Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Группа авторов
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Alles in allem wird das Grundgesetz trotz Kritik im Einzelnen überwiegend als „Erfolgsgeschichte“ und „zuverlässiges, stabiles, kalkulierbares Regelwerk für die Politik“ bewertet. Insbesondere der Vergleich zur Weimarer Republik erweise, „dass es in der Bundesrepublik bislang nie zum systematischen Versagen der verfassungspolitischen Institutionen und Verfahren gekommen ist“ (Schmidt 2016: 40). Die für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlichen Faktoren (s.o.) sind entweder institutionell oder politisch gebändigt: Verfassungsaushöhlungen und durchbrechungen erlaubt das Grundgesetz nicht. Und noch hat keine Wahl eine antidemokratische Mehrheit hervorgebracht. Gleichwohl ist damit keine Gewähr für die Koalitionsfähigkeit der demokratischen Parteien gegeben. Der Prozess der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017, das Scheitern der Sondierungsgespräche zur Etablierung einer „Jamaika-Koalition“ aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen sowie die insbesondere in der SPD anhaltende Diskussion um den Bestand der Koalition aus CDU/CSU und SPD zeigen, dass eine numerische Koalitionsfähigkeit noch keine Koalition ergeben muss. Die Zukunft wird erweisen müssen, ob insbesondere aus der anhaltenden Krise des etablierten Parteiensystems eine Krise des Parlamentarismus und damit einhergehend eine [23] der Demokratie wird, denn wenn es zum Vertrauensverlust in das Parlament kommt, „dann sind Gefährdungen auch der Legitimität eines demokratischen Systems und seiner Stabilität nicht unvorstellbar“ (Pickel 2015: 191). Droht der Berliner Republik am Ende doch das Schicksal der Weimarer?
3. Folgerungen für die politische Bildung
Welche Schlüsse lassen sich aus dem Vergleich der Weimarer Republik und der Bundesrepublik für die Gegenwart und insbesondere für die politische Bildung ziehen?
Zunächst einmal sollte evident sein, dass einer pluralistischen und freiheitlichen Demokratie eine Deutung im Sinne des Politik-Begriffs von Carl Schmitt nicht angemessen ist. Für Carl Schmitt ist der Staat Ausdruck „einer umfassenden, alle innerpolitischen Parteien und ihre Gegensätzlichkeiten relativierenden politischen Einheit“ (Schmitt 1932/2015: 30), was auch die Anfälligkeit des Staatsrechtlers für den Nationalsozialismus mit seinen Strukturprinzipien Führertum und Volksgemeinschaft erklärt. Carl Schmitts begriffliche Zuspitzung auf den Freund-Feind-Gegensatz führt bei ihm zudem dazu, dass politische Praxen des Aushandelns und Ausgleichens, des Kompromisse Findens und Politikfolgen Abfederns mit einem negativ konnotierten Vokabular erörtert werden. Die Rede ist vom „Parasitären und Karikaturhaften“, von „Intrigen“ und „sonderbarsten Geschäfte[n]“, von „kümmerlichen Formen und Horizonten der parteipolitischen Stellenbesetzung und Pfründen-Politik“ (ebd.: 29f.). Diese Charakterisierung, obgleich bei Schmitt im Sinne einer Schwundstufe des rein Politischen gemeint, ist Wasser auf die Mühlen antidemokratischen Denkens.
Gerade deshalb darf aber für die politische Bildung keineswegs gefolgert werden, Carl Schmitts „Begriff des Politischen“ zu ignorieren. Erstens ist sein Buch ein „Klassiker der Kultur- und Sozialwirtschaften“ (vgl. Hufer 2012: 89ff.) und zweitens kann mit seiner Hilfe die Brisanz der aktuellen nationalpopulistischen Ideenwelt und Strategien (vgl. dazu: Hirschmann 2017: 212) besonders deutlich herausgearbeitet werden: Der Nationalpopulismus ist gekennzeichnet durch einen „konsequenten Dualismus“, der die Welt in „Gut“ und „Böse“, d.h. in Freund und Feind, einteilt. Man selbst gehört natürlich zu den „Guten“, die allein im Besitz der Wahrheit sind und sich schlussendlich durchsetzen werden, dafür aber den Widerstand des unterdrückenden Systems im Kampf brechen müssen. Dazu muss u.a. mithilfe kommunikativer Strategien der gesellschaftliche Zusammenhalt zerstört und der Freund-Feind-Gegensatz zum Ausdruck und zum Ausbruch gebracht werden. Diese [24] kommunikativen Strategien (vgl. zum Folgenden: Hirschmann 2017: 147ff.) umfassen u.a.: die Stilisierung zur einzigen authentischen Stimme des Volks und Stigmatisierung politischer Gegner als „Volksfeinde“, Tabubrüche und Einsatz „alternativer Fakten“, „Anti-Establishment-Rhetorik“, insbesondere Kritik an den „Kartellparteien“. Die politische Bildung muss solche Mechanismen und Strategien offenlegen.
Das ist auch auf der Basis historischer Fallstudien möglich. Am Beispiel der tief segmentierten politischen Kultur der Weimarer Republik lässt sich erstens zeigen, welche Konsequenzen es hat, wenn es keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt oder dieser verloren zu gehen droht, und zweitens ermöglicht sie es, darüber zu reflektieren, wie und wo man am besten auf Scharfmacher, ihre Tabubrüche und alternativen Fakten reagiert. Dafür dass das Denken in Freund-Feind-Kategorien noch immer wirkmächtig ist, gibt Donald Tusk Zeugnis (Tusk 2019). Als er anlässlich der 50-Jahr-Feier der TU Dortmund 2018 deren Ehrendoktorwürde erhielt, thematisierte er
[…] the phenomenon of the brutal division between „us“ and „them“. A division in which thinking is replaced by feelings, where rational arguments give way to myths, symbols and colours […], and where the leader is more important than views and values. I have experienced how easy it is to fall into the trap of simplified identity, built on the negation of other communities. Other – and therefore alien, and therefore hostile. The division between „us“ and „them“ justifies the worst emotions, including hatred and contempt.
Seine Schlussfolgerung kann als ein Auftrag an Politik und Medien, aber auch an die politische Bildung verstanden werden:
[A] lot of time had to pass, before I understood that the job of every individual in the public sphere, in politics and in social life, is to avoid, or at least limit, conflict and violence.
In eine ähnliche Richtung geht Chantal Mouffe, die Carl Schmitts „Begriff des Politischen“ in das Konzept einer „agonistischen“ statt „antagonistischen“ Politik einfließen lässt:
„Die zentrale Frage lautet […], wie die für jedwede Politik konstitutive Unterscheidung zwischen ‚uns‘ und ‚denen‘ so gestaltet werden kann, dass sie mit der Anerkennung des Pluralismus vereinbar ist. […] Liberale demokratische Politik setzt voraus, die ‚Anderen‘ nicht als Feinde wahrzunehmen, die es zu vernichten gilt, sondern als Kontrahenten, deren Ideen es zwar – mit aller Schärfe – zu bekämpfen gilt, deren Recht, für diese Ideen einzutreten [25] aber nicht infrage gestellt werden darf. Anders ausgedrückt: Wichtig ist, dass Konflikte nicht die Form eines ‚Antagonismus‘ annehmen (eines Kampfes zwischen Feinden), sondern die eines ‚Agonismus‘ (einer Auseinandersetzung zwischen Kontrahenten)“ (Mouffe 2015: 28).
Noch ist Berlin weit davon entfernt, Weimar zu werden. Dennoch sind Entwicklungen im Gang, die auf Weimarer Verhältnisse zusteuern oder sie sogar ins Kalkül ziehen. Politische Auseinandersetzungen werden insbesondere, aber nicht nur in den sozialen Medien bewusst im antagonistischen Stil geführt. Würde sich dieser Politikstil und das damit verbundene Politikkonzept des Freund-Feind-Gegensatzes durchsetzen, würde das den gesellschaftlichen Zusammenhalt grundlegend gefährden und damit den gesellschaftlichen Frieden. Eine freiheitliche und pluralistische Demokratie setzt aber auf diesem Frieden auf.
Daher ist es eine wesentliche Aufgabe der politischen Bildung, durch Aufklärung über diese Gefährdungen einen Beitrag zur Arbeit an einer Gesellschaft zu leisten, in der eine andere politische Positionierungen nicht in einem Freund-Feind-Zusammenhang gedeutet und der Gegensatz ins Existentielle gesteigert werden. Diese Haltung zu verinnerlichen heißt zugleich, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann eine Intervention notwendig wird.
4. Fazit
Wenn es stimmt, dass die Demokratie von Weimar „weniger an ihrer Verfassung als am fehlenden republikanischen Engagement der Bürger und der Inhaber öffentlicher Ämter