Die Botschaft der Bhagavadgita. Sri Aurobindo
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Denn nach der vedantischen Betrachtung der Dinge sind all diese scheinbar so schwerwiegenden Einwände von Anfang an null und nichtig. Für ihr Schema ist die Idee des Avatars tatsächlich unentbehrlich. Sie spielt aber in ihr natürlich nur die Rolle eines völlig rationalen und logischen Begriffs. Denn alles hier ist Gott, ist der Geist oder das Selbst-Sein, ist Brahman, ekamevādvitīyam – es gibt nichts weiter, nichts anderes und nichts davon Verschiedenes, und es kann auch nichts weiter geben, nichts anderes und nichts davon Verschiedenes. Natur ist und kann nichts anderes sein als eine Macht des göttlichen Bewusstseins. Alle Wesen sind und können nichts anderes sein als innere und äußere, subjektive und objektive Seelen-Gestaltungen und körperliche Formen des göttlichen Wesens, die in der Macht seines Bewusstseins existieren oder aus ihm entstehen. Das Unendliche ist keineswegs unfähig, die Endlichkeit anzunehmen. Das ganze Weltall ist ja nichts anderes als endlich. Wo wir auch hinschauen, wir können in der ganzen weiten Welt, die wir bewohnen, überhaupt nichts anderes sehen. Der Geist ist keineswegs unfähig zur Gestaltung und verschmäht es nicht, sich mit Materiellem oder Mentalem zu verbinden und eine begrenzte Natur oder einen Körper anzunehmen; alles hier ist nichts anderes als das, und die Welt existiert nur durch diese Verbindung, wegen dieser Voraussetzung. Die Welt ist keineswegs der Mechanismus eines Gesetzes, bei dem keine Seele, kein Geist in die Bewegung der Kräfte oder in das Wirken von Mental oder Körpergestaltungen eingreift – etwa nur ein ursprünglich unbeteiligter Geist, der irgendwo passiv außerhalb von ihr oder über ihr existiert. Vielmehr ist die ganze Welt und jedes Teilchen von ihr nichts anderes als die göttliche Kraft in Aktion. Und diese göttliche Kraft bestimmt und lenkt jede einzelne ihrer Bewegungen, wohnt in jeder ihrer Gestaltungen und hält hier jede Seele und jedes Mental in ihrem Besitz. Alles ist in Gott, bewegt sich in ihm und hat sein Wesen in ihm. In allem ist er, wirkt er und entfaltet er sein Wesen. Jedes Geschöpf ist der verkleidete Narayana.
Das ungeborene Wesen ist keineswegs unfähig, eine Geburt anzunehmen. Vielmehr sind alle Wesen in ihrer eigentlichen Individualität ungeborene Geister ewig ohne Anfang und Ende. In ihrem wesentlichen Sein und in ihrer Universalität sind alle der eine ungeborene Geist. Geburt und Tod sind nur eine Erscheinungsform dessen, dass er Formen annimmt und umgestaltet. Dass das Vollkommene das Unvollkommene annimmt, macht den ganzen geheimnisvollen Charakter des Weltalls aus. Aber die Unvollkommenheit tritt nur in der Form und im Wirken des angenommenen Mentals oder Körpers in Erscheinung und besteht nur in ihnen, im Phänomen – in jenem, das das Unvollkommene annimmt, gibt es keine Unvollkommenheit, ebenso wie es in der Sonne, die alles erleuchtet, keine Mängel an Licht und Sichtbarkeit gibt, sie bestehen nur in den Fähigkeiten des individuellen Organs des Schauens. Gott regiert die Welt auch nicht von einem entlegenen Himmel her, sondern durch seine innig-innerliche Allgegenwart. Jede endliche Kraftwirkung ist ein Akt der unendlichen Kraft. Sie ist eine begrenzte, gesonderte, selbst-seiende Energie, die sich in ihrer eigenen, aus nichts abgeleiteten Stärke bemüht. In jedem endlichen Wirken von Wollen und Erkennen können wir einen Akt des unendlichen All-Willens und All-Wissens erkennen, der es trägt und fördert. Gottes Herrschaft ist nicht die Regierung eines Abwesenden, Fremden, Außenstehenden. Er regiert alles, weil er an Macht alles überragt; aber ebenso auch, weil er im Inneren aller Bewegungen wohnt und ihre absolute Seele und ihr Geist ist. Darum kann keine der von unserer Vernunft gegen die Möglichkeit des Avatartums erhobenen Einwendungen sich in ihrem Grundprinzip durchsetzen. Denn dies Prinzip ist eine sinnlose, von der intellektuellen Vernunft vorgenommene Zertrennung der Einheit. Die ganze Erscheinung und die ganze Wirklichkeit der Welt sind jeden Augenblick am Werke, ihnen zu widersprechen und den Gegenbeweis gegen sie zu führen.
Aber abgesehen von der Möglichkeit des göttlichen Wirkens gibt es die Frage nach seiner Wirklichkeit – ob tatsächlich das göttliche Bewusstsein in Erscheinung tritt, aus dem Bereich jenseits des Vorhangs hervortritt, um überhaupt unmittelbar in der Erscheinungswelt, im Endlichen, im Mentalen und Materiellen, im Begrenzten und Unvollkommenen zu wirken. Das Endliche ist in Wahrheit nichts als eine definitive Bestimmung, als ein Nominal-Wert der Selbst-Darstellungen des Unendlichen gegenüber den eigenen Variationen seines Bewusstseins. In seinem Selbst-Sein ist der wirkliche Wert jedes einzelnen begrenzten Phänomens unbegrenzbar, was es auch immer sein mag in der Wirksamkeit seiner äußeren, phänomenalen Natur, in seiner zeitgebundenen Selbst-Darstellung. Wenn wir den Menschen betrachten, finden wir: Er ist nicht allein er selbst. Er ist kein streng abgesondertes, aus sich selbst seiendes Individuum, sondern Menschsein in einem Mental und einem Körper seiner selbst. Und auch Menschsein ist keine streng gesonderte, selbst-seiende Art oder Gattung. Sie ist das Alles-Sein, die universale Gottheit, die sich in der Art des Menschseins abbildet. Hier arbeitet sie gewisse Möglichkeiten aus, entfaltet, entwickelt, wie wir heute sagen, gewisse Mächte ihrer Manifestationen. Was sie aber in der Evolution offenbart, ist sie selbst, ist der Geist.
Denn was wir unter Geist verstehen, ist das selbst-seiende Wesen mit einer unendlichen Macht von Bewusstsein und einer unbedingten Wonne in seinem Wesen. Entweder ist er dies oder überhaupt nichts, zumindest nichts, was etwas mit dem Menschen und der Welt zu tun hat oder mit dem deshalb auch der Mensch oder die Welt etwas zu tun haben. Materie und Körper sind nur eine massierte Bewegung von Kraft des bewussten Wesens, die als Ausgangspunkt für die verschiedenen Beziehungen von Bewusstsein verwendet werden, das durch seine Macht der Sinne wirkt. Andererseits ist aber auch die Materie nicht wirklich leer von Bewusstsein. Denn selbst im Atom und in der Zelle wirkt, wie die moderne Naturwissenschaft heute, im Gegensatz zu sich selbst, überzeugend klarmacht, eine Kraft von Willen, eine Intelligenz. Diese Macht ist aber die Macht des Willens und der Intelligenz des Selbstes, des Geistes oder der Gottheit in ihrem Inneren. Sie ist nicht der gesonderte, aus sich selbst abgeleitete Wille oder die Idee der mechanischen Zelle oder des Atoms. Dieser involvierte universale Wille mit seiner Intelligenz entfaltet seine Mächte von Gestalt zu Gestalt. Und zumindest auf Erden ist es der Mensch, in dem sie dem vollendeten Göttlichen am nächsten kommt und hier zuerst, gerade auch in der nach außen gerichteten Intelligenz der Gestalt, dunkel seiner Göttlichkeit bewusst wird. Aber es gibt auch hier noch eine Begrenzung. Es gibt jene Unvollkommenheit der Manifestation, die die niederen Gestaltungen daran hindert, die Selbst-Erkenntnis ihrer Identität mit dem Göttlichen zu haben. Denn in jedem begrenzten Wesen wird die Begrenzung des phänomenalen Wirkens auch von einer Begrenztheit des phänomenalen Bewusstseins begleitet, das die Natur des Wesens definiert und den inneren Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Geschöpf ausmacht. Das Göttliche wirkt in Wahrheit hinter dem Vorhang und lenkt seine besondere Manifestation durch dieses äußere, unvollkommene Bewusstsein und diesen Willen. Es selbst ist aber insgeheim in der inneren Grotte, guhāyām, wie es der Veda nennt, oder mit dem Ausdruck der Gita: „Im Herzen alles Seienden wohnt der Herr und dreht alles Seiende durch seine Maya, als ob es auf eine Maschine montiert wäre.“ Dies geheime Wirken des Herrn, der sich im Herzen vor dem egoistischen Natur-Bewusstsein verbirgt, durch das er wirkt, ist Gottes universale Methode seines Umgangs mit den Geschöpfen. Warum sollten wir also vermuten, dass er in irgendeiner Gestaltung zu einem unmittelbaren und bewusst göttlichen Wirken in das frontale, phänomenale Bewusstsein hervortritt? Wenn überhaupt, so offenbar nur deshalb, damit er den Vorhang zwischen sich und der Menschheit zerreißt, den der in seiner eigenen Art begrenzte Mensch niemals aufheben könnte.
Die Gita erklärt das gewöhnliche, unvollkommene Wirken des Geschöpfes damit, dass sie dem Mechanismus der Prakriti unterworfen und durch die Selbst-Darstellungen der Maya begrenzt ist. Diese beiden Begriffe sind nur komplementäre Aspekte ein und derselben wirksamen Kraft des göttlichen Bewusstseins. Maya ist ihrem Wesen nach nicht Illusion. Das Element oder der Anschein von Illusion kommt nur herein durch die Unwissenheit der niederen Prakriti, die Maya der drei Gunas der Natur. Maya ist vielmehr das göttliche Bewusstsein in seiner Macht, sein