Widerstreit. Helmut Ortner

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Widerstreit - Helmut Ortner

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unappetitlich. Man will sich nicht vorstellen, wie es mit der AfD hierzulande laufen würde, wenn sie statt des miesepetrigen Gauland einen Schwiegermutter-Strahlemann wie diesen Sebastian Kurz hätte. Das alles sind überschaubare Zorn-Beschleuniger. Aber es gibt natürlich auch die volle Dröhnung – gewissermaßen im XXL-Format. Für die konstante Belieferung unseres Zorn-Depots wird gesorgt: die politische Klasse, die globalen Finanzjongleure, allerlei beseelte Ideologen und religiösen Fundamentalisten liefern beständig.

      Hier ein kleiner Abriss der laufenden Zumutungen: Zornig macht die beschämende Nicht-Aufklärung der NSU-Mordserie, die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes, die diese »Dienste« etwa in Hessen und Thüringen dabei gespielt haben. Zornig machen die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, vor allem deren jahrzehntelange Vertuschung. Täter wurden »kirchenintern« gedeckt, allenfalls versetzt – anstatt die Staatsanwaltschaft zu informieren.

      Zorn kommt auch auf, wenn ausgerechnet Exministerpräsident Koch – verliehen vom jetzigen Ministerpräsidenten Bouffier – einen Preis bekommt, der nach Wilhelm Leuschner benannt ist: der Gewerkschafter, Sozialdemokrat und Widerstandskämpfer Leuschner war nach einem Volksgerichtshof-Schauprozess 1944 in Berlin hingerichtet worden. Der Preis soll an ihn und sein mutiges Eintreten gegen die Nazis erinnern und Personen würdigen, die sich »im Geiste Leuschners hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft« erworben hätten. Herr Koch, der einst in der Affäre um CDU-Schwarzgelder von »jüdischen Vermächtnissen« geschwindelt hat, bekommt den Preis und die braven Partei-Claqueure applaudieren. Eine Groteske.

      Halten wir fest: Widerstand beginnt dort, wo sich die Bürger gegen Ignoranz und Arroganz, die Verwandlung von Politik in Verwaltung oder Therapie auflehnen. Dann kann es mitunter laut und gewalttätig werden. Aus Empörung wird militante Attacke, flammender Protest, gewalttätige Revolte. Aus Wut zerstörende Gewalt. Ob »Links« oder »Rechts«, ob sogenannte internationale »Antifa« oder nationale »Pegida«: Wut ist lagerübergreifend unbeherrscht. Ein allzu alltäglicher Reflex und nicht selten auch sicht- und hörbarer Beleg für ein reduziert-redundantes Weltbild, für ein einfaches Zurechtrücken komplizierter Wirklichkeiten und vor allem: Verweigerung des politischen Streits.

      LOB DES ZORNS

      Volks-Zorn, Wähler-Zorn, Götter-Zorn – der Zorn erscheint in vielerlei Gestalt. Wann aber ist der Zorn ein gerechter? Wann nur Attitüde und Pose? Höchste Zeit, den guten Ruf des Zorns zu verteidigen – gegen selbsternannte Heimatschützer und irrlichternde Verschwörungs-Erzähler.

      Der Zorn hat keinen guten Ruf. Wenn bis vor kurzem davon die Rede war, erweckte das Wort in uns allenfalls antiquierte Assoziationen wie den »Zorn Gottes« oder wir haben das Wort im Sinn von Jähzorn gebraucht, einer Unbeherrschtheit, die wir allenfalls widerspenstigen Kindern zubilligen. Mitunter haben wir es in Zusammenhang mit wütenden, altersgereiften Wutbürgern oder empörten, jungen Querköpfen gebraucht, die gegen den Abriss von Bahnhöfen, bedrohliche »Überfremdung« oder die »Merkel-Diktatur« demonstrieren. Zu beobachten ist: wo es zu individuellen und kollektiven Zornesausbrüchen kommt, treten häufig Begriffe wie Wut und Empörung an die Stelle des Zorns. Wut und Empörung – so etwas wie die mutlosen Schwestern des Zorns?

      Der Gebrauch des Wortes Zorn bleibt häufig unscharf. Da hilft vielleicht, die Sache selbst etwas schärfer zu fassen. Zorn ist zunächst ein Stellvertreter für ein weites Feld von Emotionen. Wie kann man aber dieses Feld einteilen? Wie verhalten sich zum Beispiel Wut, Hass und Zorn zueinander? Sind es Synonyme oder bezeichnen sie klar definierbare Unterschiede im Gefühl? Stehen Ärger, Empörung, Wut und Zorn vielleicht in einem Steigerungsverhältnis zueinander?

      Was ist mit all den zivilgesellschaftlichen Initiativen, den Protesten für Nachtflugverbot und gegen Autobahntrassen, für mehr Bienenschutz und gegen Massentierhaltung, all diesen landesweiten Protest-Ritualen, die, nicht selten begleitet von düsterer Untergangs-Rhetorik, die Bürger-Demokratie beschwören und lebendig halten? Was ist mit der jungen Fridays for Future-Bewegung, den Seenot-Rettungs-Akteuren, den Aktivisten von Amnesty International – und was mit den »Querdenkern« und den diversen Polit-Hooligans? Handelt es sich hierbei um »gemeinsame Zorn-Erfahrungen« oder sind sie allenfalls Ausdruck einer »schimpfenden Weltbetrachtung«, wie Nietzsche es nannte? Einigen wir uns darauf: Zorn ist ein komplexes und manchmal auch widersprüchliches Phänomen, das sich aus den unterschiedlichsten Quellen speist. Ob Volks-Zorn, Wähler-Zorn, Götter-Zorn – der Zorn kommt in vielerlei Gestalt. Wann aber ist der Zorn ein gerechter? Wann ist er blind und destruktiv? Wann nur Attitüde und Pose – wann Ausdruck einer Haltung?

      Zorn ist allgegenwärtig. Er ist ein Bestandteil unserer Existenz. Solange er individuell daherkommt, mag er für die Nächsten eine Plage sein, aber er erschöpft sich im Privaten. Anders verhält es sich mit dem kollektiven Zorn: Seine Dynamik hat die Kraft der Rebellion, die nicht unbedingt auf Ausgleich und ein friedliches Ende aus ist. Jede Gesellschaft – die politische Herrschaft ohnehin – bemüht sich um die Zähmung des Volks-Zorns. Riskant wird es für die Mächtigen dort, wo das gemeinsame Erlebnis den Zorn aus dem Käfig der privaten Einsamkeit befreit, wo sich Protest und Parolen verdichten, wo Rufe lauter und Forderungen radikaler werden. Wo der Zorn des Einzelnen sich bündelt und zum Zorn der Menge anschwillt.

      Zahllos sind die Anlässe, die Menschen in Rage versetzen, wütend und zornig machen. Betrachtet man das Gefühlsfeld der Unzufriedenheit auf seine Intensität hin, so reicht es von mildem Ärger über stark lodernde Wut bis hin zu einem Hass, der fest in die Individuen eingefressen ist. Fragt man nach seiner Zeitstruktur, kann Zorn ein punktueller Ausbruch unterdrückter Gefühle bleiben oder sich verstetigen und zur Charaktereigenschaft werden (»ein aggressiver Mensch…!«).

      Wie aber entsteht der Zorn? Baut er sich langsam auf oder schlägt er ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel? Wenn er sich langsam aufbaut, wie kann man diesen Prozess beschreiben? Geht dem eigentlichen Zorn zum Beispiel eine milde Form der Verärgerung voraus? Ist Hass Kennzeichen des langanhaltenden Zorns, wie Thomas von Aquin behauptete? Ist Zorn die Leidenschaft und Wut der Affekt, also das eine das langsam Anschwellende, das andere der plötzliche Ausbruch? Und wäre dann nicht Hass im Gefolge des Ressentiments das moralisch Negative, während der Zorn mit der Empörung verschwistert ist und damit ein moralisch positives Gefühl?

      Schon das Verhältnis zwischen Empörung und Zorn ist eindeutig schwer zu bestimmen. Beide Gefühle sind eng benachbart und können ineinandergreifen. Christoph Demmerling und Hilge Landweer, die sich in ihrem Buch »Philosophie der Gefühle« mit dem Zorn und anderen Aggressionsaffekten beschäftigt haben, nennen einige hilfreiche Kriterien zur Differenzierung: »Das Gefühl des Zorns muss ein personales Objekt besitzen, es muss jemanden geben, dem gezürnt wird. Sodann sind es im Fall des Zorns häufig der Zürnende selbst oder zumindest ihm Nahestehende, die durch das Unrecht geschädigt wurden, um derentwillen Zorn empfunden wird. Beide Bedingungen gelten für Empörung nicht unbedingt.« Während also Empörung noch vage sein kann in der Zuschreibung von Verantwortung und kausaler Zuständigkeit, übertroffen nur noch von einer diffusen »Betroffenheit«, muss im Zorn – so die Autoren – der Gegner bereits identifiziert sein. »Gezürnt werden kann nur jemandem.«

      Was aber die Empörung auslöst, die Wut aufkommen lässt und den Zorn mobilisiert, das wiederum scheint auch mit unseren jeweilig gesellschaftlich grundierten Erfahrungen von Moral verbunden zu sein. Und die Moral, das wissen wir, ist eine prekäre Angelegenheit. Sicher: jeder Begriff von Norm setzt bereits eine Generalisierung voraus, aber für den Einzelnen können diese ganz unterschiedliche Autorität besitzen. Voraussetzung ist die subjektive Handlungsfreiheit, die Fähigkeit eines Menschen, zu erkennen, zu beurteilen, ob etwas seinen Moralvorstellungen zufolge richtig ist, und entsprechend zu handeln. Es ist die Fähigkeit, Nein zu sagen.

      Die subjektiven Gefühle und Handlungsmaximen freilich sind kaum zu vereinheitlichen: wo der eine augenblicklich in Wut gerät, ein anderer sich öffentlich lauthals empört, konstituiert sich bei einem

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