Die Göttinnen. Heinrich Mann
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"Du verlierst überhaupt nie mehr," sagte sie. "Jetzt wirst du nicht wieder behaupten, meine Liebe bringe dir Unglück."
"Sie würde es tun, wenn sie könnte. Aber etwas anderes wirkt dagegen," erklärte er geheimnisvoll. "Und zwar viel stärker."
"Was denn, mein Orfeo?"
Sie fragte leise. Es erregte sie süß und angstvoll, in die Tiefe seiner abenteuerlichen Seele hinabzublicken. Dort war alles voller Wunder.
Er ließ sich bitten. Endlich verriet er etwas:
"Wir sind ja keine Pedanten. Aber es ist nun einmal Tatsache, dass der Einsatz, womit ich spiele, nicht uns gehört. Und die Eigentümerin weiß nichts davon! Das ist von höchster Wichtigkeit, du magst mir glauben oder nicht. Ich habe in den Spielhäusern oftmals die Bekanntschaft von Leuten gemacht, denen ich zutraute — wenn ich's nicht sogar wusste —, dass sie mit fremden Gelde spielten. Du verstehst: Muttersöhne, die den Schreibtisch des Papas erbrachen, oder Bankiers, die das Depot eines Kunden wagten. Nun…"
Er stellte sich vornehm vor einen lackierten Paravent und erhob belehrend den Zeigefinger.
"Nun, diese gemeinen Schufte gewannen immer, — ausnahmslos immer."
Da bemerkte er, dass sie mit geschlossenen Augen dunkel errötete. Die Unehre stand vor ihr und sie hatte nicht den Mut, ihr ins Gesicht zu sehen. Piselli lachte herzlich und umarmte sie.
"Bin ich etwa ein diebischer Bankier? Kleine Närrin! Solange ich keinen Orden bekomme, darfst du ruhig sein."
Sie wagte eine Bitte.
"Wenigstens solltest du sparen. Du bist so leichtsinnig, mein armer Geliebter."
"Ich verdiene, nicht wahr? Wer verdient, hat auch das Recht, Ausgaben zu machen."
Er saß auf dem Korso vor den reichen Caféhäusern, den linken Fuß auf den rechten Schenkel gestützt und den Torso leicht und fein darüber geneigt in der Haltung des Dornausziehers. Eine Schar eleganter Damen und Herren umringte ihn, und er bewirtete alle. Er war glücklich und versagte sich keine Laune. Zwei Schwestern aus England, die abenteuernd das Festland durchzogen und manchem Millionär zu teuer waren, — Piselli gönnte sie sich. Nächsten Tages gab er seiner Freundin einen ausführlichen Bericht, zu Ungunsten der Inselbewohnerinnen.
"Man fällt auf ihre gelben Schöpfe hinein und auf ihre Länge, und weil sie englisch sprechen. Wie sind wir Männer dumm!"
So oft er sie warten ließ, benutzte sie es als Vorwand, um bei ihrer Arbeit die Nacht zu durchwachen. Er kam in der Dämmerung, schwankend und aufschluckend, doch marmorschön. Sie legte ihn hin, bettete seinen Kopf in ihrem Schöße und behütete, zärtlich und weihevoll, den Schlaf eines Gottes. Das Lampenlicht ward gelb und erlosch. Die Sonne sprenkelte die beschriebenen Blätter, die den Tisch bedeckten. Die Blà berechnete, erschöpft und sorgenvoll, was sie für das Werk dieser langen, fiebernden Stunden bekommen werde. Piselli reckte sich, er sprang auf, gut ausgeruht. In seinen Taschen klimperte der Gewinn der Nacht, er rief fröhlich:
"Was für ein Frühlingstag! Heute habe ich wieder Glück!"
Pavic genoss auf Pisellis Kosten manches gute Frühstück, aber er genoss es, in der Menge der Gäste versteckt, als namenloser Mitläufer. Auf die Frage nach dem dicken Herrn in abgetragenem Anzug und schwärzlichem Hemd erklärte Piselli, der Name sei ihm entfallen. Pavic war in seinen Schmerz vertieft, er merkte es nicht, wenn junge Gecken, die ihn gestreift hatten, sich mit dem Schnupftuch den Ärmel betupften, oder wenn ein feines Fräulein, dessen Vater den Rinnstein kehrte, ihm unter angewiderten Fratzen mit Maiglöckchensträußen vor dem Gesicht umherwedelte.
Eines Abends befand er sich in der Gesellschaft der Pariser Diva Blanche de Coquelicot. Raphael Kalender hatte sie für seine Bühne gewonnen; ihre Bewunderer gaben ihr ein Souper. Auf dem Absatz der flachen Treppe, die zum Speisesaal emporleitete, erhob sich ein Prachtstück von einem Spiegel, wundervoll geschliffen, in gemeißeltem Rahmen, den schwebende Putten umkränzten. Kerzenlicht und Farben glühten höher in diesem Spiegel, als in der Wirklichkeit. Er war wie ein Haus der Wonnen, das sich weit auftat, strahlend und lockend: man musste hineinsehen. Jeder der vorbeikam, zögerte und unterdrückte ein Lächeln der Befriedigung; denn der Spiegel zeigte ihm nur das, was er an sich liebte.
Der Tribun näherte sich dem Spiegel zwischen zwei Klubleuten. Der eine bewunderte sich hauptsächlich wegen seiner Favoris und seiner schmalen Lackschuhe, der andere wegen seines neuen Fracks. Pavic erkannte dies mit einem plötzlich grell erleuchteten Blick.
"Warum bin ich denn zerknittert von Falten, als ob ich jede Nacht auf dem Sofa schliefe? Sind meine Stiefel heute gewichst? Wann war ich zum letzten Male beim Coiffeur?"
"Er kann sich nicht losreißen," sagte hinter ihm eine Dame. Pavic merkte, dass er stehen geblieben war. Er zog seine Hose hinauf, doch sie rutschte gleich wieder; und er enteilte errötend.
Er aß verzweifelt und stumm. Gegen Ende des Festes benahm Blanche de Coquelicot sich gegen ihn ausgelassen. Sie behauptete, den inneren Rand seines Hutes bedecke eine Schicht Schweinefett. Sie versuchte sogar, ihn zu reinigen, indem sie Champagner darauf goss.
Pavic war weit entfernt von den Gänsen, die ihn bewitzelten. Er dachte an seine Photographie, die ehemals in den Schaufenstern zu Jara aushing. Wer weiß, vielleicht hing sie noch dort. Die Frauen schwärmten noch immer vor dem Bildnis des edelgeformten Freiheitshelden. "Und ich sitze hier!" Plötzlich fiel ihm, mit leidenschaftlicher Deutlichkeit, ein perlgraues Beinkleid ein. Er war einmal mit ihm im Triumph spazieren gefahren, im Wagen der Herzogin von Assy.
Er ging erst, als die Rechnung bezahlt war und ihm kein Wein mehr gereicht wurde. Darauf besuchte er eine Weiberkneipe. Gegen Morgen erreichte er sein Zimmer, es lag im vierten Stockwerke eines von Handlungsreisenden benutzten Hotel meublè. Er hielt sich für todmüde, aber als er an dem gelben Stück Glas vorbeikam, vor dem er sich zu kämmen pflegte, begann er unversehens vor Wut zu zittern. Er wandte sich drohend um nach einer unsichtbaren Person.
"So hast du mich aussehen gemacht! Ruchlose! Die Holle erwartet dich, das glaube nur! Du Vornehme! Eine Herzogin gehört in die Hölle! Sie hat ja nie gelitten!"
"Du! Spielt man so mit Menschenleben?" schrie er, und sein Hass und seine Gier quollen auf in Thronen. Eine Sucht quälte ihn, nach der Herzogin und der perlgrauen Hose, beide auf immer verloren. Wären beide vor ihm gelegen, so wäre Pavic in ohnmächtigem Verlangen an ihnen zerflossen.
Er begab sich nicht zu Bette, er redete bis an den Morgen mit der Herzogin.
"Du bist nun vogelfrei, denn du bist zu böse! Dir darf man antun, was man will! Schlecht? Nein, schlecht ist nichts, wenn es zu deinem Schaden geschieht!"
Nachmittags traf er Piselli im Café Venezia. Er winkte ihn in die Ecke und überreichte ihm eine um ein halbes Jahr zurückdatierte Schuldverschreibung der Herzogin von Assy. Pisellis Haut verlor ihren Glanz, sie ward fahl.
"Dieser Mensch bringt mir Unglück," dachte er. Er zahlte sofort aus seiner Tasche und begann dabei schon nachzusinnen, wie Pavic. falls er sein Stückchen wiederholte, zu beseitigen sei.
Doch hatte er von Pavic nichts mehr zu befürchten. Der Tribun ließ sich die Hose anfertigen, aber als sie über seinem Stuhl hing, verkroch er sich ins Bett. Ihn schauderte