Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve страница 9

Серия:
Издательство:
Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve

Скачать книгу

wie der Begriff Patriarchat aus dem Lateinischen „pater“ (Vater) und dem griechischen „arche“ zusammengesetzt ist, das drei verschiedene Bedeutungen besitzt (Gemoll 1965). Es ist mit „Herrschaft“ übersetzbar, aber auch mit „Anfang“ und „Beginn“. Der Vater wollte der Mutter also ihren Platz streitig machen, denn sie ist der Beginn, der Anfang, aus dem alles kommt. Dies geschah historisch früh in rechtlicher und institutioneller Form, aber durch Symbole und Mythen – wie dem vom Vatergott Zeus, der Athene „aus seinem Kopf gebiert“. Was die historisch jüngere Version dieser griechischen Sage – die sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert hat (Ranke-Graves 1993) – unterschlägt, ist nämlich die Tatsache, dass der Vater-Gott vor seinem angeblichen Gebären die mit ihrer Tochter schwangere Göttin Metis verschlungen hatte (Mulack 2015). Das Auslöschen der Mutter gelingt also nicht wirklich. Das angebliche „Leben-Schaffen“ des Patriarchats hängt vom Absorbieren mütterlicher kreativer Potenz und Materie ab.

      Nach Werlhof ist die Alchemie die – fälschlich nur in der Antike und im Mittelalter verortete – Methode, um die Idee der „Verbesserung der Welt“ zum „Großen Werk“ materiell umzusetzen. Die Idee der alten und neuen Alchemisten ist das Auseinandernehmen und Wieder-Zusammensetzen von Natur, wobei die lebendige Welt „mortifiziert“ (Werlhof) wird. Es wird also eine Leere, eine „tabula rasa“ hergestellt, die dann künstlich befüllt und ersetzt werden kann. Am Beispiel der Gestalt der Mutter wird dies besonders klar. Wie Paracelsus das „Elixier des Lebens“ – oder den „Stein der Weisen“ – finden wollte, um den „Homunculus“ zu kreieren, versuchen moderne Alchemisten mithilfe der Reproduktionstechnologie die mütterliche Essenz in den Körperteilen der Mutter zu finden, um selbst daraus „Neues“ zu erschaffen.

      Alle modernen alchemistischen Verfahren versprechen das Gleiche wie die antike Alchemie: Reichtum, Glanz und Gold in Ewigkeit, militärischen Erfolg, technologische Überlegenheit, Kontrolle, Beherrschung und Ersetzung von Mensch, insbesondere Frau, und Natur durch „Höheres“, ewige Jugend, Schönheit, Potenz, Gesundheit, Langlebigkeit, gar Unsterblichkeit – das Gute, Wahre und Schöne für alle – den angeblich besseren, perfekten und vollkommenen, von aller Schuld befreiten, gänzlich entwickelten „neuen Menschen“. (Werlhof 2010, 34)

      In diesem Buch soll gezeigt werden, welche Rolle der Kleinfamilie in der patriarchalen alchemistischen Prozedur zukommt. Was bedeutet sie für die Sozialisierung des Menschen, und warum ist ihr – angebliches – Funktionieren [38] für Ökonomie und Politik so bedeutsam? Ich werde der Frage nachgehen, wie die skizzierten patriarchalen Prinzipien von Herrschaft, Entsolidarisierung und Isolierung funktionieren und welche Folgen sie für die „Menschenproduktion“ haben.

      [39] Kapitel 1

      Die Mutterfalle18

      Am Beginn meiner Recherchen war ich eine junge Mutter in den 20ern und verstand schnell, dass etwas zutiefst falsch war an der Mutterschaft. Bald war ich davon überzeugt, dass dies mit dem unangemessenen Zugang zur mütterlichen Fortpflanzungsfähigkeit zu tun habe. Die Art, wie der Nachwuchs normiert wurde – zwei Kinder pro Frau sollen es sein –, wie Schwangerschaft und Geburt abgewickelt wurden und die rabiaten Bemühungen der Reproduktionstechniker um die Ersetzung der Mutter waren zutiefst verstörend. So begann meine Arbeit daran, das herrschende Mutterbild zu hinterfragen.

      In diesem Kapitel werde ich damit beginnen, den öffentlichen Diskurs zu beschreiben. Ich werde die Frage verfolgen, warum Mütter sich in der Falle befinden, und die Rolle diskutieren, die der Feminismus in dieser Debatte spielt. Die Kritische Patriarchatstheorie wird die folgenschwere Niederlage der „patriarchalen Mutter“ zeigen, die ihren Nachwuchs unter extremen Bedingungen immer noch betreut. Währenddessen ist die Abschaffung ihres Körpers das Ziel technologischer Experimente, um das mutterlose Leben zu erschaffen. Die Analyse wird auch zeigen, wie sich das Denken durchsetzen konnte, dies sei zu ihrem eigenen Wohl.

      Der öffentliche Diskurs

      Der öffentliche Diskurs ist von zwei Themen geprägt: Das eine ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, also die ökonomische Seite, und das andere sind die Fortpflanzung, die Geburtenraten und deren politische Implikationen.

      In jüngster Zeit gibt es eine Reihe von Publikationen von berufstätigen Frauen, die die Propagierung der berufstätigen Mutter kritisch unter die Lupe nehmen. Dass Frauen „alles haben können“ (z.B. Sandberg 2013) bestreiten mittlerweile andere (Slaughter 2016). Von liberaler feministischer Seite wird wiederum der Verzicht auf die Mutterschaft vorgeschlagen: „Mutter sein. Nein danke“ titelt Emma im Frühjahr 2016 (Emma März/April 2016). Nur [40] Kinderlosigkeit bewahre vor Benachteiligung und Überforderung oder Zynismus: statt der „Übermutter“ setzt sich Emma für die „Rabenmutter“ ein. Allerdings wird eingeräumt, diese Haltung schütze auch nicht gegen den politischen und populären Zwang, dass jede Frau Mutter sein müsse.

      In Europa wird die sozialdemokratische Ansicht, in den USA der liberale Feminismus vertreten, die annehmen, Arbeit und Karriere würden zur Frauenbefreiung beitragen. Die Gender-Mainstreaming-Programme der EU sollen dazu dienen, „Gender Equality“ herzustellen; in der Praxis werden damit Frauen den Europäischen Verträgen19 unterworfen, die einzig dem ökonomischen Wachstum der EU und ihrer „Wettbewerbsfähigkeit“ – hauptsächlich gegenüber den USA und China – dienen. D.h., ein solches Verständnis von Feminismus bedeutet Gleichheit mit Männern um jeden Preis, ohne die ökonomische Agenda des Neoliberalismus, seine Regeln und Praktiken, zu hinterfragen (vgl. Kap. 3).

      Die „Reproduktion“, also Mutterschaft und Fortpflanzung, kommt an drei Punkten zur Sprache: Erstens haben sich die Debatten rund um den Schwangerschaftsabbruch zu Schlachtfeldern entwickelt, wo schwangere Frauen bedroht und Ärztinnen/e und Krankenschwestern ermordet werden. In den USA hat ein skrupelloser Lobbyismus Einzug gehalten, der Abtreibungen um jeden Preis verhindern will. In mehr und mehr amerikanischen Staaten und Ländern Osteuropas werden eine Vielzahl von Verordnungen zum Thema vorgeschlagen. Zum Beispiel haben die Abtreibungsgegner/innen der „Americans United for Life“ 2015 innerhalb der ersten fünf Monate mehr als 300 Verordnungen in 45 US-Staaten initiiert20. Die neue US-Regierung plant derzeit überhaupt die Abschaffung der Straffreistellung.

      Die in den 1970er-Jahren begonnene Diskussion um die Abtreibung führte zur Einführung einer liberalisierten Gesetzgebung in ganz Westeuropa (Tazi-Preve/Roloff 2002). Diese neue Gesetzeslage brachte aber keineswegs ein Ende der Diskussion, wie Frauen damals hofften; im Gegenteil erfolgte bald ein Backlash, und die Opposition durch christliche Gruppen wird seit zwei Jahrzehnten durch militante Organisationen (Human Life International u.a.) abgelöst. Und seit 1989 wird auch in Osteuropa die bereits in den 1950er-Jahren legalisierte Abtreibung heftig bekämpft.

      [41] Die zweite Debatte dreht sich um die niedrigen Geburtenraten in Europa seit den 1980er-Jahren. In Süd- und Osteuropa sind diese besonders niedrig und auf bis zu ein Kind pro Frau geschrumpft. Die deutschsprachigen Länder liegen seit einiger Zeit auf dem gleichbleibend niedrigen Niveau von ca. 1,4 Kindern pro Frau. Müttern wird seither nahegelegt, „ihren Pflichten“ nachzukommen. Die Entwicklung führte zu einer neuen Bevölkerungspolitik, die aber nicht als solche benannt wird.21 Politik, Medien und Ökonomie pochen auf die Norm der Zwei-Kind-Familie. Eine höhere Produktion von „Menschenmaterial“ soll Staat und Wirtschaft stärken.

      Zum dritten hat sich im Kontext der reproduktiven Technologien das Sprechen über den mütterlichen Körper und ihre Zeugungsfähigkeit in den letzten Jahrzehnte dramatisch verändert. Der neoliberale Zugang, der alles als Ware ansieht, wurde zum Allgemeinverständnis und führte dazu, dass Frauen auch den eigenen Körper als Ware begreifen und die Sprache der Reproduktionstechnologien auf sich selbst anwenden. Dann ist die Rede von „Rechten“ (ein Kind zu haben) und „Wahlmöglichkeiten“ (eines in Besitz zu nehmen):„by using the reproductive

Скачать книгу