Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

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Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve

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entweder, weil der Weg zur Kleinfamilie per se versperrt war (z.B. die Gay Community), oder gerade, um die Kleinfamilie aufzubrechen (Gründung von Kommunen in den Anfängen alternativer Bewegungen).

      Familie. Begriff und Historisches

      Sozialwissenschaftliche Disziplinen gehen von unterschiedlichen Bedeutungen von „Familie“ aus. Die Statistik hält primär am „Haushalt“ fest, in dem ein [23] Paar oder zwei Generationen zusammenleben. Die Familiensoziologie erforscht alle Familienmitglieder im Sinne der Herkunfts- bzw. Generationenbeziehungen (Kern et al. 2000). Die Familiendefinition in der Bevölkerungs- und Politikwissenschaft und in weiten Teilen der Geschlechterforschung wiederum beschränkt sich auf die Kleinfamilie – die eheliche oder nichteheliche Lebensgemeinschaft mit oder ohne Kinder. In der Alltagssprache wird der Begriff Familie oft nur dann verwendet, wenn aus einer Ehe bzw. Partnerschaft ein Kind hervorgeht.

      Begriff

      FamilienwissenschaftlerInnen, insbesondere FamiliensoziologInnen sind sich darin einig, dass es keine einheitliche Definition von Familie gibt. Dennoch halten sie an der Kleinfamilie fest, wenn Themen empirisch erforscht werden oder wenn generell von „Familie“ die Rede ist. Zum Beispiel führt Rendtorff (2007) aus:

      Definieren wir zunächst Familie sehr weit gefasst als eine Gruppe von Menschen, die mindestens zwei Generationen umfasst. (…) Dennoch wird der Einfachheit halber im Folgenden von „Erwachsenen bzw. Eltern“ und „Kindern“ die Rede sein. (Rendtorff 2007, 94)

      Für Österreich (Kaindl/Schipfer 2015) und Deutschland (DESTATIS. 2016) zeigen die statistischen Zahlen, dass unter 15-jährige Kinder in den meisten Fällen mit ihren (Stief-)Eltern im Haushalt leben. Die Elternpaare sind größtenteils verheiratet (68 bzw. 69 %), 17 bzw. 10 % leben unverheiratet zusammen. Die Zahl der Dreigenerationenhaushalte ist gering. Das Phänomen der Patchworkfamilien ist relativ neu und statistisch nicht durchgängig erfassbar, weil deren Mitglieder selten vollständig im selben Haushalt leben. So haben z.B. die neuen Partner/innen der Eltern einen eigenen Wohnsitz.

      Die Familien-Definitionen reichen vom engen Verständnis der Vater-Mutter-Kind-Beziehung bis zur Anerkennung vielfältiger Familienformen wie Patchwork, Getrennt-Zusammenlebend etc. Auch die Generationen- und Geschwisterbeziehungen werden berücksichtigt sowie Ahnen/Ahninnen und Herkunft, zum Beispiel in der Forschung zu Familienstammbäumen. Stets wird aber daran festgehalten, dass Mutter und Vater die wichtigsten Bezugspersonen für das Kind seien, und das Ideal der lebenslangen Paarbeziehung propagiert, insbesondere dann, wenn aus ihr Kinder hervorgehen. Diese Vorstellungen sind nicht nur Teil der Rhetorik populärwissenschaftlicher und [24] medialer Darstellungen von Familie. Sie finden auch Eingang in die Gestaltung familienpolitischer Maßnahmen.

      Es wird zwar Forschung zu Großeltern und Geschwistern betrieben, „Untersuchungen zu Verwandten, Tanten und Onkel etc. findet man aber so gut wie gar keine“, wie Ecarius (2007, 222) feststellt. Dem liegt die „These von der Bedeutungslosigkeit der Verwandten“ seit Beginn der industriellen Gesellschaft (Ecarius 2007, 222) zugrunde. Damit trägt die Familienforschung selbst zur Perpetuierung eines bestimmten Verständnisses von Familie bei.

      Erstmals kritisch zur Familie äußerte sich die Frankfurter Schule in den 1930er Jahren in ihren Studien über Autorität und Familie (Wiggershaus 1991). Im Mittelpunkt des Interesses stand der Zusammenhang von sozialer Struktur, also Klasse, dem Staat und der Familie, die die autoritätsgläubige Persönlichkeitsstruktur produzieren. Der autoritäre Staat sei sowohl Folge als auch Produkt des in der Kleinfamilie erzeugten „sado-masochistischen“ Charakters. Die Vertreter der Kritischen Theorie, die unter dem Eindruck der ersten Schriften zum Matriarchat standen (Bachofen, Engels u.a.), sahen den Niedergang der patriarchalen Autorität in der Familie, meinten aber, dass die erstarkende ,matrizentrische“ Stellung der Mutter ohne positive Folgen bliebe, weil Frauen über keine ökonomische Macht verfügen.

      Familie hat, laut Rendtorff (2007), Funktionen in drei voneinander zu unterscheidenden Feldern. Da sei einmal das materielle Aufgabenfeld, das den Haushalt umfasst. Ein weiteres Aufgabenfeld sei die „Sorge“, die Rendtorff das „Denken vom Anderen aus“ nennt – heute wird von der Care-Ethik gesprochen. Das „edukative“, erzieherische, Aufgabenfeld wiederum mache Familie zum Ort der Kindererziehung. Die Familienforscherin Nave-Herz (2004) beschreibt die Familie erstens als Ort der „biologischen Reproduktionsfunktion“ und der Nachkommenschaft; zweitens als Ort der „sozialen Reproduktionsfunktion“, also als Ort der Regeneration; drittens als Ort der „Sozialisationsfunktion“ für Kinder, an dem sie zu Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden; viertens als Ort der „Plazierungsfunktion“ in der sozialen Hierarchie für die Kinder, an dem sich entscheidet, ob Kinder der Ober-, Mittel- oder Unterschicht angehören werden; sowie zuletzt als Ort der Freizeitfunktion sowie der „Spannungsausgleichsfunktion“.

      Diese Vorstellungen davon, was Familie zu leisten habe, gelten in Form der Ehe als institutionalisiert und rechtmäßig. Namhafte – meist männliche – Familienforscher halten weiter an der Rede von Ehe und Familie als „Keimzelle“ des Staates fest (vgl. z.B. Wingen 1997) und trotz der Vervielfältigung [25] der Lebensformen bleibt die institutionalisierte Form der Familie einer der wesentlichen staatspolitischen Grundpfeiler. So arbeiten Forschung, Rechtsprechung und Politik zusammen, um die Kleinfamilie als politisches und individuelles Leitbild zu stabilisieren.

      Oft geht die Wissenschaft vermeintlich objektiv an ihren Gegenstand heran. Das heißt, sie beschreibt, analysiert, katalogisiert. Sie ist aber normativ, wenn sie beschreibt, dass Menschen sich innerhalb der Familie regenerieren sollen, dass die gesamte Kindererziehung und -betreuung sowie die empathische Beziehung zu den Eltern in ihrem Rahmen stattfinden sollen. Auffällig sind die Auslassungen: Was ist mit dem Wohl der Eltern? Und wo bleibt die Geschlechterperspektive? Für Frauen gilt so manches nicht im gleichen Maße wie für Männer. Aus der Geschlechterperspektive betrachtet, hat die Kleinfamilie höchst unterschiedliche Bedeutungen. Statistiken und Studien bestätigen (z.B. Neuwirth 2007), dass für Frauen „Familie“ primär einen Arbeitsplatz und Ort der Verantwortung für Kinder darstellt. Frauen regenerieren sich selten im familialen Raum. Für Männer steht „Familie“ dagegen oft für Erholung und Freizeit. Und Familie dient ihnen als Rückhalt und Energieressource, damit sie kontinuierlich erwerbstätig sein können. Wie Beck-Gernsheim (1985) bereits in den 1980er-Jahren festgestellt hat, setzt der Arbeitsmarkt eineinhalb Personen voraus, nämlich den Arbeitenden selbst plus eine halbe Kraft, die Haushalt und Kinder betreut. So wird die „männliche Normalbiographie“ der Berufstätigkeit bei lebenslanger Freistellung von Familien- und Hausarbeit ermöglicht.

      Aus den zu Ende gegangenen Beziehungen lernen wir, woran sie scheitern. Kinder, ökonomische Schwierigkeiten und generell Stress bzw. mangelnde Kompetenzen zur Konfliktlösung sind laut Scheidungsforschung die Hauptauslöser (z.B. Bodenmann 2005). Amerikanische Langzeitstudien (Kurdek 1998) fanden heraus, dass nach 10 Jahren praktisch jede Ehe in einer Scheidung endet oder emotional am Ende sei. Für Männer zeigen Gesundheitsdaten, dass sich der Ehestand als gesundheitsfördernd erweist und die Lebenserwartung erhöht, für Frauen dagegen ist eine solche Wirkung nicht feststellbar.

      In der Familienforschung gibt es daher Stimmen, die erkannt haben, dass es sich beim Familienbild um „Vorstellungsmythen“ (Böhnisch/Lenz 1996) handelt. Fuhs (2007) spricht von einem dreifachen Mythos: dem „Harmoniemythos“, also die Vorstellung einer – auch historisch – verklärten harmonischen Familie; auch die Größe der Familie sei ein Mythos, da es in der [26] Vergangenheit die angeblich verbreitete Dreigenerationenfamilie kaum gegeben habe; „Konstanzmythos“ nennt Fuhs wiederum die Vorstellung, dass es sich bei der Familie um eine Art Naturkonstante handle.

      Historisches zur Ehe

      Hilfreich ist der Blick auf die historischen Anfänge dessen, was wir unter Familie verstehen.

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