Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

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Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve

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appellieren in diesem Fall an die Eltern, für ein „ordentliches“ Familienklima zu sorgen.

      Der Diskurs zur Familie stellt sich also so dar, als gäbe es nur zwei Blickwinkel, auf die Familie (zurück) zu schauen: in wütender Reminiszenz oder in idealisierter Verklärung.

      Das Grundschema der Kleinfamilie beruht auf einer juristischen Finte der Römer. Es sollte etwas sichergestellt und amtlich besiegelt werden, das gar nicht sicher sein konnte, nämlich die Vaterschaft – während die Mutterschaft ja immer augenscheinlich war. Die Ehe begründete rechtlich die Hoheit des [11] „pater familias“ über die Früchte seines Landes, seines Haushalts und „seiner Lenden“.

      Nur scheinbar unterliegt die Debatte heute keinem „Vater-Diskurs“, also dem patriarchalen Herrschaftsdogma des römischen Rechts, mehr. In den 1970er Jahren wurde überall in Europa das Familienrecht reformiert. Das patrilineare Prinzip der Trennung der Mutter-Tochter-Bindung zugunsten der ehelichen Verbindung mit einem Partner, an den von nun an – zumeist vergeblich – alle Sehnsüchte und Wünsche adressiert werden, bleibt aber bestehen. An die Stelle des Rückhalts aus der Herkunftsfamilie und der weiblichen Genealogie ist der Partnerschaftsmythos getreten. Der Mann aber erweist sich nur dann als der richtige Adressat, wenn es um die erotische Anziehung, selten aber dann, wenn es um Unterstützung für die Frau und die beständige Betreuung und Fürsorge für ihre Kinder geht.

      Theoretisch begründet wurde die Struktur Vater-Mutter-Kind in der Triangulierung durch Freud. Aber selbst dieser zeigte sich pessimistisch, was das Funktionieren von Familiensystemen betrifft.

      Wer überhaupt weiß, von welchen Spaltungen oft eine Familie zerklüftet wird, der kann auch als Analytiker nicht von der Wahrnehmung überrascht werden, dass die dem Kranken Nächsten mitunter weniger Interesse daran verraten, dass er gesund werde, als dass er so bleibe wie er ist. (Freud 1917, o.S.)

      Freud konzediert, dass die Gesundung des/der Einzelnen das ganze System zu Fall bringen könnte. Aus seinen Schriften geht hervor, dass die Ehen der Wiener Oberschicht seinerzeit häufig der Konvention geschuldet waren. Sie wurden arrangiert, hatten wenig mit Liebe zu tun, Affären waren üblich und die Ehe in der Konvention erstarrt. Aber obwohl Freud das erkannte, hielt er doch an der Kleinfamilienstruktur als unabänderlich fest.

      Es handelt sich bei der Kleinfamilie also um ein Glaubenssystem, das in der Freud’schen Theorie der „Triangulierung“ normativ fixiert wurde. Und dies, obwohl der „Vater der Kleinfamilie“ erkannt hatte, dass das Aufwachsen in ihr eine potentiell traumatisierende, weil unausweichliche Situation auf kleinstem Raum darstellt. Die emotionale Grundstruktur jedes Menschen resultiert aus dieser Konstellation und den Folgen, die eine unglückliche Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Beziehung hat. Diese weitreichende psychische Dimension aber wird im politischen und sozialen Diskurs um Familie gemeinhin ausgespart.

      Erst im therapeutischen Prozess treten Risse, das Leid und die Angst zutage, ausgelöst durch das „Nichtfunktionieren“ der Herkunftsfamilie, besonders [12] durch als verlassend, distanziert oder übermächtig erlebte Mütter; aber auch durch Väter, die sich häufig aus der Verantwortung für ihre Kinder stehlen, wenig Anteil an ihrem Alltag nehmen oder Kinder aus früheren Beziehungen gänzlich verlassen. Narzisstische Verletzungen entstehen aus dem Gefühl der Nichtbeachtung, der fehlenden Wertschätzung durch Vater oder Mutter oder aber durch die schlechte Beziehung der Eltern zueinander.

      Mit auf der Therapeutencouch liegt immer die Mutter, und zwar, weil sie zumeist die einzige ist, die präsent war.

      Früher oder später wird sie immer Thema: die Mutter, die Nervtöterin, die Egomanin, die ewige Vorgesetzte mit dem Meinungsmonopol. (Wienerin 5/2011, 197)

      Die Verbindung zwischen Mutter und Tochter, so heißt es, sei häufig kompliziert und emotionsgeladen. Töchter litten unter Kritik und Kontrolle oder Mütter suggerierten ihnen Schuldgefühle. Populärwissenschaftliche Bücher und Magazine sind voll von solchen Berichten. Oft und allenthalben ist vom Leiden an der Familie, an der Mutter und am Vater die Rede. Die Familien-Opfer treffen sich in Selbsthilfegruppen oder eilen in die Therapiepraxen.

      Und zahlreich sind die Menschen, die glauben, im Falle einer Scheidung bzw. Trennung persönlich zu versagen. Doch es geht nicht um individuelles Scheitern. Es sind nicht die Einzelnen, die den Ansprüchen nicht genügen. An den Ansprüchen des Systems ist etwas zutiefst falsch. Es gibt nämlich „kein richtiges Leben im Falschen“, wie Adorno sagt.

      Gerade aus der jüngsten Zeit sind aus Österreich etliche Dramen der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Väter und Stiefväter bekannt. Dokumentiert sind die Schäden, die die Kinder durch das Ausgeliefertsein – zu Hause, in Internaten und Heimen – davontragen. Wo immer Kinder in einer ausweglosen Situation sind, wenn sie sich in ihrer Not an niemanden wenden können, haben die Täter leichtes Spiel. Nie vergeben wird der furchtbare Verrat am Kind durch die oft mitwissende Mutter. Sie opfert den Schutz des Kindes einer vermeintlichen Sicherheit der Ehe und einer vermeintlichen Liebe zu einem missbrauchenden (Ehe)Mann. Solche Verhaltensweisen können nur durch ihre eigene emotionale Abhängigkeit erklärt werden. Wenn die Mutter also selbst dann noch an Liebe und Sicherheit glaubt, wenn der Partner ihr eigenes Kind missbraucht.

      Es gilt also zu verstehen, dass hier nicht „Normalität“ am Werk ist. Das Familiensystem folgt vielmehr einer „Norm“, also einer konstruierten Form, an der individuell gelitten wird. Dieses Buch ist dem Hinterfragen und [13] Neudenken dieser Organisation privater Beziehungen gewidmet. Und darüber hinaus den Wechselwirkungen zwischen dieser Form von Privatheit und dem öffentlichen Raum, also Ökonomie und Politik. Breiter Raum ist den Themen Politik zu und Wirtschaft mit der Familie gewidmet

      In diesem Buch wird keiner politischen Partei das Wort geredet, keiner Ideologie und keiner konfessionellen Zugehörigkeit. Im Gegenteil ist es mein Anliegen aufzuzeigen, dass über alle Parteigrenzen hinweg das Denken von Familie zutiefst ideologisiert ist und auf falschen Grundannahmen beruht. Es geht darum, den gewohnten Blickwinkel auf Familie aufzuheben zugunsten einer Sichtweise, die davon ausgeht, dass Menschen von Anfang an ein Leben in Würde, in Freiheit und Sicherheit zusteht, statt in Unfreiheit, Scham und Leid. Wir müssen aufhören mit der Verniedlichung und Verharmlosung von Familie, der Beschwörung einer phantasierten heilen Familienwelt und auch damit, der „Zerrüttung“ von Familie das Wort zu reden.

      Tatsächlich sind die Erosionserscheinungen beträchtlich, die Scheidungs- und Trennungsraten hoch, die Geburtenraten relativ niedrig und die Gewalt in der Familie ist alarmierend. Diese Phänomene werden aber meist ideologisch gedeutet – „Niedergang der Werte“ – oder praktisch-politisch – der Geburtenrückgang bedrohe das Sozialsystem. Von familienpolitischer Seite wird wiederum argumentiert, dass man Frauen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser unterstützen müsse. Die hohen Trennungsraten wiederum seien der mangelnden Reife oder der zunehmenden Individualisierung oder aber egoistischen Bedürfnissen geschuldet. All diese Argumente gehen am Kern des Problems völlig vorbei. Nicht nur das, sie stabilisieren das enge Verständnis von Familie als Kleinfamilie.

      Auch angesichts des schleichenden Verlusts an Glauben an das (neo)liberale Wirtschaftssystem ist eine Diskussion um die privaten Beziehungen unerlässlich und ganz besonders dringlich. Soll doch die „Familie“ nun noch jene Menschen auffangen, die unter die Räder der Arbeitswelt kommen.

      Die Frage, wie wir mit der Erde, den Rohstoffen, der Natur und der Arbeitskraft, also den Menschen, umgehen, hat zutiefst mit einer ursprünglichen Emotionalität zu tun. Im Umgang mit den Mitmenschen und der Welt drückt sich nämlich unsere psychische Befindlichkeit aus: wie freundlich oder feindlich uns die Welt als Kind und Heranwachsende/r erschien, wie viel wir davon kompensieren müssen durch Ringen um Anerkennung und Status in einer sich verschärfenden Arbeitswelt. Entwicklungspsychologische Untersuchungen (Ahnert 2010 u.a.) zeigen, wie sehr unsere psychische Struktur von den ersten [14] Lebensjahren bestimmt ist, und diese ist es, die sich

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