Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis. Walter G. Pfaus
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"Nun mal halblang!", unterbrach Clive Caravaggio den Redefluss des Ukrainers. "Sie können froh sein, dass Sie in einem Staat leben, in dem Verdächtige relativ große Rechte genießen, sonst säßen Sie längst hinter Gittern!"
"Ach! Jetzt wollen Sie mich auch noch beschuldigen! Dabei bin ich um ein Haar das Opfer eines Mordanschlags geworden!" Shkoliov schnappte nach Luft. Er sagte ein paar Worte auf Ukrainisch zu seinen Bodyguards. Einer der breitschultrigen Mobster reichte seinem Boss daraufhin ein daumengroßes Sprühfläschchen.
Shkoliov sprühte sich damit in den Rachen.
Nitro-Spray!, dachte Clive. Er wusste, dass Shkoliov herzkrank war und mehrere Bypass-Operationen hinter sich hatte.
"Was ist Ihrer Meinung nach hier passiert?", fragte Clive in sachlichem Tonfall.
"Ich war in der City unterwegs, als mich einer meiner Leute anrief. Victor Kosteliov. Er sagte, ein Päckchen sei für mich abgegeben worden. Von einem Kurier. Ich habe Vic gesagt, dass er es sofort öffnen soll. Dann habe ich die Explosion durch das Telefon gehört." Shkoliov schluckte. "Ich nehme an, dass Vic nicht mehr am Leben ist. Der arme Kerl. Er war mein Neffe und ich hatte eigentlich gedacht, dass er eines Tages einen Teil meiner Geschäfte weiter führt..."
"Warum war Ihnen dieses Päckchen so wichtig, dass Sie die sofortige Öffnung anordneten?", hakte Clive nach.
"Vic hatte mir durchgegeben, dass es von dem Juwelier Zorovsky abgeschickt worden war. Ich weiß nicht, ob jemand wie Sie das Diamond Dreamland in der Fifths Avenue kennt."
"Ein sehr teurer Laden für handgearbeiteten Schmuck", sagte Clive gelassen.
Shkoliov hob die Augenbrauen. "Sie überraschen mich, G-man! Wie auch immer, Zorovsky gehört das Diamond Dreamland. Ich hatte mir von ihm ein paar Schmuckstücke anfertigen lassen, die ich heute Abend einer Dame zu schenken gedachte. Ich wollte wissen, wie die Stücke geworden sind..."
"Und das konnte dieser Victor Kosteliov für Sie beurteilen?", wunderte sich Clive. "Als was war er bei Ihnen angestellt?"
"Als Majordomus."
Clive wechselte mit Orry einen kurzen Blick. Dann fuhr der stellvertretende SAC fort: "Wir werden von Ihrer Aussage ein Protokoll machen müssen. Möglicherweise werden Sie Ihre Version der Ereignisse eines Tages vor Gericht wiederholen und beeiden müssen. Das ist Ihnen doch klar, oder?"
Shkoliov verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
"Ihre Kollegen haben in der Vergangenheit nie versäumt, mich auf meine Rechte hinzuweisen."
"Ich nehme an, Sie möchten mit Ihrem eigenen Wagen zur Federal Plaza fahren..."
"Bin ich verhaftet?"
Clive schüttelte den Kopf. "Nein, wir vernehmen Sie als Zeugen, Mister Shkoliov."
Der Ukrainer machte eine wegwerfende Geste. "Sie können sich Ihr ganzes Theater meinetwegen sparen."
"Möchten Sie nicht, dass die Schuldigen an diesem Anschlag auf Ihr Leben gefasst werden?", fragte Clive verwundert.
"Doch, das möchte ich schon. Ich traue Ihnen und dem FBI nur nicht besonders viel zu!"
6
Das Ticken des Zeitzünders war kaum zu hören.
Milo stieß auf meinen Ruf hin die Tür auf.
Er taumelte hinaus, stürzte auf einen Hauseingang zu. In letzter Sekunde rettete er sich in die Nische.
Ich rannte ebenfalls.
Als die Explosion losbrach, hechtete ich mich zu Boden und rollte mich seitwärts über den Asphalt. Im nächsten Moment befand ich mich unter einem der am Straßenrand parkenden Fahrzeuge. Eine Welle aus Druck und Hitze fegte über mich hinweg. Die Sprengladung, die der Roller-Skates-Gangster unter dem Chevy angebracht hatte, ließ eine gewaltige Flamme aufscheinen. Die Bombe wirkte wie eine Art Zünder, denn im nächsten Moment gab es eine zweite Explosion. Der Tank flog in die Luft. Ich betete dafür, dass nicht weitere Wagen Feuer fingen und explodierten. Aber dazu schien die Sprengladung nicht groß genug gewesen zu sein. Ich rollte mich unter dem parkenden Wagen hervor. Es handelte sich um eine Ford-Limousine, deren Unterboden ziemlich rostzerfressen war.
Auf der anderen Seite des Fords tauchte ich wieder auf. Ich rappelte mich hoch. Während die Flammen loderten, rief ich nach Milo.
"Alles klar, Jesse!", antwortete Milo.
Ich war nahe davor aufzuatmen. Doch da sah ich den roten Punkt an der Brownstone-Mauer auf der Seite von Mortons Drugstore tanzen.
Der Laserpointer eines elektronischen Zielerfassungsgerätes, wie man sie inzwischen als Zubehör zu zahlreichen Gewehren und Pistolen geliefert bekam.
Ich duckte mich.
Der Schuss zischte dicht über mich hinweg, fraß sich ins Mauerwerk und sprengte einen handgroßen Steinbrocken heraus. Ein zweiter Schuss folgte nur Sekundenbruchteile später. Ich zog die SIG, ließ den Blick schweifen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein dreistöckiges Gebäude, das die Form eines Quaders hatte. Im Erdgeschoss hatte sich früher mal ein Supermarkt befunden. Jetzt waren die Fensterfronten mit Spanplatten vernagelt. In einer dieser Platten war ein Loch. Der Lauf eines Gewehrs ragte etwa zwanzig Zentimeter ins Freie. Das Mündungsfeuer blitzte erneut auf.
Ich nahm hinter der Motorhaube des Fords Deckung.
Milo