Mama, ich höre dich. Alwin Meyer

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Mama, ich höre dich - Alwin Meyer

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müssen wir die Letzten sein?‹ Es wurde gesagt, ›die Juden würden in Arbeitslager kommen‹.« Robert stellte sich das Lager so vor, wie er es über die Lager der Goldsucher in Alaska gelesen hatte. Er machte sich keine besonderen Sorgen. So fanden Robert, seine Schwester Ruth und andere Kinder die »Reise« anfangs »noch amüsant«. »Wir lagen auf dem Stroh, das auf dem Boden verstreut war.«

      Nachdem der Zug ungefähr 24 Stunden unterwegs war, fanden die Jungen das alles nicht mehr so komisch. Es regnete aufs Dach. Alle waren müde. Es war eng im Waggon. Und immer, wenn der Zug anhielt, sprangen alle auf und drängten sich zu der kleinen mit Stacheldraht verschlossenen Öffnung, die sich nahe des Waggondaches befand. Irgendjemand stieg auf einen Koffer, blickte hinaus und berichtete, was zu sehen war. Und jeder fragte sich: »Sind wir da?« Die Tür wurde aufgerissen. Robert spürte »frische feuchte Luft«. Ein SS-Mann mit einem Totenkopf auf dem Helm »bellte uns an«: »Alles aussteigen! Das Gepäck bleibt im Wagen!« Sie befanden sich »mitten in der Hölle« von Auschwitz-Birkenau: Robert und sein Vater Josef Büchler kamen in eine der Holzbaracken des ehemaligen »Zigeuner-Familienlagers«. Eineinhalb Monate zuvor waren die dort zu diesem Zeitpunkt noch befindlichen letzten 4.200 bis 4.300 Sinti und Roma vergast worden.5

      Eva Umlauf (geborene Hecht) wurde am 19. Dezember 1942 im Lager Nováky geboren.

      Agi und Imro Hecht waren am 15. Juli 1942 aus dem slowakischen Trenčín, ihrem Wohnort, zunächst in das Lager Žilina und von dort am 17. Oktober ins Lager Nováky deportiert worden. Es war eine der Zwischenstationen für slowakische jüdische Kinder, Frauen und Männer in die Vernichtungslager – unter anderem nach Auschwitz-Birkenau. Agi Hecht war schwanger. An einem bitterkalten Tag, am 19. Dezember 1942, kam ihre Tochter Eva Hecht auf die Welt. Das fast zweijährige Mädchen und ihre Eltern wurden aus dem Lager Sereď, in das sie in der Zwischenzeit »verlegt« worden waren, am 2. November 1944 nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Ohne Selektion, die Vergasungen hatte die SS wahrscheinlich gerade eingestellt, wurden sie in das Lager eingewiesen. Eva sah ihren Vater zum letzten Mal. Es folgte die äußerst schmerzhafte Aufnahmeprozedur mit Tätowierung. »Ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder regelmäßig atmete und die normale Gesichtsfarbe zurückgekehrt war, brannte auf meinem Arm die Nummer A-26959.«6

       »Der oberste Zweck war Vernichtung«

      Im Oktober 1939 wurde die von Nazi-Deutschland okkupierte polnische Stadt Oświęcim unter dem deutschen Namen Auschwitz in das Deutsche Reich »eingegliedert«. Zwischen 19 Uhr abends und sechs Uhr morgens durfte sich niemand mehr draußen aufhalten. Bei Zuwiderhandlung drohte Erschießung. Alle Juden, die älter als zehn Jahre alt waren, mussten am linken Arm eine weiße Binde mit dem Davidstern tragen. Die jüdischen Geschäfte und Fabriken wurden gesperrt, von deutschen Truppen völlig ausgeplündert und kurze Zeit später den jüdischen Besitzern weggenommen. Auch alle Wertgegenstände aus Synagogen und jüdischen Haushalten wurden beschlagnahmt. Juden durften ihre Berufe nicht mehr ausüben. Stattdessen mussten sie Zwangsarbeit leisten. Eine der Folgen war die völlige Verarmung der jüdischen Bevölkerung von Oświęcim innerhalb kurzer Zeit.1

      Schon lange bildeten Juden die Mehrheit der Bevölkerung von Oświęcim. 1939 lebten zwischen 7.000 und 8.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer in der Stadt, was einem Bevölkerungsanteil von gut 58 beziehungsweise 66 Prozent entsprach.2 – Juden waren seit fast 500 Jahren in Oshpitzin ansässig, wie Oświeçim auf Jiddisch heißt. Zahlreiche Synagogen und Gebetshäuser waren in dieser Zeit entstanden. Die Große Synagoge wurde bereits Ende des 16. Jahrhunderts gebaut. Infolge eines großen Stadtbrandes wurde sie 1863 zerstört, jedoch schon bald noch prächtiger wieder aufgebaut. Mindestens 1.000 Gläubige fanden darin Platz.3 – Deutsche Besatzer brannten die Große Synagoge in der Nacht vom 29. auf den 30. November 1939 nieder. Die den jüdischen Friedhof umgebende Mauer ließen sie abtragen und bauten auf dem Friedhof einen Bunker und einen Luftschutzraum. Einen Teil der Grabsteine schafften die Nazis zum Fluss Soła, damit sie mit ihren Pferden zum Tränken einfacher zum Wasser gelangen konnten. Andere Grabsteine wurden für den Straßenbau verwendet.4

      Im April 1940 fiel die Entscheidung der NS-Behörden, am Rande der Stadt, rund zwei Kilometer von der Altstadt entfernt, ein Konzentrationslager für zunächst 10.000 Häftlinge zu installieren. Von Auschwitz aus sollten die dorthin verschleppten Polen auf die bereits bestehenden Konzentrationslager im »Reichsinneren« verteilt werden.5 Auf dem Gelände des zukünftigen Lagers standen bereits sowohl gemauerte Gebäude als auch Holzbaracken, die zuvor unter anderem von der polnischen Armee genutzt worden waren.6

      Für die Säuberung des Areals und erste Reparaturen setzten die deutschen Besatzer zunächst rund zwanzig in der Nähe wohnende polnische Arbeiter, insbesondere aber 300 Juden aus der Stadt ein. In der zweiten Maihälfte des Jahres 1940 wurden dreißig als kriminell kategorisierte Häftlinge aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen nach Auschwitz gebracht. Sie erhielten die Nummern 1 bis 30 und sollten in den Arbeitskommandos der Häftlinge als verlängerter Arm der SS fungieren. Einige Tage später trafen weitere 39 von einem deutschen Kapo geführte polnische Entrechtete aus dem Konzentrationslager Dachau in Auschwitz ein. Es handelte sich zumeist um junge Männer, Gymnasiasten, die ursprünglich aus Łódź stammten. Zur Einzäunung des Lagers hatte das »Kommando« einen Waggon Stacheldraht mitgebracht. Auschwitz I, das »Stammlager«, entstand.7

      Am 14. Juni 1940 traf der erste große Transport in Auschwitz ein. 728 Polen, politische Häftlinge aus dem Gefängnis in Tarnów, wurden eingeliefert, darunter viele junge Männer.8 Einer von ihnen war KAZIMIERZ ALBIN, Gymnasiast aus Krakau, 17 Jahre. Er wurde Häftling Nummer 118. Bei dem Versuch, über die Grenze in die Slowakei zu kommen, um sich in Ungarn beziehungsweise in Frankreich der sich neu formierenden polnischen Armee anzuschließen, war er von der SS festgenommen worden. Es folgten Verhöre, Schläge und blutige Folter. Viele der Häftlinge waren Studenten und Oberschüler. Sie hatten sich wie Kazimierz Albin dem polnischen Widerstand gegen die deutschen Okkupanten angeschlossen.9

      Mit unheimlichem Gebrüll und Schlägen wurden sie in Auschwitz »empfangen«. Zum Beispiel SS-»Hauptsturmführer« Fritsch ließ keinen Zweifel daran, was der eigentliche Zweck des Konzentrationslagers Auschwitz war: »Junge und Gesunde haben hier nicht länger als drei Monate zu leben, Priester einen Monat, Juden zwei Wochen. Der Weg aus dem Lager führt nur über den Schornstein des Krematoriums.«10 – Nach dem Transport von Mitte Juni 1940, in dem sich Kazimierz Albin befand, folgten in den nächsten Wochen weitere Verschleppungsaktionen aus den südlichen Gebieten Polens nach Auschwitz. Weitere große Transporte mit 1.666 beziehungsweise 1.705 Entrechteten trafen am 15. August und 22. September aus Warschau in Auschwitz ein.11

      Jerzy Adam Brandhuber: »Eine Schüssel Suppe.« In Auschwitz »wusste man am Morgen nicht, ob man am Abend noch leben, und abends wusste man nicht, ob man noch den nächsten Morgen erleben würde.«

      Bevor Auschwitz zu der Mordstätte der europäischen Juden durch Deutsche wurde, war es ein Konzentrationslager vor allem für Polen.12 Bei den zunächst hier festgesetzten Menschen handelte es sich oft um Angehörige der Eliten der polnischen Gesellschaft: um Anwälte, Ärzte, Künstler wie Bronisław Czech, Xawery Dunikowski oder Mieczysław Kościelniak, Lehrer, Offiziere, Pfadfinder, Politiker, Wissenschaftler …13 – Menschen also, die in der Lage waren, Widerstand gegen die deutschen Okkupanten zu organisieren.

      Die Lebensbedingungen für die Häftlinge waren bereits in der Frühphase des Lagers so angelegt, dass keiner der Verschleppten Auschwitz lebend wieder verlassen konnte. Der polnische Historiker und langjährige Mitarbeiter der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, Franciszek Piper, fasst

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