Die Göttinnen. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen - Heinrich Mann страница 40
"Wie bist du schön, Mütterchen!"
"Wie bist du groß, dein Haupt entschwindet weiß und hoch unter dem Turm, worin du gefangen sitzest. Wir wussten ja, es sei ein Turin. Anfangs sah es aus, wie ein Bogen, doch nun sehen wir wohl, dass es ein Turm ist. Merke dir das, Lazise, wir sagen es daheim."
Der Wohlgebildete grunzte. Er stieß gewaltsam aus:
"Mütterchen, wo ist dein Haar?"
Der andere fuhr auf:
"Dein Haar! Gib es, wo ist es?"
Sie fühlte, sie werde ihre Haltung verlieren, und dachte an die Bestien, die ihren Bändiger erblassen sehen.
"Nun geht heim!" befahl sie, und setzte gleich hinzu, unsicherer und schwacher:
"Geht ihr heim?"
Die beiden Wilden rutschten auf den Knieen, tastend und schnaubend.
"Ja ja. Alle sollen kommen und dich befreien. Aber gib dein Haar!"
Sie streckten die Hände aus und wagten doch nicht unter den Bogen zu greifen. Ohne Mauer und Gitter war er ihnen verschlossen durch einen magischen Strich.
Die Herzogin nahm sich zusammen. Sie rief zornig und mit Gewalt:
"Ihr geht auf der Stelle!"
Sie richteten sich auf, sahen einander an, bezwungen und traurig, und schlichen zur Seite. Einer wandte sich.
"Es ist gut, Mütterchen, wir gehorchen."
Und sie tauchten langsam in das Dunkel.
Sie sah ihnen nach. Plötzlich, ohne Nachdenken, sagte sie:
"Kommt zurück!"
Sie löste ihr Haar, mit zwei tapferen Griffen. Sie hielt es in den Händen, es entfloss ihr, lang und schwer. Da fiel ihr die Cucuru ein. "Das ist der Schlusseffekt," dachte sie. "Was für ein Theater!"
Ich nächsten Augenblick sagte sie: "Trotzdem," und sie warf den beiden Seltsamen ihre schwarzen Flechten zu, wie vorher ihr Gold. Sie stürzten sich darauf, mit Lippen und Zähnen. Die Herzogin sah auf sie herab, erbleicht, den Kopf zurückgelehnt, wie aus der starren Höhe des Turmes, von dem nach dem Glauben dieser Geschöpfe ihr Haar herunterhing.
"Geht nun!"
Ihre Stimme drang matt in die mit Dämpfen von Sinnlichkeit erfüllten Köpfe. Sie fand sich überwältigt von einem Auftritt, den sie nicht überlegt hatte. Sie durchsuchte das Dunkel, ratlos und fast blind vor jäher Angst. Sie war nahe daran um Hilfe zu rufen. "Warum?" fragte sie, und gestand sich: "Weil ich mich schäme." Und dabei fühlte sie, dass sie diese sonderbare Feierlichkeit nicht hätte missen wollen.
Sie stampfte auf:
"Geht!"
Die beiden taumelten, erschraken und verschwanden. Sie wartete, abgewendet, bis sie allein war. Endlich erreichte sie, fast flüchtend und unterwegs ihr Haar zusammenraffend, ihren Wagen. Sie warf sich in eine Ecke und schloss die Augen, voll wilder Bilder, die sie schwindeln machten. Nach einer Weile fand ihr Finger im Winkel des Lides eine Träne.
Beim Kardinal erzählte sie alles, kühl und anschaulich. Dabei formte sich ihr erst der Vorgang; sie ergänzte ihn durch Züge, die nicht hätten fehlen dürfen. Sie waren grausam, und die Herzogin lächelte dabei nur noch zurückhaltender. Ehe sie die Hingabe ihres Haares eingestand, ward es ihr heiß zu Mute. Sie fügte rasch hinzu, die beiden Wilden hätten ihr mit den Zähnen große Stücke herausgerissen. Da sie gleichzeitig vor wütendem Eifer sich selbst in die Hände gebissen hätten, so sei das Blut ihr über die Haare geronnen. Man fand ihre Stimme vollkommen gefühllos. Die Blà zweifelte vorübergehend an ihr, die Cucuru fühlte sich unbehaglich.
Zu Hause in ihrer Vigne, über der duftenden Stille des Frühlingsgartens, bebte sie bei der Erinnerung an jene Nacht.
"Wer waren die beiden Seltsamen? Menschen und Freunde, die zu mir den Weg fanden und keine andere Bedeutung hatten als andere Menschen und andere Freunde?"
"O nein, was ich damals sah, es muss ein Stück meiner eigenen Seele gewesen sein, mir unversehens entsprungen, rot, warm und pochend. Vor meinen Augen hat es sich geregt und gespielt, ein wunderbares Spiel, eine Maskerade, beängstigend und bezaubernd."
Sie blieb stehen und lächelte sich zu.
"Das hätte ich ihnen am Mittwoch sagen sollen! Aber du bleibst immer das Kind auf dem Felsenriff im Meer, — dein Leben lang, kleine Violante. Mit Monsieur Henry verspottest du Gott und die Weltgeschichte, und dann legst du dich an das Ufer deines Sees und träumst mit Farren und mit Eidechsen."
Man ließ sie träumen.
Am Abend nach ihrer erstaunlichen Erzählung blieb Monsignor Tamburini länger als sonst beim Kardinal. Seine Eminenz war angeregt und wissbegierig, er näherte einige Münzen dem Lichte der dreiarmigen Ampel und sah darüber weg.
"Mit der Gesellschaft, die wir uns für unseren Mittwoch geschaffen haben, bin ich recht zufrieden. Was wir soeben wieder gehört haben, war durchaus merkwürdig und unterhaltend. Aber nun sagt mir einmal, lieber Sohn, was ihr mit diesen so liebenswürdigen Versammlungen für eine Absicht verfolgt. Ich gestehe, dass ich mich noch gar nicht darum bekümmert habe, warum Ihr eigentlich mit der schönen Herzogin Politik treibt. Mir selbst, — Ihr wisst, wie ich genügsam bin, — ist sehr an den schönen, alten Geldstücken gelegen, die sie mir verehrt. Aber Ihr, ein so wirklichkeitsliebender Mann…"
"Eminenz, das Ganze ist ein Zufall, und mein Verdienst beschränkt sich darauf, dass ich ihn nicht ungenützt gelassen habe. Ich fand die Herzogin von Assy im Klostergarten zu Palestrina —"
"Wie ein Blümchen! Und Ihr brachet es mir, Ihr Guter!"
"Ich nahm sie mit, — ursprünglich nur aus Spekulation, weil eine Herzogin von Assy der Kirche stets nützen kann. Ich dachte an eine Bekehrung der allzu weltlichen Frau, an ihr großes Vermögen, auch an eine interessante und nutzbringende Verbindung mit ihrem Geschäftsmanns dem Baron Rustschuk…"
"Ein großes Licht unter euch praktischen Leuten, nicht wahr?"
"Ein hoch bedeutender Mann. All das Geld! All das Geld! … Leider ist die Bekehrung der Herzogin unmöglich; ich musste mich davon überzeugen. Diese Heidin verschließt sich der Gnade. Auch wurden ihre Besitzungen eingezogen. Ich gestehe, dass mich das anfangs gegen sie einnahm."
"Ich begreife Euch, mein Sohn."
"Dann aber erkannte ich, dass uns gerade die Konfiskation ihrer Güter die erfreulichste Aussicht eröffne, nämlich sie ihr wiederzugewinnen und dafür belohnt zu werden."
"Sie ihr wiedergewinnen? Ihr müsst mir das Kunststück zeigen. Ich habe nicht genug Genie, es selbst zu finden, doch reizt es mich gewissermaßen."
"Sehr einfach. Die dalmatinische Regierung ist erzürnt wegen der revolutionären Umtriebe, die im Namen der Herzogin von Assy stattfinden. Wir verhandeln also mit der Negierung wegen Unterdrückung der Revolten. Alles kommt