Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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      »Nein«, gab er zur Antwort, »er wird auch nicht abreisen.«

      »Warum?«

      »Weil er sich entschlossen hat, in unsere Dienste zu treten und die Korrespondenz zu übernehmen. Sie wissen, dass Ihr Vater schon lange auf die Besetzung dieses Postens drang; ich halte sie aber erst jetzt für nötig, da die politischen Verhältnisse eine größere Tätigkeit gestatten. Mein Freund ist gerade der Mann, wie ich ihn brauche, und ich hoffe, er wird nicht allein dem Geschäft, sondern auch meiner Person von wesentlichem Nutzen sein.«

      »Wie«, fragte Anna verwundert, »Ihrer Person?«

      »Ja, meiner Person.«

      Die beiden jungen Leute standen in diesem Augenblick an derselben Stelle, wo sie im Frühling zum ersten Mal über ihre Herzensangelegenheit gesprochen hatten. Eine wehmütige Erinnerung drängte sich der Jungfrau auf, als sie die schwarzen, blätterlosen Zweige des Rosenstrauchs erblickte, der so oft seine duftenden Blumen geliefert hatte, mit denen sie das Zimmer des alten Wilibald schmückte. Aber auch Richards Bild tauchte mit der Erinnerung an den Greis empor; sie musste sich zur Seite wenden, um ihre Verwirrung zu verbergen, denn ihr war, als ob Franz die Veränderung bemerken müsste, die seit der Unterredung an diesem Ort in ihrem Herzen vorgegangen war. Ängstlich, dass ihr Begleiter die Gelegenheit benutzen und ein Gespräch anknüpfen würde, in dem sie nicht immer mit freier Stirn vor ihm hätte stehen können, fragte sie nach einer kleinen Pause:

      »Sie wollten mir ja von Ihrem Freund erzählen, lieber Franz?«

      Anna ahnte nicht, dass diese Frage gerade dem Ziel entgegenführte, das sie zu vermeiden suchte, denn Franz, der in der Tat die Absicht hegte, durch die Erzählung von seinem Freund ein Gespräch über seine Herzensangelegenheiten einzuleiten, trat freudig näher und antwortete:

      »Ganz recht, von meinem Freund! Erinnern Sie sich noch des Planes, den ich Ihnen hier an dieser Stelle, als der Rosenstrauch in voller Blüte stand, mitteilte?«

      »Eines Planes?«, sprach sie betreten, als Franz sie an jenes Gespräch erinnerte.

      »Sagte ich Ihnen nicht«, fuhr der Associé des Herrn Hubertus leiser fort, »dass Sie sich Ihres zukünftigen Mannes vor Ihren gebildeten Freundinnen nicht zu schämen haben sollten?«

      »Nun?«, fragte Anna tief errötend.

      »Diesen Plan wird mein Freund mir ausführen helfen.«

      »Ihr Freund?«

      »Ja, denn er ist ein wissenschaftlich gebildeter junger Mann und hat mir versprochen, in den Mußestunden meine Studien zu leiten, denen ich mich bisher, freilich nur mit geringem Erfolg, allein gewidmet habe.«

      »Mein lieber Freund«, sprach Anna gerührt, »warum widmen Sie Ihre Mußestunden nicht der Erholung, der Sie doch nach den anstrengenden Geschäften bedürfen? Bedenken Sie Ihre Gesundheit!«

      »Die Wissenschaften gewähren mir nicht allein Erholung, sondern auch Vergnügen.«

      »Außerdem besitzen Sie hinreichende Kenntnisse …«

      »Glauben Sie mir, liebe Anna, ich kenne mich, und meine schwachen Talente auszubilden, ist ja das Geringste, so wie auch alles andere, was ich Ihnen zuliebe tun kann.«

      »Franz«, sagte Anna, »ich weiß nicht, ob ich den Erwartungen je werde entsprechen können, die Sie von einer Verbindung mit mir hegen. Obgleich ich mich bemühen werde, Ihnen eine gute Hausfrau zu sein, so glaube ich doch kaum, dass es sich der Mühe lohnt, meinen Besitz durch solche Opfer zu erkaufen; einen Besitz, den Ihnen ja schon der Wille meines Vaters gesichert hat.«

      »Der Wille Ihres Vaters?«

      »Ist auch stets der meinige«, antwortete das junge Mädchen errötend, denn es fühlte, dass es ein wenig zu weit gegangen war.

      »Anna«, rief Franz, »ich glaube Ihren Worten, aber glauben Sie auch mir: Ich werde nicht eher daran denken, den Wunsch Ihres Vaters, den Sie fälschlich mit dem Ausdruck ›Willen‹ bezeichneten, zu realisieren, bis Sie selbst mich dieses Glückes für würdig halten. Dem trockenen Geschäftsmann, wie Sie ihn in diesem Augenblick noch vor sich sehen, sollen Sie nie Ihre Hand reichen; nur wenn er Herz und Geist zu jener Stufe herangebildet hat, die erforderlich ist, dem armseligen Leben ein wenig Poesie zu verleihen, dann wird er fragen, ob die Familie Hubertus noch denselben Wunsch hegt.

      In diesem Augenblick trat die Magd heran und überhob die beschämte Anna der Antwort auf die edelmütige Äußerung des jungen Mannes.

      »Was gibt es?«, fragte Franz.

      »Hier ist ein Brief für den jungen Herrn.«

      »Von wem kommt er?«

      »Von dem jungen Mann«, antwortete die Magd, »der diese Nacht das Zimmer im zweiten Stock bewohnte.«

      »Ah, von unserm neuen Kommis«, rief Franz und öffnete das Papier.

      »Nachdem er mir den Brief übergeben hatte«, fügte das Mädchen hinzu, »eilte er schnell und, wie es schien, sehr bewegt die Treppe hinab. Wahrscheinlich hat er das Haus verlassen, denn er ist bis jetzt noch nicht wieder auf sein Zimmer zurückgekehrt.«

      »Sonderbar!«, sprach Franz und las den Brief, der Folgendes enthielt:

       »Ich kann die Stelle nicht annehmen, die Sie mir angetragen haben. Der Himmel sei mit Ihnen; Sie sehen mich nie wieder!«

      »Der Brief hat keine Unterschrift; der Unglückliche wird sich das Leben nehmen wollen!«

      »Das Leben nehmen?«, rief Anna.

      »Ich zweifle nicht einen Augenblick daran; diese Zeilen verraten seine Absicht.«

      Franz reichte dem jungen Mädchen das Billett, doch kaum hatte es die Schriftzüge erblickt, als es erbleichend ausrief:

      »Mein Gott, ich kenne diese Handschrift!«

      »Was sagen Sie, Anna?«

      »Ja, sie ist es«, stammelte Anna, die noch einmal zitternd das Billett gelesen hatte, »es ist die Handschrift eines jungen Mannes, den ich einige Male an dem Krankenbett eines armen Greises gesehen habe.«

      »Und wissen Sie, wo er wohnt?«

      »Er bewohnt mit seiner Mutter dasselbe Haus, in dem der kranke Greis wohnt, den wir unterstützen.«

      »In welcher Straße?«

      »R.gasse Nr. 10.«

      »Wissen Sie seinen Namen nicht?«

      »Er heißt Richard Bertram.«

      Franz wollte reden, aber der Schreck hatte ihm die Zunge gelähmt. Starr sah er einen Augenblick die zitternde Anna an, dann fragte er noch einmal:

      »Bertram – sagen Sie?«

      »Richard Bertram«, wiederholte Anna, indem sie die Zeilen betrachtete und in Tränen ausbrach.

      Franz bemerkte den Schmerz der Jungfrau nicht, denn sein Schreck hatte sich plötzlich

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