, davon war Pavic überzeugt. Bezüglich ihres Verhältnisses zu Rustschuk stand seine Meinung nicht ganz so fest. Er stellte ihr anheim, einen andern Financier zu berufen, zum Beispiel den entlassenen Generalpächter; damit wäre manches wieder gut zu machen. Sie zeigte sich nicht geneigt.
"Ich will alles tun, was ich zum Wohl des Volkes gut finde. Aber was kümmert es das Volk, mit was für Leuten ich mich umgebe?"
Sie wies auf den hohen, schlanken Hund, der sie gelassen ansah.
"Soll ich mir den Charmant wegnehmen lassen? Ebenso wenig darf das Volk verlangen, dass ich meinen Hausjuden abschaffe."
Er sollte sie noch manches kosten. Rustschuk hatte eine Maitresse vom Theater, und diese hegte den Wunsch, ihren rechtmäßigen Gatten, einen beliebten Schauspieler, im Irrenhaus zu sehen. Der Finanzmann wusste dies den Ärzten einleuchtend zu machen. Unglücklicherweise sickerte es einige Zeit später ans Licht, dass der internierte Mime vollständig gesund war. Beate Schnaken, vom Schicksal des Kollegen gerührt, enthüllte ihrem königlichen Freunde alle dunklen Machenschaften. Die Befreiung des Opfers und sein erstes Auftreten auf der Hofbühne ward ein Triumph für sie und für das regierende Haus, eine Niederlage für die Herzogin. Ein antisemitisches Stück wurde aufgeführt, in dem der Zurückgekehrte die Rolle des zwangsweisen Geisteskranken spielte. Der Intrigant trug die Maske des Rustschuk, und es fielen böse Andeutungen über eine hohe Dame, die hinter dem allen stecke. Das Volk jubelte fünfzig Abende hintereinander auf vollen Bänken; es war ein umfangreicher Skandal. Beate, die edle Retterin, wurde stürmisch begrüßt bei jeder Ausfahrt. Die Herzogin begegnete überall kalten Blicken, und Rustschuk, der sich nirgends sehen lassen durfte, stellte betrübte Berechnungen darüber an, welche Unsummen nötig sein würden, um diese Kälte zu besiegen.
Pavic arbeitete wie ein Besessener; doch die Polizei hatte Mut gefasst, sie schloss ihm den Mund. Er hörte wieder wie ehemals in der Ferne ein Kerkertor knarren. Auch die Soldateska zeigte gewalttätigere Neigungen. Im Winter kam es in der Nähe von Spalato zu einer förmlichen Schlacht. Die Rache der Pächter hatte dort Hungersnot bewirkt. Das wütende Volk ging mit Sensen und Bratspießen dem Militär zu Leibe. Dieses verlor einige fünfzig Mann, aber es tötete oder verwundete die doppelte Anzahl Bauern.
An einem Sonntag kam die Kunde nach Zara. Der Himmel hing düster herunter. Es fuhren fast keine Wagen in den Straßen. Eine schwarz gekleidete Menge schob sich zwischen den Häusern fort und flüsterte nur; man vernahm das Rauschen der Brunnen. Der Scirocco schlich faul, schwül, mutlähmend über den Köpfen hin.
Unversehens, wie nach schweigender Übereinkunft, gelangten alle auf die Piazza della Colonna und blieben dort versammelt, still, traurig und widerspenstig. Plötzlich stand Pavic auf einem umgestürzten Handwagen, mit dem Rücken an der zweitausenjährigen Säule, und begann zu sprechen. Zum ersten Male seit vielen Wochen begleitete wieder das Murmeln erregbarer Gemüter seine Worte. Er fühlte wieder die Herzen der Seinigen ihn warm umzittern und war glücklich. Da kam im Laufschritt durch die engen Gassen eine Infanteriekolonne daher. Am Eingang des Platzes machte sie Halt, pflanzte die Bajonette auf und rückte langsam vor. Das Volk wich zurück, quoll zur Seite auseinander und zerstreute sich in