Mama, ich höre dich. Alwin Meyer

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Mama, ich höre dich - Alwin Meyer

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SS-Mann fragte, »obwohl es uns nicht erlaubt war, die ›Herrenmenschen‹ anzusprechen, den Jungen: ›Wer ist dein Bruder?‹ – ›Der!‹ – ›Also gut, stellt euch in die Reihe dort.‹ Sie wurden beide für das Gas bestimmt.«

      Zwischen dem 12. August und 17. September 1944 wurden in vier Transporten aus dem Durchgangslager in Pruszków bei Warschau 13.720 Polen23 – Kinder, Frauen und Männer – ins Lager Auschwitz eingeliefert. Sie waren nach dem Ausbruch des militärischen Warschauer Aufstandes (1. August bis 2. Oktober 1944) verschleppt worden.

      Überlebt hat unter wenigen anderen JADWIGA MATYSIAK (geborene Sztanka): Im September 1944 wurde sie zusammen mit den Eltern und einer Schwester nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Das Mädchen war zweieinhalb Jahre alt. Sie bekam die Nummer 84876 tätowiert. »Die Mutter, meine Schwester und ich wurden in das Frauenlager gebracht. Nach einiger Zeit bekamen wir die Nachricht, dass die Jungs und der Vater in das Konzentrationslager Schömberg [ein Außenlager von Natzweiler-Struthof, dort und in dessen Außenlager Dautmergen kamen insgesamt 1.774 Häftlinge ums Leben24] transportiert worden waren.

      Während des Aufenthalts in Birkenau wurde ich oftmals von der Mutter getrennt und zu einem sogenannten Revier [›Häftlingskrankenbau‹] geschickt. Ich hatte dort viele Krankheiten, unter anderem Keuchhusten, Masern, Scharlach und Ruhr. Auf dem Körper habe ich Spuren, die auf Phlegmone [eine sich diffus ausbreitende eitrige Entzündung der Weichteile, einhergehend mit Fieber] hindeuten. – In Birkenau waren wir bis Ende Januar 1945, bis man uns nach Leipzig und später nach Berlin transportierte. Während des Aufenthalts im Lager war meine Mutter schwanger. Mein jüngster Bruder Ryszard wurde [im Lager] Berlin[-Köpenick] am 26. März 1945 geboren.« Jadwiga Matysiak war im Januar 1945 gemeinsam mit Mutter und Schwester von Auschwitz-Birkenau in das KZ-Außenlager von Sachsenhausen in Berlin-Köpenick »verlegt« worden.25

      »Befreit wurden wir Ende April 1945. Nach der Befreiung kehrten wir nach Warschau zurück. Mein Vater und meine Brüder waren noch nicht da. Wir hatten keine Informationen über sie. Die Mutter war krank; sie hatte eine offene Wunde am Bein und ein Geschwür an der Brust. Sie lag sehr lange mit Fieber. Die Nachbarn haben uns drei Kinder, so gut es ging, betreut. Im Mai 1945 kamen die Brüder zurück, leider ohne Vater. Es stellte sich heraus, dass er am 24. Dezember 1944 im Lager Schömberg ermordet worden war. Meine Mutter blieb mit fünf Kindern allein zurück. Meine minderjährigen Brüder, der 17-jährige Henryk und der 15-jährige Jerzy, mussten eine Beschäftigung suchen, um die Mutter und die jüngeren Geschwister zu ernähren. Meine Schwester, die damals 13-jährige Irena, betreute uns, die zwei Jüngsten. Die Brüder und die Schwester gingen gleichzeitig zur Abendschule.«26

      Warschau, der Geburtsort von Jadwiga Matysiak, war bis zum Einmarsch deutscher Truppen Ende September 1939 eine pulsierende Metropole auch des jüdischen Lebens. In der polnischen Hauptstadt befand sich bis zu diesem Zeitpunkt die größte jüdische Gemeinde Europas. Nach dem Überfall auf Polen und während der deutschen Besatzung wurde im Herbst 1940 das Warschauer Zwangs-Ghetto installiert.27

      Überall im besetzten Europa begingen Deutsche zahllose Massenmorde. Daran erinnert auch das Mahnmal (Teilansicht) für die in Kaunas (Litauen) getöteten Kinder. Allein 1,5 Millionen jüdische Kinder wurden ermordet. Der israelische Schriftsteller David Grossman schreibt: »Jedes Kind stand am Anfang eines Lebens. Jedes einzelne war eine ganze Welt.«

      In das Ghetto hatten die deutschen Besatzer vor allem die Juden Warschaus eingesperrt, aber auch jüdische Kinder, Frauen und Männer aus anderen Teilen Polens sowie unter anderem aus der Tschechoslowakei und aus Deutschland.28 Im März 1941 befanden sich zwischen 445.000 und 490.000 Juden in dem abgeriegelten Ghetto.29 Darunter waren im Januar 1942 etwa 100.000 Kinder unter 14 Jahren.30 Damit war Warschau das größte Zwangs-Ghetto im von Deutschland besetzten Europa.31

      Die Eingeschlossenen hungerten und mussten pausenlos um ihr Leben bangen. Fast 100.000 Juden starben an den unmenschlichen Bedingungen bis zum 21. Juli 1942. Anschließend wurden aus dem Warschauer Ghetto ungefähr 329.000 Juden allein in das Vernichtungslager Treblinka transportiert. Und zwar zwischen dem 22. Juli und 2. Oktober 1942 sowie von Januar bis Mitte Mai 1943. Nahezu alle hierher verschleppten jüdischen Babys, Kinder, Frauen und Männer wurden meist innerhalb weniger Stunden in den Gaskammern von Treblinka ermordet.32

      Als die SS Mitte Januar 1943 mit der zweiten Deportationswelle begann, stellten sich ihnen bewaffnete jüdische Kämpfer entgegen. Dieser erste Aufstand in der polnischen Hauptstadt, der Aufstand im Warschauer Ghetto, das Symbol des jüdischen Widerstandes, mündete schließlich Mitte April 1943 in eine jüdische Volksrevolte. Die Kämpfe dauerten fast einen Monat, viele Tausend Juden fielen ihnen zum Opfer. Mehrere Zehntausend wurden wiederum festgenommen und erschossen, in »Arbeits-« und vor allem in Vernichtungslager transportiert.33

      Von Beginn an hatte es im Warschauer Ghetto vielfältige Formen des Widerstandes gegeben, die schließlich in den bewaffneten Aufstand münden sollten. Eine Form des Widerstandes ist ganz eng verknüpft mit dem Historiker Emanuel Ringelblum. Er war der Leiter des Untergrundarchivs »Oneg Schabbat« im Warschauer Ghetto. Ab 1940 hatte er zusammen mit einer kleinen Gruppe von Freunden und Kollegen begonnen, Material über das Schicksal der polnischen Juden zu sammeln: amtliche Dokumente, Berichte, Briefe, Befragungen, Tagebücher, persönliche Testamente, Untergrundzeitungen und Dokumente der jüdischen Widerstandsgruppen. 1946 und 1950 wurden Teile des Untergrundarchivs in den Ruinen des Warschauer Ghettos gefunden.34

      Bei Konservierungsarbeiten der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau wurde noch 2020 dieser Kinderschuh mit Notizen entdeckt. Dieser Schuh gehörte Amos Steinberg. Dieser wurde am 26. Juni 1938 geboren, überlebte und ist 1949 aus Prag nach Israel ausgewandert.

      Erhalten geblieben ist zum Beispiel ein Bericht der vereinten Untergrundorganisationen des Ghettos an die polnische Exilregierung in London vom 15. November 1942. In dem von Emanuel Ringelblum mitverfassten Text heißt es: »Im Leuchten des unvergleichlichen polnischen Herbstes glitzert und schimmert eine Schicht Schnee. Dieser Schnee ist nichts anderes, als Federn und Daunen aus dem jüdischen Bettzeug, das zusammen mit dem ganzen Gut, mit Schränken, Taschen, Koffern voller Wäsche und Kleidung, Schüsseln, Töpfen, Tellern und anderen Haushaltsgegenständen von den 500.000 nach ›Osten‹ evakuierten Juden übrig geblieben ist. Die Sachen, die niemandem mehr gehören, Tischtücher, Mäntel, Deckbetten, Pullover, Bücher, Wiegen, Dokumente, Fotografien liegen durcheinander in den Wohnungen, auf den Höfen, auf den Plätzen, zu Stößen zusammengesammelt, bedeckt mit jenem Schnee aus der Zeit des vielfachen deutschen Mordes an den Juden Warschaus, den herausgerissenen Eingeweiden des jüdischen Bettzeugs. […]

      Ausgestorbene oder sterbende Häuser, mit Stacheldrahtverhauen versperrte Straßen, Holzzäune, die die einzelnen Wohnblocks voneinander abtrennen und vor allem das vollständige Fehlen der Menschen, die noch vor zwei Monaten die Hauptarterien des Ghettos füllten, die zu ihren alltäglichen Beschäftigungen eilten, etwas kauften und verkauften, arbeiteten, eine Entvölkerung, wie sie nicht einmal die Jahrhunderte des Schwarzen Todes, der Pest, kannten – das ist das Bild des jüdischen Wohnbezirks in Warschau vom September 1942.«35

      Emanuel Ringelblum, seine Frau Yehudit und ihr 12-jähriger Sohn Uri wurden gemeinsam mit anderen Juden im März 1944 in den Ruinen des Warschauer Zwangs-Ghettos erschossen.36

      Zwischen Juli 1942 und September 1944 war Westerbork das zentrale Durchgangslager für Juden, die aus den Niederlanden vor allem »nach dem Osten« deportiert wurden.37 Ausbau und Unterhalt des Lagers wurden aus den Mitteln des von der jüdischen Bevölkerung beschlagnahmten Vermögens finanziert.38 Insgesamt wurden

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