Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader
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»O mein Gott«, rief Richard und Tränen traten ihm in die Augen, »es gibt doch noch gute Menschen auf deiner Erde! Reichen Sie mir Ihre Hand, edler Mann!«
»Haben Sie daran gezweifelt?«
»Ich war stets so unglücklich, dass ich nicht anders denken konnte.«
»Nur getrost, mein lieber Freund, Herr Hubertus wird Sie mit den Menschen wieder aussöhnen; unsere Freundschaft soll Sie mit neuen, festen Banden an das Leben knüpfen. Morgen stelle ich Sie meinem Wohltäter vor, dann eilen Sie zu Ihrer Mutter, um die arme Frau durch gute Nachrichten zu trösten, und kehren fröhlich und froh zu uns zurück.«
Dem Dichter wollte das Herz zerspringen vor Freude und Dankbarkeit; bei dem Gedanken an seine Mutter rannen ihm die Tränen über die Wangen; er ergriff beide Hände des jungen Fabrikherrn und rief:
»Wer sind Sie denn, mein Herr, der Sie mich so unaussprechlich glücklich machen? Ich kenne Sie kaum und schon üben Sie einen unwiderstehlichen Einfluss auf meinen Geist aus, dass ich mich nie wieder von Ihnen trennen möchte.«
»Ich bin Ihr Freund und, wenn Sie wollen, Ihr Schüler, denn morgen schon werden wir mit dem Unterricht beginnen. Doch nun zu Bett, lieber Freund, es ist schon spät und wir beide bedürfen der Ruhe.«
Franz ergriff ein Licht und führte seinen Gast in ein Zimmer, das auf demselben Korridor dem seinigen gegenüberlag und mit allen Bequemlichkeiten versehen war.
»Gute Nacht, mein edler, großmütiger Freund!«
Beide reichten sich noch einmal die Hände, dann schieden sie voneinander.
Obgleich erschöpft von der Anstrengung des kalten Flussbades, floh unseren Richard dennoch der Schlaf; alles was ihn umgab, bewies zwar die Wahrheit der glücklichen Umgestaltung seiner Verhältnisse, durch das Elend aber, in dem er stets gelebt hatte, war er so kleinmütig geworden, dass er immer noch nicht daran glauben konnte.
»Mir kommt alles wie ein schöner Traum vor«, sprach er zu sich selbst. »Sollte ich wirklich einen Freund gefunden haben, der mich in die Lage versetzt, meiner armen Mutter für die Zukunft eine Stütze zu sein? Ich kann an dieses Glück kaum glauben, denn das Schicksal hat für uns nur Not und Elend; die Freuden des Lebens sind für andere bestimmt. Nein, nein, es ist doch Wahrheit und kein Traum, denn noch höre ich die Worte, noch fühle ich den Händedruck meines neuen Freundes; es ist Wahrheit! Und durch ein Verbrechen, durch den Selbstmord ist diese Veränderung meines Lebens herbeigeführt worden. O mein Gott«, rief er aus und streckte die Hände empor, »ich fühle, dass es nicht recht war, an dir zu verzweifeln, denn du bist ja immer da am nächsten, wo die Not am größten ist; du lässt keines deiner Geschöpfe im Elend untergehen! Wohlan, ich will von diesem Augenblick an nie mehr an den Tod denken, sondern mich standhaft dem Leben stellen und fleißig für meine Mutter arbeiten; vielleicht ist das Schicksal müde uns länger zu verfolgen, denn wir haben genug gelitten. Gute Nacht, Mutter, morgen, wenn der Tag graut, sehe ich dich wieder, um dir unser Glück zu verkünden!«
Dieser Vorsatz schien den aufgeregten Geist des jungen Mannes beruhigt zu haben; der Schlaf kam und schloss ihm die müden Augen. An der Schwelle des Tores, durch das Richard in das Reich der Träume trat, stand Anna; aber wie ein Nebelgebilde verschwand sie wieder, kaum dass er sie gesehen hatte.
Der nächste Morgen brachte einen kalten, aber hellen Novembertag. Kaleb, der alte Kassierer, war der erste im Haus, der sein Bett verlassen hatte. Die Sorge um das Kapital, das er trotz der beruhigenden Nachricht, die Franz gebracht hatte, dennoch bei dem Bankier nicht sicher wähnte, lag ihm so schwer auf dem Herzen, dass es ihn nicht länger auf seinem Lager hielt. Es war sechs Uhr, als der Greis in das Kontor trat und dessen Fensterläden öffnete. Nachdenkend blieb er einige Augenblicke stehen und betrachtete durch die Scheiben des Fensters den roten Streifen, der im Osten den jungen Tag verkündete.
»Was wird dieser Tag uns bringen?«, seufzte Kaleb; »ein ahnendes Gefühl prophezeit mir nichts Gutes!«
Langsam verließ er das Zimmer, schritt durch den weiten Hausflur und öffnete die Haupttür des Hauses. Der große Platz lag noch in den Schatten der Nacht eingehüllt, und die Laterne, die an einem langen eisernen Arm neben der Tür angebracht war, verbreitete noch einen hellen Lichtschein. Als sich der alte Mann wieder in das Innere des Hauses zurückziehen wollte, trieb der Zugwind, der durch das Öffnen der Tür entstanden war, ein Stück Papier von der Straße heran. Neugierig bückte sich Kaleb zur Erde und hob es auf.
»Was ist das?«, sprach er leise und trat unter die Laterne, um den Fund näher zu untersuchen. »Ein Stück von einem Anschlagzettel«, fuhr er beruhigt fort, als er die großen gedruckten Buchstaben sah; »wahrscheinlich hat sich ein Mutwilliger den Spaß gemacht, ihn von der Ecke unseres Hauses abzureißen, wo in der Regel die Bekanntmachungen der Behörden angeklebt werden. Wollen doch sehen, was er enthält.
Eine Belohnung von dreitausend Dukaten wird dem zugesichert, welcher dem Generalkommando den Verfasser der Schmähschrift ›Die Jesuitenkrone‹ dergestalt zur Anzeige bringt, dass er zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Dreitausend Dukaten für eine Anzeige! Ich habe gestern schon davon gehört, allein ich wollte es nicht glauben. Die Verführung zur Verräterei ist wahrlich groß; ich bin ein eifriger Verehrer der gesetzlichen Ordnung, aber zu solchen Verlockungen sollten deren Vertreter die Steuern der Untertanen nicht verwenden; das ist ein Judaslohn, der hier ausgelobt wird! Hätte ich den Zettel an unserm Haus erblickt, ich hätte ihn ebenfalls abgerissen. Aber wissen möchte ich doch, was diese Schrift so Unerhörtes enthält, dass man eine solche Summe darauf setzt – sie muss entweder Lügen verbreiten oder Wahrheiten, die man fürchtet, und eine Regierung sollte doch die Wahrheit nicht fürchten!«
Der Greis hatte sich so tief in sein Selbstgespräch versenkt, dass er einen einfach gekleideten Mann, der schon seit einigen Minuten aus dem Dunkel an ihn herangetreten war und ihn belauscht hatte, nicht bemerkte. In dem Augenblick, als Kaleb kopfschüttelnd in das Haus zurückkehren wollte, vertrat ihm der Fremde den Weg.
»Sie wollen wissen, was jene Schmähschrift enthält«, sprach der Mann, »auf deren Verfasser man eine Belohnung ausgesetzt hat? Ich kann es Ihnen sagen.«
»Mein Herr«, rief Kaleb erschrocken, »wer sind Sie, dass Sie es wagen …?«
»Erschrecken Sie nicht, alter Freund, mich leitet keine böse Absicht. Das Libell beschuldigt die Krone, dass Sie sich der Jesuiten bedient habe, das Volk in geistiger und körperlicher Knechtschaft zu halten; es entdeckt Frevel und Verbrechen, die in den Klöstern und Staatsgefängnissen verübt worden sein sollen; es stachelt das Volk zu offenem Aufstand an, die Vergangenheit durch den Umsturz des Thrones zu rächen und die durch die letzte Revolution errungenen Freiheiten zu sichern und auszudehnen. Es bemüht sich ferner zu beweisen, dass die Krone nicht aufrichtig gesinnt ist, dass sie die Fäden der Reaktion bereits wieder gesponnen hat und das arme Volk im passenden Augenblick durch einen furchtbaren Schlag in den Abgrund der Knechtschaft zurückschleudern will. Diese Anklagen, mein Freund, enthält die fragliche Schrift. Soviel man bis jetzt ermittelt hat, ließ sie der General B., der mit einem Teil seiner Truppen zum Volk übergetreten ist, vor der Eroberung der Hauptstadt im ganzen Land verbreiten, um zur Erreichung des angegebenen Zwecks die Provinzen für sich zu gewinnen; allein das Los der Waffen hat bereits zu seinem Nachteil entschieden. Obgleich durch Truppenmacht gesichert, ist der Monarch in der öffentlichen Meinung dennoch schwer gekränkt, und aus diesem Grund legt man ein so großes Gewicht