DSA: Rabenbund. Heike Wolf
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Читать онлайн книгу DSA: Rabenbund - Heike Wolf страница 15
Mit einem Fluch ließ sich Ceibhin wieder auf die Pritsche fallen und warf den Krug ins Stroh. Inion betrachtete ihn stumm, während sich der grobe Stoff über seinen Schultern spannte, als ringe er mit sich, aufzuspringen und die Fesseln kurzerhand zu zerreißen. Doch dann drehte er den Kopf ein wenig, und seine hellen Augen unter den dichten Brauen fanden ihren Blick. »Warum hast du dich eingemischt?«
Inion zog das Kinn tiefer auf die Brust und zuckte mit den Schultern. »Es hätte keinen Unterschied gemacht«, sagte sie leise. »Er weiß es doch. Er muss es wissen, wenn er nicht blind ist. Schließlich ... wollte er mich für dich kaufen.«
Sie sah, wie der Nordländer tief Luft holte. Aber er widersprach ihr nicht, sondern ließ den Kopf zurücksinken und fuhr mit der Hand durch das verfilzte Haar. »Er hätte es tun sollen«, murmelte er. »Verdammt, er hätte es tun sollen. Ich kann dich nicht länger schützen, wenn sie mich hier rausholen.«
Inion nickte stumm.
Said
Unbarmherzig brannte die Sonne auf die Hänge des Visra nieder. Dunst hing zwischen den Felsen und den niedrigen Büschen, die auf dem dunklen Geröll Halt gefunden hatten.
Said stützte sich auf einen Stecken, den er auf seinem Weg durch die Hüttenansammlungen außerhalb der Stadtmauern aufgelesen hatte. Schweiß rann ihm über Stirn und Schläfen, während er beharrlich einen Fuß vor den anderen setzte. Noch nie war ihm der Weg nach Travinaia so weit vorgekommen. Die Erschöpfung fraß an ihm, Schwindel griff nach seinem Geist, ließ helle Punkte vor seinen Augen tanzen, während er sich zwang weiterzugehen. Der Paligan hatte recht gehabt, es war Wahnsinn gewesen zu gehen, solange er nicht wieder bei Kräften war. Schon bei dem Zusammentreffen mit Rurescha hatte er mehr Glück als Verstand gehabt, dass der Maraskanerin die letzte Entschlusskraft fehlte, die man brauchte, um zu töten. Vielleicht war es doch Zuneigung gewesen, vielleicht auch jene Schwäche, die Meister Darjin davon abgehalten hatte, sie in die letzten Geheimnisse einzuweihen. Ihr Verrat schmerzte. Er hatte gehofft, dass sie wieder zueinanderfänden, wenn alles vorbei war. Doch dafür war es nun zu spät.
Schweiß brannte in seinen Augen, sodass er sie gegen die gleißende Sonne zusammenkniff. Sein Blick glitt weiter zu dem verlockenden Schatten des nahen Dschungels, der sich vielleicht hundert oder zweihundert Schritt hangabwärts wie eine grüne Wand über den schwarzen Felsen schob, und einen Moment lang war er versucht, es zu wagen. Aber der Dschungel war tödlich, wenn man nicht auf der Hut war, und in seinem Zustand war er für die Räuber, die sich im Dickicht verbargen, eine zu leichte Beute.
Said schloss die Augen und sandte ein stummes Gebet zu Boron. Es war dumm gewesen, kopflos aus der Stadt zu fliehen, aber nun musste er es zu Ende bringen. Wenn er es zu Rahanez nach Travinaia schaffte, konnte er sich ausruhen, zu Kräften kommen und gemeinsam mit ihr darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte.
Schwerfällig setzte er sich wieder in Bewegung.
Er erreichte das Dorf in der Talsenke noch vor Sonnenuntergang. Seine Lunge brannte, und seine Beine zitterten vor Anstrengung, als er zwischen die heruntergekommenen Hütten trat und zielstrebig auf Rahanez’ Unterkunft zuhielt. Er spürte die Blicke, die ihn streiften, aber niemand beachtete ihn weiter, während er auf den Stecken gestützt an den Feuern vorbeihumpelte. So abgerissen und erschöpft hielt man ihn vermutlich selbst für einen jener Rattenmenschen, die an diesem Ort Zuflucht fanden. Said war es recht, denn das letzte, was er wollte, war unnötige Aufmerksamkeit.
Rahanez’ Hütte lag verlassen da. Said runzelte die Stirn, während er die letzten Schritte hinter sich brachte. Drei Tage hatte sie ihm gegeben, die natürlich längst vergangen waren. Dennoch hatte er darauf gehofft, sie hier anzutreffen. Vorsichtig klopfte er mit dem Stecken gegen den Türpfosten und lauschte, ob sich drinnen etwas regte.
»Sie ist nicht hier.«
Said zuckte zusammen und warf einen erschrockenen Blick über die Schulter. Unwillkürlich zog er das schmutzige Tuch tiefer ins Gesicht, das er zum Schutz gegen Sonne und neugierige Blicke um Kopf und Schultern gewunden hatte, als er den alten Mann erkannte, der sich ihm unbemerkt genähert hatte. Faltige Mundwinkel hoben sich unter dem dürren Bart zu einem Lächeln, während er ihm aus einem vom Leben gezeichneten Gesicht freundlich entgegenblickte. Unter der lederartigen Haut zeichneten sich die krummen Knochen scharf ab. Die Hände hatte er auf einen knorrigen Stock gestützt, der mit zahlreichen ehemals bunten Bändern umwickelt war.
Said drehte sich langsam um, die Sinne mit einem Mal bis zum Reißen gespannt. »Ich kenne dich irgendwoher«, stellte er fest.
Der Alte nickte. »Du hast gelauscht, als ich die Geschichte erzählt habe, die sie so gerne hören.«
»Manakus.« Said verengte die Augen. »Du hast am Feuer gesessen.«
»Das ist richtig. Und du suchst schon wieder die Frau, die hier lebt.«
»Rahanez.« Said fasste seinen Stecken fester, während sein Blick wachsam zur Seite huschte. »Weißt du, wo sie ist?«
»Gut möglich.« Das Lächeln des Alten schwand. Er wandte sich ab. »Komm mit.«
Said öffnete den Mund, um nach Wohin und Warum zu fragen, aber er schloss ihn, weil er ohnehin keine Antwort erhalten würde. Wenn der Geschichtenerzähler ihm Auskunft geben wollte, dann hätte er es bereits getan, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.
Der Alte führte ihn zu einem Gebäude, das sich etwas abseits von den anderen an den Hang der Senke schmiegte. Stützpfosten und Streben aus Dschungelholz trugen ein Dach aus Palmwedeln, das erstaunlich intakt schien. Von der Decke und den Querbalken hingen zahlreiche Schnüre, an denen verschiedene Kleinodien befestigt waren: Muschelschalen, bunte Federn, Knochen, Glasscherben und sogar durchbohrte Münzen, die der Wind sanft hin und her bewegte, sodass ein leises, unaufhörliches Klimpern diesen Ort erfüllte. Die Pfeiler waren mit Stofffetzen und altenBlumen umkränzt, ganz so, wie man es aus den Tempeln in der Stadt an hohen Feiertagen kannte. Doch wo der Tempelschmuck nicht mit Gold und leuchtenden Bändern geizte, war der Stoff hier ausgeblichen und die Blumen teils verfault, als kümmerte es niemanden, dass die Gaben mit der Zeit ihren Glanz verloren.
Said verlangsamte seine Schritte, blieb schließlich stehen. »Das ist ein Götterschrein«, stellte er verblüfft fest.
Der Alte schmunzelte nur und trat in den Schatten des Palmwedeldachs. Said seufzte ergeben und humpelte hinter ihm her. Selbst eine Emilia Bonareth konnte kaum so unverfroren sein, dass sie ihm an einem Ort der Götter einen Hinterhalt stellte. Behutsam schob er die Schnüre mit den Geschenken beiseite und blinzelte in das Zwielicht der Hütte, die sich an der Stirnseite an den Berghang anschmiegte und in eine halbrunde Höhle überging. Das Licht einer Öllampe schimmerte auf der blanken Oberfläche einer Holzstatue, die mit ausgebreiteten Armen in der Felsnische stand. Blumengewinden lagen zu ihren Füßen und wanden sich um Schultern und Hals der Göttin, die Said mit einigem Erstaunen als Travia erkannte.
»Die gütige Herrin wacht über diesen Ort.« Der alte Geschichtenerzähler lächelte sacht und ging in die Knie, um zu beten. Said tat es ihm gleich, auch wenn er nicht recht wusste, welche Worte er an die Göttin richten sollte. Travia war die Göttin des heimischen Herdfeuers, der Familie und der Treue, all jener Dinge, die er nie gehabt hatte. Doch diesen Menschen hier schenkte sie ihren Segen, gab denen ein Zuhause, die sonst nirgendwo willkommen waren. Mit einem Mal erinnerte Said sich wieder an das Strahlen in den Augen der Zuhörer, als der alte Mann seine Geschichten erzählt hatte, an das freundliche Angebot, sich dazuzusetzen,