Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis. Walter G. Pfaus
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"Wenigstens gibt es ab und zu noch so etwas wie Zivilcourage!", raunte Milo mir zu. Manche Leute glauben, Zivilcourage müsse immer bedeuten, dass man den Helden spielt. Oft genug besteht sie aber zum Beispiel nur darin, dass man sich eine Nummer aufschreibt oder sich als Zeuge meldet, anstatt so zu tun, als würde einen das alles nichts angehen.
"Der Transporter wurde einen Tag zuvor genau um 12.38 Uhr als gestohlen gemeldet", fuhr Max Carter fort. "Halter ist ein gewisser Larry Morton. Ihm gehört ein Drugstore in der South Bronx." Carter zeigte ein Bild von Morton, das offensichtlich aus den über das Datenverbundsystem NYSIS stammenden Fahndungsdateien stammte. "Morton ist wegen Versicherungsbetrugs vorbestraft, deswegen haben wir ihn in den Archiven."
Orry Medina meldete sich zu Wort. "Was hat er genau gemacht, Max?"
"Es ging um fingierte Unfälle. Das hat mit der Sache von gestern Abend nichts zu tun."
"Aber wir wissen, dass Morton sich schon auf krumme Touren eingelassen hat", ergänzte ich.
Max nickte. "Diesmal ist auch etwas faul. Er wurde wegen überhöhter Geschwindigkeit auf dem Bruckner Expressway geblitzt - eine halbe Stunde nachdem angeblich sein Wagen gestohlen worden war! Das Foto, das dabei entstand, zeigt eindeutig Morton, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel!"
Mister McKee wandte sich an Milo und mich. "Ich möchte, dass Sie sich diesen Morton mal vornehmen. Möglicherweise hat er was mit der Sache zu tun oder kann uns zumindest wertvolle Hinweise geben."
"In Ordnung, Sir", sagte ich.
Unser Chef wandte sich an Clive Caravaggio. "Nehmen Sie alle unter die Lupe, die irgendwie mit den Scarlattis zusammenhängen, Clive. Aktivieren Sie jeden Informanten in Little Italy, der etwas dazu zu sagen hat!"
"Ich schätze, das Scarlatti-Syndikat gleicht im Moment einem aufgescheuchten Hühnerhaufen", meinte der stellvertretende SAC.
Mister McKee hob die Augenbrauen. "Aber dieser Zustand wird nicht lange anhalten, fürchte ich!"
Eines der Telefone auf dem Schreibtisch unseres Chefs klingelte.
Mister McKee ging an den Apparat, nahm den Hörer ans Ohr.
Eine tiefe Furche zeigte sich auf seinem Gesicht.
Kurze Zeit später legte er wieder auf. "In Brooklyn hat es eine Explosion gegeben. Die Villa von Alex Shkoliov steht in Flammen!"
Shkoliov - der Name war uns allen bekannt. Er galt als starker Mann bei den Ukrainern. Das alte grausame Mafia-Spiel ging also wieder los: Ihr tötet einen von uns, dann töten wir einen von euch...
4
Milo und ich saßen in einem unscheinbaren silbergrauen Chevy aus dem Fuhrpark der Fahrbereitschaft. Den Sportwagen, den uns das FBI Field Office New York sonst zur Verfügung stellte, war für den Job, der vor uns lag, einfach zu auffällig.
Während unsere Kollegen mit großem Aufgebot zur Villa von Alex Shkoliov auf den Brooklyn Heights fuhren, waren Milo und ich in die entgegensetzte Richtung unterwegs.
Unser Ziel war das Haus Nr. 432 in der 143. Straße.
Das war die Adresse von Larry Morton, dem Besitzer des Van, mit dem die Roller-Skates-Gang geflüchtet war. Auf der First Avenue fuhren wir nach Norden. Der Harlem River ist die Grenze zwischen Manhattan und der Bronx, deren südlicher Teil einen geradezu berüchtigten Ruf genießt.
Einige Gebiete wurden von Gangs und Crackdealern beherrscht. Ganze Straßenzüge verfielen langsam. Die Polizei traute sich in manche Gegenden nur in Stärke einer 10er-Einsatzmannschaft und mit kugelsicherer Weste. Im Norden hingegen hatte die Bronx ein eher bürgerliches Gesicht. Schmucke Alleen mit Einfamilienhäusern prägten Viertel wie Riverdale. Auch die Labors der Scientific Research Division, dem zentralen Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten, befanden sich in der Bronx. Ein Stadtteil mit zwei Gesichtern, einem schönen und einem sehr hässlichen. Leider hatte letzteres den Ruf der Bronx in aller Welt nachhaltig geprägt. Eine Brücke führte über den Harlem River. Ab hier hieß die First Avenue plötzlich Melrose Avenue. Wie ein gerader Strich durchzog sie die Bronx und trennte unter anderem auch Einflussgebiete verschiedener Drogengangs voneinander. "Weißt du, was ich glaube, Milo?", fragte ich, als wir gerade das Bronx-Ufer des Harlem Rivers erreicht hatten. "Mir ging das die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf, als wir in Mister McKees Büro saßen..."
"Wovon sprichst du, Jesse?"
"Davon, dass das meiner Ansicht nach auf keinen Fall ein geplantes Attentat auf Jack Scarlatti war."
"Wie willst du das so sicher ausschließen?"
"Diese Roller-Skates-Gang hat angefangen, den Leuten die Brieftaschen wegzunehmen. Wahrscheinlich sind sie aus purem Zufall auf Scarlatti getroffen."
"Und der hat geglaubt, ein Killerkommando hätte es auf ihn abgesehen. Scarlatti griff zur Waffe und das Drama nahm seinen Lauf."
"Genau. Wenn diese Gangster geahnt hätten, dass ihnen zufällig ein Scarlatti gegenübersitzt, hätten sie um dessen Porsche einen weiten Bogen gemacht, Milo."
"Zufällig?", echote Milo. "Wenn das Opfer Jack Scarlatti heißt, denkt man an alles Mögliche. Nur nicht an Zufall. Dir brauche ich ja nicht zu sagen, wie viele Feinde Scarlatti hatte. Wie Mister McKee schon sagte: Das Ausrauben der Leute kann durchaus Tarnung gewesen sein..."
"Aber dann beantworte mir mal eine Frage, Milo: Wie sollen die Mörder gewusst haben, dass Scarlatti junior sich mit seinem Porsche an einer ganz bestimmten Stelle auf der Brooklyn Bridge befand?"
"Keine Ahnung!"
"Siehst du! Wenn es ein Attentat war, dann müssen diese Roller-Skates-Killer das aber gewusst haben!"
Milo kratzte sich nachdenklich am Kinn. "Jemand hat einen Peilsender an Scarlattis Porsche