Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve
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Definition von Patriarchat
Der Begriff Patriarchat war von den 1960er- bis in die 1990er-Jahre Bestandteil feministischer Analysen sowohl im Kontext eines radikal-feministischen Ansatzes als auch der marxistischen Kapitalismuskritik. Damals ging es [30] in erster Linie um die Kritik am Sexismus der Institutionen und den Ausschluss der Frauen aus allen öffentlichen Bereichen.
Mit Anfang der zweiten Frauenbewegung ab den 1970er Jahren wurden die Hierarchisierung und die Ausbeutungsverhältnisse innerhalb der Hausfrauen-Ernährer-Ehe thematisiert und der Slogan vom „Politischen“ des „Privaten“ geprägt. Aktivistinnen und Forscherinnen identifizierten die herrschaftliche Machtausübung und die Kontrolle über weibliche Sexualität und Fortpflanzung als Kennzeichen des Patriarchats. Als soziale Grundlagen des hierarchischen Geschlechterverhältnisses wurden die ungleiche Arbeitsteilung und die politische Nicht-Repräsentanz erkannt, also der Zusammenhang von Ökonomie und Politik.
Lerner (1991) und Walby (1990) untersuchten das Patriarchat aus historischer und soziologischer Perspektive und verstanden es als System patriarchaler Dominanz, das sämtliche Strukturen und Institutionen umfasst. Walby definierte es als System sozialer Strukturen und sozialer Praktiken, in dem Frauen systematisch untergeordnet werden. Herrschaft und Machtausübung werden in solchen Systemen als notwendig definiert.
Dann verschwand der Ausdruck für einige Zeit. Auch die Frauenforschung wurde nun – aufgrund der Vorherrschaft des Poststrukturalismus11 – nicht mehr als solche benannt. Der Vorwurf ist seither, dass der Begriff Patriarchat zu verallgemeinernd sei und man auch nicht mehr von den Frauen als allgemeinem Referenzpunkt ausgehen dürfe. Das Konzept des Patriarchats würde modernen Gesellschaften nicht mehr gerecht, da es die Vormachtstellung des „pater familias“ nicht mehr gäbe. Geschlechterbeziehungen seien ab nun im Kontext von Klasse, Rasse und neuen Strukturmerkmalen wie sexueller Orientierung, Behinderung etc. zu sehen. Lehrgänge, die das Machtungleichgewicht in den Geschlechterverhältnissen im Blick hatten, werden seit den 1990er-Jahren umbenannt und wurden nun Lehrveranstaltungen zu „Gender und Diversity bzw. Intersectionality“12 genannt.
Auch die feministische Politikwissenschaft ist sich über den Patriarchatsbegriff nicht einig. Daly und Rake (2008) verwenden ihn in ihrer Analyse des europäischen Wohlfahrtsstaats unter dem Blickwinkel der Machtbeziehungen [31] zwischen Männern und Frauen. Sie legen dar, dass Männer und Frauen – vielfach aufgrund der unausgewogenen Betreuungspflichten für Kinder – ungleiche Einkommenschancen hätten und daher auch ungleiche Beträge aus dem Sozialsystem ausbezahlt bekämen. Dass sich die Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates entlang des männlichen Lebenszusammenhangs entwickelt hat, wird also von manchen Politologinnen als Patriarchat bezeichnet.
Insbesondere in den Sozialwissenschaften kommt eine systemische Herangehensweise am Patriarchatsbegriff nicht vorbei. So erweiterte Sylvia Walby (2009) ihr Konzept, indem sie „varieties of gender regimes“ unterscheidet und Patriarchat im Zusammenhang mit Intersektionalität neu verortet. Es tauchen auch weitere Bezeichnungen auf: androkratisch/dominatorisch (Eisler 2006) oder androzentrisch (Meier-Seethaler 1988). Kurz-Scherf (2009) argumentiert etwa für die Verwendung des Begriffs Androzentrismus für eine auf Männer fokussierte Forschungs- und Theorieperspektive, da in nahezu allen Politikfeldern androzentrische Problemdiagnosen vorherrschten und Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts ignoriert werde.
Interessanterweise hält die kritische Männlichkeitsforschung am Begriff Patriarchat fest. Ehnis und Beckmann definieren es
als hegemoniale Männlichkeit nach Connell: ,jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis (…), welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)“ (Ehnis/ Beckmann 2009, 98).
Die Politologin Sauer (2004) geht davon aus, dass Staat und männliche Herrschaft nicht einheitlich seien. Vielmehr gebe es eine strukturelle „Staatsmännlichkeit“ oder, nach Weber, eine „versachlichte Männlichkeit“, die in „politische(n) Normen, Praktiken und Institutionen“ eingelassen sei.
Die „Entstehung des Staates aus den Geschlechterverhältnissen“ heißt, dass Staat und Geschlecht sich gegenseitig konstituierende diskursive Formationen, Praxen und Institutionen sind, dass der Staat nicht nur ein geschlechtsneutrales Instrument ist. (Sauer 2004, 22)
Durch Ein- und Ausschließung öffne und schließe der Staat demnach gesellschaftliche Räume im Sinne „maskulinistischer Hegemonie“.
Dem steht die Definition Werlhofs (2015) gegenüber, die gerade eine umfassende systemische Erklärung für die ungerechten sozialen Verhältnisse für unablässig hält. Für sie ist Patriarchat ein Konzept, das den Charakter der [32] gesamten sozialen Ordnung erklärt. Werlhof definiert Patriarchat als „Denkgewalt“, als alle Lebensbereiche durchdringendes Denksystem, das dennoch nicht als solches benannt wird oder werden darf. Es ähnle z.B. dem ehemaligen „real existierenden Sozialismus“, der die eigene Welt immer wieder propagandistisch als „normal“ darstellte.
Von Patriarchat zu sprechen, gilt zumeist als verpönt. Dabei ist es sehr präzise, den Begriff zu verwenden, denn er bezeichnet ein Prinzip, dem sich der individuelle Mann durchaus entziehen kann. Auch Männer können im Patriarchat Opfer werden, wenn sie z.B. einem anderen Vaterbild entsprechen wollen und dadurch in Konflikt mit der Forderung nach permanenter Präsenz am Arbeitsmarkt geraten. Und die wenigen Frauen an der Spitze von Staaten oder Konzernen müssen durch Rituale, Prinzipien und Taten beweisen, Teil der herrschenden Maschinerie zu sein. Ich bezeichne sie als patriarchale Frauen.
Im vorliegenden Buch wird einem systemischen Patriarchatsbegriff gefolgt, der als Meta-Prinzip zu verstehen ist und weit über die Dominanz von Männer über Frauen hinausgeht. Patriarchat ist dabei nicht nur als Prinzip zu verstehen, das die Gesellschaft geschlechtsspezifisch strukturiert. Es handelt sich vielmehr um die Funktionsweise, die unsere gesamte Zivilisation – Familie, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft – kennzeichnet. Die Merkmale patriarchaler Zivilisationen sind folgende:
■ herrschaftliche Machtausübung durch hierarchische Gliederung und Machtausübung, z.B. in Politik und Konzernen;
■ das Prinzip des „Teile und Herrsche“ zur Verhinderung des Zusammenschlusses, z.B. die Isolation der Mütter (vgl. Kap. 1);
■ die Ablehnung der Verantwortlichkeit gegenüber dem Lebendigen, z.B. menschliche „Kollateralschäden“ im Krieg;
■ Ausbeutung von Menschen und Natur in der Ökonomie, z.B. sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse und Ressourcenabbau werden als legitim angenommen (vgl. Kap. 4);
■ Akzeptanz von Gewalt, besonders gegen den Körper von Frauen und Kindern, z.B. Vergewaltigungen und sexuelle Belästigung werden selten sanktioniert;
■ die Umkehrung: Prinzipien werden auf den Kopf gestellt. Krieg gilt als gut, Friedensbewegte werden als „Gutmenschen“ denunziert;
■ [33] natürliches Hervorbringen durch die Mutter und die Natur gilt als nichts, die geistige und technische angebliche „Neuschöpfung“ (die Surrogatmutter, künstliche Welten) als „wirkliche Kreation“, (vgl. Kap. 2).
Matriarchat und Matrilinearität
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