Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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Gesicht – er musste die Blicke zu Boden senken.

      »Wer sagt Ihnen, dass ich ein braver Mann bin? Die Tat, die ich begehen wollte, kann als ein Verbrechen gelten, und ich glaube fast, sie ist ein Verbrechen. Mag Gott mich dafür strafen, und Sie, mein Herr, für Ihre schöne Handlung belohnen. Ich bereue nichts, als Sie Ihrer Kleider beraubt zu haben, deren ich mich aus Zerstreuung, oder wer weiß warum, bedient habe – ich danke Ihnen dafür. Leben Sie wohl!«

      »Halt«, rief der junge Kaufmann in einem freundlichen Ton, indem er den Verzweifelnden sanft zurückhielt, »so dürfen Sie mich nicht verlassen. Sie sind für diese Nacht mein Gast und bleiben so lange hier, bis Sie sich völlig erholt haben.«

      »Lassen Sie mich, mein Herr, ich bedarf der Erholung nicht – lassen Sie mich!«

      »Sie wollen gehen«, sprach Franz in einem ruhigen, aber mahnenden Ton, »und Ihre Mutter?«

      Richard bebte zusammen.

      »Himmel«, rief er, »wer hat Ihnen gesagt, dass ich eine Mutter habe?«

      Statt der Antwort überreichte Franz dem Dichter die beiden Papiere, die man bei ihm gefunden hatte.

      »Klagen Sie mich nicht der Indiskretion an«, entschuldigte sich Franz, »denn nicht ich, sondern die Polizeipatrouille hat Ihre Taschen durchsucht, um Auskunft über Ihre Person zu erhalten.«

      Schweigend empfing Richard die Papiere und steckte sie zu sich. In diesem Augenblick trat eine Magd ein und servierte einen Tisch mit Wein und Speisen. Franz half den Tisch zu arrangieren, während Richard an ein kleines Bücherbrett trat und die darin aufgestellte Bibliothek prüfte.

      »Und nun zu Tisch«, rief Franz, als beide wieder allein waren, »dass der Wein das Blut erwärme und unsern Gedanken eine andere Richtung gebe!«

      Richard konnte nicht ausweichen, er musste der Einladung seines Gastgebers folgen und sich zu Tisch setzen. Der Dichter hatte nicht viel Appetit, wie sich wohl denken lässt, und zwei Gläser Wein, die Franz ihm aufnötigte, reichten nicht nur hin, sein Blut zu erwärmen, sondern es heißer als gewöhnlich zu machen. In dem gemütlich warmen Zimmer und hinter einer Flasche Wein zerschmolz bald die menschenfeindliche Rinde, die das Elend um sein Herz gezogen hatte, und bald fing er an, sich im Stillen Vorwürfe über seinen Freitodversuch zu machen.

      »Sie sehen«, sprach Franz, indem er mit seinem Gast anstieß, »dass mir ihre Lage bekannt ist und dass Sie Vertrauen zu mir haben können.«

      »Was fordern Sie«, antwortete Richard und stellte sein leeres Glas auf den Tisch zurück; »soll ich Ihnen meine Unglücksgeschichte erzählen? Der Brief und die elenden Verse müssen Ihnen schon genug gesagt haben. Zwar arm, erhielt ich dennoch die Erziehung eines Reichen, und dies war mein Unglück. Eines schönen Tages stand ich mit meiner Mutter allein in der Welt, niemand beachtete, niemand unterstützte uns; mein Talent, Verse zu machen, war die einzige Quelle, die uns das kärgliche Brot zum Lebensunterhalt bot. Den Schluss haben Sie gesehen: Um meiner kranken Mutter einen Platz im Hospital zu verschaffen, wollte ich mir einen in den Wellen suchen. Dies alles ist sehr einfach, mein Herr, und kann kaum Ihre Neugierde reizen.«

      »Wohl wahr«, sprach Franz, die Gläser füllend; »allein der Mann, der Sie bis zum Äußersten trieb …«

      »… hat nur seine Pflicht getan«, fiel der Gast ein. »Das Elend in dieser ungeheuren Stadt übersteigt alle Begriffe; es ist wahrhaft entsetzlich! Eine Witwe«, fuhr er mit Bitterkeit fort, »kann an der Tür eines Hospitals noch als reich gelten, wenn sie einen Sohn hat! Es ist wahr, mein Herr, mir liegt die Pflicht ob, für meine Mutter zu sorgen; allein ist es meine Schuld, wenn ich trotz aller Bemühungen keine Arbeit finden kann? Kann man mir meine Erziehung zum Vorwurf machen? Ist es meine Schuld, wenn man mich in allen Karrieren, die ich versuchte, stets unter dem Vorwand wieder entließ, ein Dichter sei zu nichts gut? Überall zurückgestoßen, musste ich wohl in diesem schwachen Talent, das mir bis dahin nur Trost gewährt hatte, eine Nahrungsquelle suchen. Um sicherzugehen, malt man das, was man gesehen, gibt man wieder, was man empfunden hat; und dieser Grundsatz bestimmte mich, der Sänger der verachteten Klasse, der Dichter des Elends und der Not zu werden. Ein unsinniges Unternehmen!« rief er mit einem Seufzer aus, »denn die Glücklichen unseres Jahrhunderts, jene Leute, die nicht glauben, dass es möglich ist, vor Hunger zu sterben, behandelten mich wie einen Träumer, wie einen Misanthropen. Und wenn ich hier oder da einige Sympathie erweckte, so war es nur in den Herzen derer, die in Mangel und Elend lebten wie ich. Um das Maß meines Unglücks vollzumachen, bemächtigte sich meiner eine Leidenschaft, die ebenso hoffnungslos wie schrankenlos ist – doch wozu diese Erörterungen, die Ihnen nur lästig werden, mein Herr; ich bin ein armer Verrückter, von Stolz und Ohnmacht aufgebläht, ein elender Teufel, dem nichts bleibt als der Selbstmord!«

      »Mut, Mut, lieber Freund!«, tröstete Franz.

      »Freilich ist es schauderhaft, so zu reden, aber ich bin der festen Überzeugung, dass der Dämon der Zerstörung seine Versuche erneuert und dass ich zum zweiten Mal erliege. Ja, sehen Sie mich nur an, mein Herr, ich verdiene das Mitleid nicht, das Ihnen mein Zustand einflößt; es ist Torheit, selbst Schande, sich für mich zu interessieren!«

      Mit großer Teilnahme hatte der Associé des Herrn Hubertus den Leidensbericht und die Ausbrüche der Verzweiflung seines Gastes angehört; starr sah er vor sich hin, als ob er auf ein Mittel sänne, dem Elend desselben abzuhelfen. Plötzlich blickte er den armen Dichter freudig an und sprach in einem Ton, der keinen Zweifel über die Annahme seines Vorschlags und über den Ernst, mit dem er gemacht wurde, übrig ließ:

      »Wenn Ihnen nun in einer Fabrik, die freilich für den Augenblick mit dem Druck der Zeit zu kämpfen hat, aber bald wieder ihren alten Flor behaupten wird, ein bescheidener, sicherer Platz angewiesen würde, der Ihnen erlaubte, auf bessere Tage zu warten? Wenn sich Ihre Tätigkeit nur auf die Korrespondenz und die Führung einiger Register beschränkte?«

      Richard zuckte mit den Achseln, als ob er dies für ein Ding der Unmöglichkeit hielt.

      »O es ist nicht so schwer, wie Sie glauben«, fuhr Franz mit Wärme fort, der die Pantomime des Dichters falsch verstanden hatte, »es ist wahrhaftig nicht so schwer, und außerdem kenne ich jemanden, der sich glücklich schätzen würde, Ihnen Anleitung zu geben. Als Gegenleistung von Ihrer Seite würden Sie in den Mußestunden dem Herrn dieser Fabrik, einem guten jungen Mann, der sich bisher nur mit seinem Geschäft befasste, Unterricht in den Wissenschaften erteilen, denn Sie müssen wissen«, fügte er halblaut hinzu, »die Liebe hat diesen Fabrikherrn auf andere Ideen gebracht; er ärgert sich, dass er in den Augen seiner Braut als ein dummer, unwissender Mensch erscheinen muss. Nun«, rief er laut aus, »wenn man Ihnen einen solchen Platz anböte, würden Sie noch daran denken, sich das Leben zu nehmen?«

      »Der Vorschlag ist so übel nicht«, meinte Richard; »allein«, setzte er seufzend hinzu, »wo soll ich einen solchen Platz finden?«

      »Hier, in meiner Fabrik!«, rief Franz, indem er die Gläser von Neuem füllte. »Sind Sie mit dem zufrieden, was ich Ihnen biete, so stoßen Sie an, denn es kommt aus gutem, wohlmeinendem Herzen!«

      Überrascht erhob sich der Dichter von seinem Platz und griff fast zitternd nach dem Glas. Beide stießen an und tranken.

      »Sie haben mir Ihre Geschichte erzählt«, begann Franz wieder und zog den Gast auf den Stuhl zurück, »jetzt werde ich Ihnen in wenigen Worten die meinige erzählen. Von meiner frühen Jugend ist mir nur so viel bekannt, dass mich Herr Hubertus, der Besitzer dieses Hauses, aus Mitleid von der Straße aufgenommen hat. Mich hungerte, und er gab mir zu essen; mich fror, und er gab mir Kleidung. Nach zehn Jahren wurde ich sein Kommis, später erhob er mich zu seinem Associé und endlich … doch es

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