Die Göttinnen. Heinrich Mann

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Die Göttinnen - Heinrich Mann

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Erscheinung. Wenn weiter nichts vorgefallen war, ließ man Pavic sprechen; er erzählte von seinem politischen Klub.

      Seit ihm mit der Verwaltung der Kasse auch die Möglichkeit eines vornehm genährten Seelenleidens fortgenommen war, wurde er immer fetter und trübsinniger. Sein Fett stammte aus schlechten Garküchen, ranzig wie sein Trübsinn, und sein erstickter Hass auf seine Herrin vermehrte sich um den vollen Betrag der Schulden, die ihn jetzt drückten. Der Tribun schlich umher auf Promenaden und in Kaffeehäusern wie ein frühzeitig abgedankter Opernsänger, mit verbundenem Hals, planlos, nörgelnd und nicht mehr ganz sauber. An Tagen, wo er keine Aussicht hatte, sich irgendeinem Zuhörer vorführen zu können, ging er an allem vorüber, auch an seinem Waschtisch; denn es ekelte ihn vor den Verrichtungen des täglichen Lebens, das auf keine Tribüne mehr mündete. "Was wollen Sie, ich brauche den Erfolg," so seufzte Pavic, so oft er im Blicke eines Bekannten die Verwunderung über seinen Verfall las.

      Und den Erfolg, der ihm in heller Öffentlichkeit verfugt blieb, er ergatterte ihn nun in Hinterstuben. Es war in dem Keller eines Neubaues, weit draußen vor Porta Sant' Agnese, wo ein paar geflüchtete Landsleute zusammenkamen, Handwerker, Lastträger und Straßenverkäufer. Sie trockneten sich zweimal die Woche den Schweiß der schweren Arbeit, zu der die Fremde sie verdammte, von den Händen und reckten sie zu ihrem Apostel empor, — und mit den Händen die Seelen, die so übervoll waren von Selbstmitleiden, Beklemmung und der Sucht nach Wiedervergeltung, Befreiung, Herrschaft, Rachegelagen. In diesem Keller, der an Katakomben grenzte und fast schon dazugehörte, unter den gequälten Schatten der Armen, von qualmenden Tonlampen auf triefende Mauern geworfen, — hier in der Konventikelluft erster Christen war Pavic nochmals Held. So gut versteckt, frönte er den Ausschweifungen des Gefühls und starb zum hundertsten Male, mit ausgebreiteten Armen, röchelnd an einem nicht vorhandenen Kreuz, das alle sahen. Darauf stieg er wieder ans Licht, rotfleckig im Gesicht, unheimlich ermuntert und zu täppischen Scherzen aufgelegt: ein heimlicher Trinker, der sich kaum noch darauf besann, dass er einst bei Bacchanalen unter blauem Himmel ein großartiger Genießer gewesen war.

      Am Freitag berichtete er dann:

      "Wie diese Menschen mich lieben ! Ah! Nichts er wärmt ein Leben so, wie die Liebe eines Volkes. Ich darf sagen, für sie bin ich ein Halbgott!"

      "Ein Halbgott zum Weinen," dachte die Blà. Die Cucuru platzte einfach aus.

      "Und ich kenne einen jeden nach Namen, Herkunft und Geschichte! Alle werden wegen lauterer Gesinnung verfolgt, wie ich, und wie Sie selber, Herzogin. Einer hat gestohlen."

      "Mir zu gefallen?" fragte sie.

      "Seinem Ideale folgend. Denn der Eigentumsbegriff ist dem einfachen Gemüte nicht natürlich. Und als die Revolution losbrechen sollte, da hielt er die Stunde für gekommen und … stahl. Ein anderer bringt eine Puppe in Generalsuniform mit, die auf einem Pfahl steckt. Er dreht sie sehr rasch um den Pfahl, und ehe man sich dessen versieht, sitzt sein Messer ihr im Herzen. Er gibt mit rührender Andacht alle seine freie Zeit her, um sich diese Sicherheit des Stoßes einzuüben. Er wird eines Tages den König Nikolaus richten…"

      Vinon Cucuru kreischte auf.

      "Dreht Nikolaus sich immerfort um einen Pfahl?"

      Pavic sagte unbeirrt:

      "Dieser Jüngling ist reinen Herzens, mit seelenvollen, blauen Augen, und hat noch nie ein Weib berührt."

      Die Damen betrachteten ihn, erheitert und leicht angewidert, sie wussten nicht, ob durch ihn oder durch seinen Jüngling. Hinter seinem Rücken krümmte sich lautlos der Kardinal.

      "Welch redlicher, empörter Patriotismus in allen ihren Handlungen und in jeder Herzensregung! Das unglückliche Dalmatien ist, wie Sie wissen, von seinen Tyrannen so herabgewirtschaftet, dass es nur noch Papiergeld besitzt. Im gerechten Zorn darüber hat einer meiner Verehrer sein neugeborenes Töchterchen Papiria genannt."

      "Allerdings habe ich ihn darauf gebracht," setzte er hinzu, da er die Wirkung auf den Gesichtern sah. Er trank mit krankhafter Begierde die Teilnahme von den Mienen, ohne es zu beachten, wenn sie höhnisch war. Und er jagte eine Anekdote der andern nach, aus Furcht, man möge ihn unterbrechen."

      "Alle beten Euere Hoheit an!" rief er, da die Herzogin ihm unaufmerksam schien; und mit verzweifelter Selbstüberwindung:

      "Beinahe noch mehr als mich! Die Gestalt der Herzogin von Assy ragt diesen Armen, die für sie leiden, bereits in eine Sagenwelt hinein. Sie meinen, sie sitze irgendwo in Rom in einem Turm gefangen. Ihr schwarzes Haar hänge ans dem Gitterfenster bis auf die Straße. Wenn der Papst vorbeigehe, so speie er darauf."

      "O!" machte die Blà, ängstlich fast vor Entzücken. Lilian richtete ihr blasses Antlitz schnell auf die Herzogin, in das frische ihrer kleinen Schwester trat zum ersten Mal etwas wie Nachdenklichkeit, und ihre Mutter glotzte gänzlich verdummt darein. San Bacco ging, geärgert durch all das nutzlose Gerede, im Hintergrunde auf und ab; er blieb plötzlich stehen und bemerkte:

      "Das, was Sie da sagen, ist einmal schön."

      "Man könnte das Bild in einen Stein schneiden," meinte der Kardinal. "Es ist recht kurios; ich will Seiner Heiligkeit davon erzählen." "Ich möchte die Leute sehen," sagte unerwartet die Herzogin.

      "Pavic, von wem haben Sie diese … Sage? Hoffentlich nicht von Ihrem reinen Jüngling?"

      "Dem mit dem Pfahl und … ohne Weiber?" fragte die Blà.

      "Nein, von zwei Bauern," berichtete Pavic. "Sie haben daheim einen Gendarmen blutig geschlagen. Sie sind über das Meer geflohen — gleich uns, und sie verlangen sehr danach, Euerer Hoheit zu Füßen zu fallen."

      Tamburini hegte Bedenken gegen eine zu nahe Berührung der Herzogin mit den Ihrigen.

      "Was wird denn aber aus dem Märchen vom Turm, wenn Sie sich den beiden am hellen Tage, in einem behaglichen Zimmer zeigen."

      "Es könnte draußen geschehen, und bei Nacht," meinte die Blà, verliebt in eine romantische Vorstellung. Die Cucuru kicherte, kurzluftig vor Bosheit.

      "Jawohl, in finsterer Nacht! Huhu! Und an einem Orte, wo es keine Polizei gibt. Da schleicht eine vornehme Dame zu zwei verdächtigen Individuen. Alle drei sind vermummt und erzählen sich grässliche Geschichten. Man hört in der Ferne jemand umbringen, und es blitzt. So ist es doch auf dem Theater, nicht?"

      "Herzogin, ich begleite Sie!" rief San Bacco.

      "Zögerlich?" dachte sie. "Habe ich denn Furcht?" Sie sagte laut:

      "Ganz so, Fürstin. Aus Ihrer Vision wird Wirklichkeit, und es gehört nicht viel dazu. Ich gehe allein zu der Zusammenkunft, ich danke Ihnen, Marquis. Ein abgelegener, möglichst dunkler Ort, wo finden wir ihn? In der Tibergegend, denke ich; vielleicht beim Wechslerbogen. Herr Doktor, bestellen Sie mir die Männer."

      "Frau Herzogin …" stotterte Pavic. Die Cucuru verlor zum zweiten Male das Verständnis.

      "Tu' es nicht!" bat leise die Blà. Eindringlich wiederholte San Bacco:

      "Herzogin, ich begleite Sie."

      "Gehen Sie hin, Herzogin!" so verlangte Lilian Cucuru, "und gehen Sie allein! Auch ich würde ganz allein hingehen!"

      Sie sprang auf, sie dachte mit Leidenschaft an Nacht, Gefahr und Ende. Jener Mensch zu sein, der in der Ferne umgebracht ward, während es blitzte, — sie hätte das für

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