Mama, ich höre dich. Alwin Meyer

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Mama, ich höre dich - Alwin Meyer

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Gepäck nach Theresienstadt mitnehmen durften, fragte sich die Familie zum Beispiel: Was sollen wir mitnehmen? Wo sollen wir unser Eigentum verstecken? Wird diese oder jene Frau uns später die Sachen wieder zurückgeben? Sie badeten zum letzten Mal in ihrer Wohnung, legten sich in ihre Betten und fragten sich: Wo und worauf werden wir morgen schlafen? Am nächsten Morgen zog Yehuda alle seine neuen Sachen an, und das doppelt und dreifach. Drei Paar Strümpfe, zwei Hemden, Sweater, Wintermantel. Und überall hatte der Junge besondere Taschen, in denen er alles Mögliche verwahrte.

      Wenn im Zug einer der deutschen Wachsoldaten vorbeikam, mussten alle aufstehen und die Kopfbedeckung abnehmen. 1947 protokollierte Yehuda Bacon in seinen Notizen die Szene so: »Was ist hier los? Wie heißt du? Joachim Krummholz. Batz, batz. Wie? Joachim Israel Krummholz. Wie? Du weißt es nicht? Bumm. Stinkjude Israel Krummholz, verstanden?! Jawohl, ich heiße Stinkjude Israel Krummholz. Hier können wir ersticken, geh die Fenster aufmachen! Wehe, wenn jemand die Fenster aufmacht, verstanden?! Hast du Wasser? Ich halt das schon nicht mehr aus.«

      ELSE SCHMIDT4 kam vor ihrem ersten Geburtstag in die Hamburger Pflegefamilie von Auguste und Emil Matulat. Ihre leibliche Mutter ist Sintizza, wie das Mädchen Jahre später erfahren sollte. Als Else sieben Jahre alt war, wurde sie gegen vier Uhr morgens von ihrer Pflegemutter geweckt. »In unserem Haus sah ich zwei mir unbekannte Männer in langen Ledermänteln stehen. Sie verlangten, ich solle mit ihnen kommen. Mein Pflegevater war nicht zu Hause. Er war Hafenarbeiter und hatte Nachtschicht. Das war im Frühjahr 1943.« Die Männer stiegen mit Else in die Straßenbahn und brachten sie zu einer großen Halle, die sich im Hafen befand. »Dort waren schon viele Sinti und Roma.« Alle sollten nach Auschwitz-Birkenau deportiert werden. Eine der leiblichen Töchter von Auguste und Emil Matulat fuhr so schnell sie konnte zum Hafen, um ihren Vater zu Hilfe zu holen. »Mein Pflegevater ist sofort zu dieser Halle gegangen. Es gelang ihm irgendwie, mich freizubekommen«, was eine sehr, sehr große Ausnahme war. Auf dem Rückweg sagte Emil Matulat zu Else: »Vergiss das Ganze schnell wieder.«

      HEINZ SALVATOR KOUNIO befand sich im März 1943 mit seiner Schwester Erika und seinen Eltern Helene und Salvator Kounio in einem Viehwaggon-Zug, der erstmals, nachdem sie in Thessaloniki abgefahren waren, nicht weit von der Grenze zwischen Griechenland und Serbien stoppte. Stunden um Stunden mussten sie warten. Die ganze Nacht und noch den folgenden Tag. Bis zur Dämmerung. Obwohl vor allem die kleinen Kinder ständig »nach Wasser, Wasser schrien«, wurden die Waggontüren nicht geöffnet. Auch die viel zu kleinen Eimer, in denen sie ihre Notdurft verrichten sollten und »die viele aufgrund der Enge gar nicht erreichen konnten«, wurden nicht geleert. »Es war schrecklich. Die vielen Fragen, die einem durch den Kopf sausten und unbeantwortet blieben. Die Alpträume in der Nacht. Die unaufhörlichen und alles durchdringenden Schreie der jüngeren Kinder.«

      Am 5. September 1943 wurde die aus Prag stammende Familie Steiner in Viehwaggons verladen. »Immer sechzig bis siebzig Personen samt Gepäck in einem Waggon.« Nach drei Tagen kamen sie in Auschwitz an: Die Zwillingsbrüder JIŔÍ und ZDENĚK STEINER, gemeinsam mit ihren Eltern Jana und Pavel. Als sie auf dem Bahnhof standen, ohne dass die Türen geöffnet wurden, flog plötzlich ein kleines Päckchen durch die Luke. Sie waren erschrocken. Als sie es auspackten, befand sich darin ein Stück Salami. »Es war von einem deutschen Soldaten, der den Transport begleitet hatte.« Dann holte sie die SS brutal aus den Waggons. Sie wurden in zwei Gruppen geteilt: Frauen, Mädchen und kleine Kinder auf eine Seite, Männer und größere Jungen auf die andere Seite. In Fünferreihen mussten sie in einer langen Kolonne antreten. Angetrieben durch Stockschläge der SS mussten die jüdischen Kinder, Frauen und Männer gut drei Kilometer marschieren. Dann sahen sie hinter Stacheldrahtzäunen Menschen in gestreiften Anzügen, ohne Haare. Zuvor hatte es geheißen, sie müssten irgendwo im eigenen Land »irgendeine Arbeit verrichten«. Nun befanden sie sich in Auschwitz-Birkenau.

      Dagmar und ihre drei Jahre jüngere Schwester Rita. Zusammen mit Mutter Irena und Vater Julius Fantl wurden sie 1943 nach Auschwitz deportiert. Nur Dagmar überlebte.

      Mitte Dezember 1943: Die Familie Fantl zog, so wie andere jüdische Familien, viele Kleidungsstücke doppelt an. Als Gepäck durften sie jeweils zwanzig Kilogramm mitnehmen. In der Ecke des Viehwaggons stand ein Eimer, in den sie ihre Notdurft verrichten mussten. DAGMAR FANTLOVÁ war inzwischen 14, ihre Schwester Rita elf Jahre alt. Als der Transport in Auschwitz eintraf, schaute jemand hinaus und sagte: »Wir sind in Auschwitz.« Diesen Namen hatte Dagmar schon einmal irgendwo gehört, wusste aber nicht, was sich dahinter verbarg. »Ein schreckliches Gefühl« kroch in dem Mädchen hoch. Auch YEHUDA BACON und seine Familie kamen erneut in Viehwaggons, die versiegelt wurden: »Wie die Versiegelung eines Lebendigen in einem Sarg«. Sie wurden wie »Vieh« behandelt, »das zum Schlachten gebracht wurde«.

      Eines Tages im April des Jahres 1944 hieß es im slowakischen Vel’ký Meder: »Alle Juden müssen sich melden, alle werden weggeschickt.« Zu Fuß mussten die Juden von Vel’ký Meder zum Bahnhof marschieren, der am Rand der Stadt lag. Unter ihnen befand sich der 15-jährige EDUARD KORNFELD. Etwas abseits vom Eingangsgebäude wartete ein extra bereitgestellter Zug auf sie. »Nur wenig haben wir mitnehmen dürfen, etwas Kleidung und Lebensmittel.« Alles andere hatten sie zurücklassen müssen: Geschäfte, Höfe, Häuser, Möbel, Kühe, Hühner, Ziegen. Der Zug brachte sie in das rund dreißig Kilometer entfernte Komárno. Die Juden wurden mit der jüdischen Bevölkerung der Umgebung sowie den übriggebliebenen Juden von Komárno in die Festung der Stadt aus dem 16. Jahrhundert eingesperrt. »Insgesamt müssen das um die 4.000 Menschen gewesen sein. Dort gab es kein Entkommen mehr. Es gab nichts zum Essen, keine Betten, nichts. Wir mussten auf dem nackten Boden schlafen.« Nur einmal am Tag kam ein Feuerwehrauto, und sie durften sich Wasser holen.

      Ab Mitte Juni 1944 wurden die von und nach Komárno gebrachten Juden in zwei Transporten verschleppt. Darunter befanden sich auch zwei Onkel Eduards mit ihren Familien. »Der eine hatte sechs Kinder, der andere acht.« Nur eines der Kinder sollte am Leben bleiben. Stehend fuhren sie in dem »völlig überfüllten Viehwaggon«. Im rund 350 Kilometer entfernten Košice machte der Zug einen Halt auf dem Bahnhof der Stadt. Unter Bewachung durften sie austreten. Eduard sah eine Chance zu fliehen, wollte sich schnell unter die Menschen dort mischen. Noch einmal, zuvor hatte er bereits einen Versuch in Vel’ký Meder unternommen, forderte er das zwei Jahre jüngere jüdische Mädchen, in das er sich so sehr verliebt hatte, auf: »Komm, lass uns irgendwie untertauchen.« Aber sie wollte noch immer nicht. Also blieb Eduard bei ihr.

      26. Juni 1944: Die noch nicht deportierten jüdischen Kinder, Frauen und Männer im ungarischen Békéscsaba wurden »einwaggoniert«. »Zuvor waren die meisten schon mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden.« 85 bis 95 Menschen kamen in einen Viehwaggon. »Mit einem Eimer Trinkwasser und einem Eimer für die Notdurft.« In dem Transport befanden sich neben dem 14-jährigen GÁBOR HIRSCH sieben nahe Verwandte: seine Mutter Ella (48 Jahre), seine Großmutter Gizella (81), seine Tante Malvin (40) mit ihrem Sohn Tibor (15), seine andere Tante Rozsi (33) mit ihren Söhnen Jószef (sieben) und dem erst drei Monate alten Baby Péter. »In unserem Waggon sind während der Fahrt Menschen gestorben. Wie viele? Ich weiß es nicht.«

      Seinen und den zwölften Geburtstag seines Zwillingsbruders FERENC konnte OTTO KLEIN nie vergessen. Sie hatten herausgefunden, dass im Haus eines christlichen Nachbarn im ostungarischen Hajdúböszörmény der Radiosender BBC gehört wurde. Der englische Hörfunksender strahlte mehrmals täglich Nachrichten aus. Eines der Fenster des Hauses grenzte an das Ghetto und war außen mit Brettern vernagelt worden. Doch wenn die Nachbarn »absichtlich, wie ich annehme«, das Fenster nach innen offen ließen, drangen Geräusche und Stimmen durch die Bretter nach draußen. Es war der 7. Juni 1944, als Otto und Ferenc ihre Ohren an die vernagelten Fenster pressten. Sie hörten die Nachricht von der tags zuvor angelaufenen erfolgreichen Invasion der Alliierten in der Normandie. Sie machten sich große Hoffnungen: »Würde der Krieg bald beendet sein?«

      Mitte September 1944 im slowakischen Topoľčany: ROBERT JOSCHUA BÜCHLER war 15, seine Schwester

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