Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo
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Ich vermute, du hast mein „Rätsel dieser Welt“ nicht gelesen, doch komme ich dort zu einer ähnlichen Lösung. Die Darstellung von X ist ein wenig zu „vedantisch-theistisch“. Meiner Ansicht nach ist es etwas, das sich zwischen dem Einen und den Vielen abspielt. Am Anfang warst du es (nicht das menschliche „du“, das sich jetzt beklagt, sondern das zentrale Wesen), welches das Abenteuer der Unwissenheit auf sich nahm oder gar herausforderte. Sorge und Kampf sind die notwendige Folge des Sturzes in die Unbewusstheit und des evolutionären Wiederauftauchens daraus. Man kann es nur so erklären, dass ein Ziel vorhanden war, möglicherweise das Spiel des Göttlichen Bewusstseins, des Göttlichen Anandas, und zwar nicht in seiner ursprünglichen Transzendenz, sondern unter solchen Bedingungen, die für den Sturz in die Unbewusstheit notwendig waren. Es ist grundsätzlich ein kosmisches Problem und kann allein von einem kosmischen Bewusstsein her verstanden werden. Wenn du nach einer Lösung suchst, die dem menschlichen Mental und Gefühl angenehm ist, so fürchte ich, es gibt keine. Hätten die Menschen das Universum erschaffen, so hätten sie es zweifellos viel besser gemacht. Doch sie waren noch nicht vorhanden, als es erschaffen wurde, sonst hätte man sie um Rat fragen können. Nur dein zentrales Wesen war vorhanden, und dieses war in seiner wagemutigen Tollkühnheit demjenigen von Vivekananda oder von X viel näher als der jammernden Schläue deiner murrenden und zitternden menschlichen Mentalität im gegenwärtigen Augenblick – sonst wäre es nie in dieses Abenteuer herabgekommen. Oder sollte es nicht erkannt haben, worauf das Ganze hinauslief? Genauso ist es mit denen, die sich unter ihrem Kreuze winden. Sie winden sich, weil etwas in ihnen dieses Sich-Winden will, dieses Ertragen des Kreuzes, – weil etwas in ihnen das Leiden wählt. Also?
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Die europäische Art des Monismus ist gewöhnlich pantheistisch und verquickt das Universum und das Göttliche so eng miteinander, dass sie kaum mehr zu trennen sind. Doch welche Erklärung gibt es dort für das Böse und das Leid? Die indische Ansicht ist, dass das Göttliche die innerste Substanz des Universums ist, doch es ist auch außen, es ist transzendent; Gut und Böse, Glück und Unglück sind nur Formen kosmischer Erfahrung, die aus einer Teilung und Verminderung des Bewusstseins in der Manifestation herrühren, doch gehören sie nicht zur Essenz oder zum ungeteilten Gesamtbewusstsein des Göttlichen, oder unseres eigenen spirituellen Wesens.
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Die Involution des Göttlichen in der Unbewusstheit findet durch die Einschaltung von dazwischenliegenden Ebenen statt (Obermental, Mental, Vital usw. – schließlich der Sturz in die Unbewusstheit, die der Ursprung der Materie ist). Doch kann man all dies nicht als einen Vorgang bezeichnen, der auf die Evolution im umgekehrten Sinne antwortet – denn hierfür besteht keine Notwendigkeit –, sondern es ist eine Bewusstseinsabstufung mit dem Sinn, die Evolution nach oben möglich zu machen.
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Es gibt drei Mächte des Kosmos, denen alle Dinge unterliegen – Schöpfung, Erhaltung, Zerstörung. Was immer erschaffen wurde, dauert eine Zeitlang an und beginnt dann zu zerfallen. Der Wegfall der Kraft der Zerstörung würde eine Schöpfung bedeuten, die nicht vernichtet wird, sondern andauert und sich fortwährend entwickelt. In der Unwissenheit ist die Zerstörung für den Fortschritt notwendig – im Wissen, in der Wahrheits-Schöpfung besteht das Gesetz einer fortwährenden Entfaltung ohne jedes pralaya.
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[Große katastrophale Umwälzungen bei der Herabkunft des Supramentals:] Nicht notwendigerweise. Es wird bestimmt große Veränderungen geben, doch müssen sie nicht von katastrophaler Art sein. Wenn jedoch ein starker Druck der Obermental-Kräfte auf eine Veränderung hin ausgeübt wird, werden wahrscheinlich aufgrund des Widerstandes und des Zusammenpralls der Kräfte Katastrophen stattfinden. Das Supramental vermag die Dinge auf eine größere, in seiner Fülle vollständigere Weise zu meistern, ihm ist eine Macht der Harmonisierung eigen, die den Widerstand durch andere Mittel als dramatisches Ringen und Gewaltsamkeit zu überwinden vermag.
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Ja, es hat ein gewisser Fortschritt in dieser Hinsicht stattgefunden (die seelische Wandlung), und jeder Fortschritt im seelischen oder spirituellen Bewusstsein des Sadhaks macht die Herabkunft leichter. Die Hauptursache jedoch ist, dass das Prinzip des Obermentals, jene unmittelbare, geheime Stütze der gegenwärtigen Erdnatur in all ihren Begrenzungen, mehr und mehr dem Druck des Supramentals ausgesetzt und für ein größeres Licht, eine größere Macht durchlässig geworden ist. Denn solange das Obermental vermittelt (das Prinzip des Obermentals besteht aus einem Spiel von Kräften, von denen sich jede als die Wahrheit verwirklichen will), bleibt das Gesetz des Kampfes bestehen und mit ihm die Gelegenheit für die feindlichen Kräfte.
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Soweit ich es beurteilen kann, wird die Umwandlung, wenn einmal das Supramental in der Materie gefestigt ist, unter viel weniger mühsamen Voraussetzungen möglich sein als jetzt. Diese ungünstigen Voraussetzungen haben ihre Ursache in der Tatsache, dass die Unwissenheit herrscht und die feindlichen Kräfte eine gesicherte Macht sind, die ihren Griff nicht lockern wollen und darin, dass im Erdbewusstsein keine volle Kraft des Lichtes besteht, die ihrer vollen Kraft der Finsternis nicht nur standhalten würde, sondern stärker wäre als sie.
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Die Schwäche des Arguments liegt in der einleitenden Behauptung, dass sich selbst nach der Supramentalisierung Schwierigkeiten und Angriffe fortsetzen werden. Im supramentalen Bewusstsein sind solche Angriffe nicht möglich – das Nebeneinanderbestehen des Supramentals und der niederen Finsternis im gleichen Wesen und Körper ist nicht möglich. Genau dies ist der Grund, warum die Supramentalisierung des Körperbewusstseins eine Voraussetzung für die erfolgreiche Umwandlung ist. Solange sich die Angriffe fortsetzen und erfolgreich sein können, ist das Körperbewusstsein noch nicht supramentalisiert.
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Die Herabkunft des Supramentals kann die Dinge beschleunigen, doch wird es nicht wie eine Art Patent-Medizin wirken oder alles im Handumdrehen verändern.
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Es sind die dunkelsten Nächte, die den großen Dämmerungen vorangehen – und dies ist so, weil wir in die tiefste Unbewusstheit des stofflichen Lebens nicht nur einen vorübergehenden Schein, sondern das volle Spiel des göttlichen Lichtes herabzubringen haben.
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1 „...nur die allerhöchste supramentale Kraft, die von oben herabkommt und von unten öffnet, kann die physische Natur mit Erfolg handhaben und ihre Schwierigkeiten tilgen“. (Sri Aurobindo: The Mother, p. 2)
2 Dieser Brief wurde aufgrund der folgenden Stelle aus einem Artikel von Mahatma Gandhi geschrieben, den ein Sadhak Sri Aurobindo unterbreitete und ihn um seine Stellungnahme dazu bat: „Ich bin der Ansicht, dass eine vollkommene Verwirklichung in diesem verkörperten Leben weder möglich noch notwendig ist. Ein lebendiger, unerschütterlicher Glaube ist alles, was verlangt wird, damit ein menschliches Wesen die volle spirituelle Höhe erreichen kann.“
2. Kapitel
Integraler Yoga und andere Wege
I. Shankara und Mayavada
Ich stimme mit der Ansicht, die Welt sei eine Lüge, mithya, nicht überein. Brahman ist ebenso hier wie im überkosmischen Absoluten. Das zu Überwindende ist die Unwissenheit, die uns blind macht, die uns daran hindert, Brahman in der Welt und im Jenseits sowie die wahre Natur des Daseins zu erkennen.
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