Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader

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es ist unmöglich!«

      »Richard, denken Sie an Ihre Mutter!«

      »Wüssten Sie den Grund meiner Weigerung, würden Sie nicht weiter in mich dringen. Um mich Ihnen dankbar zu zeigen, werde ich das Leben, das Sie mir gerettet haben, erhalten und für meine Mutter zu verwenden suchen, damit sie der Wohltaten anderer nicht bedarf; vielleicht ist mir das Glück noch einmal hold. Doch um Ihrer selbst willen beschwöre ich Sie, lassen Sie mich und treten Sie zu mir in keine Beziehung, auch nicht in die entfernteste! Lassen Sie mich und beschwören Sie den Stern nicht wieder herauf, der mir den Weg zu meinem Grab beleuchtete.«

      »Armer Freund, Sie gehen zu weit! Stellen Sie sich vor, ich sei Ihr Bruder, Ihr Bruder, der helfen kann und will.«

      »Sie wollen und können der Armut helfen? Gut, so gehen Sie zu meinem blinden Nachbarn, einem armen Greis, auf dem ebenfalls der Fluch der Wissenschaften ruht; gehen Sie zu ihm und helfen Sie. Ich kann und werde nie etwas von Ihnen annehmen.«

      »Wollten Sie meine Studien nicht leiten?«, fragte Franz; »wollten Sie nicht mein Lehrer sein?«

      »Entbinden Sie mich meines Versprechens«, antwortete Richard, »ich kann es nicht halten. Wozu würden Ihnen auch die Kenntnisse nützen, die Sie von mir erlangen könnten? Sollte Ihnen der Himmel einmal Kinder schenken und Sie wissen nicht, was Sie damit anfangen sollen, so schicken Sie sie auf eine Universität; dort lernen sie alles, was nötig ist, um einst zu verhungern. Doch jetzt, mein Herr, bitte ich Sie, verlassen Sie mich, denn meine Mutter wird zurückkehren; sie ist krank und kann keine Besuche empfangen.«

      »Ihre Mutter ist krank«, rief der junge Kaufmann, »und Sie weisen meine wohlgemeinte Anerbietung zurück? O Himmel«, fügte er schmerzlich hinzu, »dann ist es nicht allein Ihre, sondern auch meine Pflicht, alles aufzubieten, die arme Kranke zu pflegen und für sie zu sorgen! Hat sie einen Arzt?«

      »Einen Arzt«, sprach Richard mit bitterem Lächeln, »wozu ein Arzt?«

      »Ist die Krankheit Ihrer Mutter unheilbar?«

      »Ich hoffe es«, war die ruhige Antwort des Dichters. »Gott, der ihren Geist in die Region der Träume geführt hat, wird ihr die traurige Gnade nicht verleihen, ihr das Bewusstsein ihres Unglücks zurückzugeben. Es gibt Augenblicke, in denen ich meine Mutter beneide.«

      »Allmächtiger Gott«, rief Franz in Verzweiflung, »so ist sie wahnsinnig?«

      Richard sah seinen Lebensretter, der laut schluchzend vor ihm stand, verwundert an; er wusste nicht, was er von dem Mann, der seit gestern Abend so warmen Anteil an seinem Schicksal nahm, halten sollte.

      In diesem Augenblick ließen sich Schritte auf dem Vorsaal vernehmen. Gleich darauf öffnete sich die Tür und Richards Mutter trat ein. Die arme Wahnsinnige trug einen alten zerrissenen Mantel, den sie fest um ihre Schultern zusammenzog, als ob sie sich vor Kälte schützen wollte. Eine weiße Morgenhaube, die vor Jahren einmal in Mode und schön gewesen war, hielt ihr Haar zusammen, das an einigen Stellen in Unordnung herabhing. Ohne den Fremden zu bemerken, der sich bei dem Geräusch des Eintretens zur Seite zurückgezogen hatte, ging sie mit dem Lächeln, das armen Wesen ihrer Art eigen ist, auf Richard zu und reichte ihm mit den Worten die Hand:

      »Mein Sohn, bist du endlich da?«

      »Guten Morgen, liebe Mutter«, antwortete Richard, indem er die dargereichte Hand an seine Lippen drückte. »Verzeihung Mutter, wenn ich Ihnen durch meine Abwesenheit Kummer und Sorgen bereitet habe!«

      »Gewiss war ich in Sorge, mein Richard, als du mit der Nacht nicht heimkehrtest; schon glaubte ich, dass die Mächtigen dieser Erde mich auch meines Richard beraubt hätten, wie sie mir vor langer, langer Zeit meinen Gatten raubten und meinen kleinen lieben Fritz. Doch dem Himmel sei Dank, ich habe dich wieder; die arme Witwe Bertram hat nur ihren jüngsten Sohn zu beweinen, der vielleicht mit einem Fluch für seine Mutter gestorben ist! – Richard«, rief die arme Frau mit dem Ausdruck des höchsten Schmerzes, »bleibe du bei mir, verlass mich nie wieder, damit ich nicht allein in der Welt stehe!«

      Länger konnte sich Franz, der der Unterredung, am ganzen Körper zitternd, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt war, nicht halten; überwältigt von Schmerz und Freude stürzte er vor Frau Bertram, die mit einem Arm ihren ältesten Sohn umschlungen hielt, auf beide Knie nieder und rief:

      »Nein, Mutter, nein, Ihr Fritz lebt und hat nur ihren Namen genannt, um ihn zu segnen!«

      Laut weinend hatte der junge Mann die Hand der erschrockenen Frau ergriffen und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

      »Richard«, stammelte die Mutter und sah mit starren Blicken auf den Knienden herab, ohne ihm ihre Hand zu entziehen, »wer ist dieser Mann? Er weint … seine Hand bebt … Richard, wer ist dieser Mann?«

      Aber auch Richard war keines Lautes fähig; einer Bildsäule gleich stand er da und sah mit weit aufgerissenen Augen den Fremden an, den das Schicksal ihm als Lebensretter entgegengesandt hatte. Der Gedanke, der für Anna bestimmte Gatte sei sein Bruder, stieg mit Blitzesschnelle in ihm empor und beraubte ihn fast seiner Besinnung.

      »Richard«, rief Franz, indem er beide Hände emporstreckte, »begreifst du nun, warum ich dich nicht verlassen habe? O so antworte doch deiner Mutter«, fügte er dringend hinzu, »und sage ihr, dass dein Bruder zu ihren Füßen liegt, dein Bruder und ihr totgeglaubter Sohn, der sich von diesem Augenblick an nie mehr von euch trennen wird!«

      Wie immer, wenn die Vergangenheit in ihr emporstieg, so sank auch jetzt die Nacht des Wahnsinns mit doppelter Schwere auf die arme Mutter herab; sich ihrer Umgebung völlig unbewusst, starrte sie mit trockenen Augen vor sich hin und zog den Mantel fester um ihre Schultern, als ob sie von einem Fieberfrost durchbebt würde.

      »Mein Herr«, unterbrach Richard die eingetretene Stille, nachdem er seine Mutter zu einem Stuhl geführt hatte, »Sie scheinen es sich mit bewunderungswürdiger Beharrlichkeit zur Aufgabe zu machen, kein Mittel unversucht zu lassen, mich Ihnen zu verpflichten. Ihr Benehmen, das Sie bis jetzt gegen mich beobachtet haben, ließ mich einen Mann in Ihnen erkennen, dessen biederer Charakter mir Achtung auferlegte; ich suchte und fand keinen andern Grund für Ihre humane Annäherung als eben diesen Charakter; wenn Sie aber den Schmerz meiner armen Mutter, den Sie aus dem kurzen Gespräch, das vorhin stattfand, kennengelernt haben, und den Umstand, der ihr diesen Schmerz bereitet, zur Erreichung Ihres Zweckes verwenden wollen, so erlauben Sie mir die offene Erklärung, dass ich Sie für einen überspannten Abenteurer oder für einen Menschen halte, der beauftragt wurde, wenn er nicht selbst Gründe dazu hat, mich und meine Mutter so abhängig zu machen, dass wir gezwungen sind, uns einem unbekannten Plan zu fügen. Was auch immer Ihre Absicht sein mag, entfernen Sie sich und überlassen Sie uns unserm Schicksal!«

      Franz erhob sich und sah dem entrüsteten Bruder schmerzlich lächelnd ins Angesicht.

      »Richard«, rief er nach einer Pause, und die Gefühle seines Herzens strahlten aus den feuchten Augen, »du hältst deinen Bruder für einen leichtsinnigen Abenteurer, für einen Verräter? Regt sich denn kein Gefühl, keine Stimme in dir, die die Nähe des brüderlichen Herzens verkündet? Mir sagt es mein ganzes Wesen, dass ich meine Mutter, meinen Bruder wiedergefunden habe; mir sagt es die Freude und der Schmerz, dass ich das Ziel meiner Sehnsucht erreicht habe. Ja, ich bin jenes Kind, das Ihr verloren glaubtet, ich bin der kleine Fritz, den unsere arme Mutter beweint. Noch sehe ich den prächtigen Wagen und die raschen Pferde, die mich von der Hand der Mutter trennten, noch höre ich den Schrei der Unglücklichen, während ich durch das Gedränge von ihr entfernt wurde. Weinend durchirrte ich die mir fremden Straßen, bis ich mit dem Einbruch der Nacht erschöpft vor einem großen Haus niedersank. Da trat plötzlich ein Mann zu mir und

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