Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

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Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve

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unnötige medizinische Maßnahmen vorgenommen werden. Auch können Schwangere häuslicher Gewalt ausgesetzt sein und werden davor kaum adäquat geschützt.

      Die Individualisierung und Isolation der Mütter macht sie besonders verletzbar und damit zum perfekten Ziel jeder Art politischer und psychologischer Intervention. Die Methode des „divide et impera“, teile und herrsche, mit der Mütter voneinander und von der Gesellschaft getrennt werden, macht sie gänzlich kontrollierbar. So ist die Anschuldigung der Katholischen Kirche, der „Materialismus“ und der „Individualismus“ unserer Zeit sei schuld an der „Zerstörung“ der Familie nicht nur irreführend, sondern wahrer Hohn.32 Falls die Mutter zusätzlich berufstätig ist, wird sie beschuldigt, ihren „eigenen Vorteil“ zu suchen. Wie ein Bumerang kommt jeder Versuch, gleichzeitig ihre Kinder aufzuziehen und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, als Schuldzuweisung an sie selbst zurück.

      Die Methode, die Mutterkultur endgültig in Mutterelend zu verwandeln, ist das „blame game“. Müttern wird die Schuld für die Kriminalität und das schulische Versagen ihrer Söhne gegeben und für die Essstörungen ihrer Töchter. Die furchterregende Mutter gehört zur zentralen Gestalt der Psychoanalyse (Neumann 1989), und das Leiden an der Mutter steht im Mittelpunkt jeder Therapie. Vom Leiden der Mutter selbst ist dagegen nirgendwo die Rede (Shadmi 2007). Die Sanktionen gegen „schlechte Mütter“ sind gravierend und können den Verlust des Kindes bedeuten. Wenn sie Unrecht an ihren Kindern zulässt, kann die Strafe ein extremes Ausmaß annehmen.

      TPs drei Jahre alte Tochter wurde erschlagen in ihrem Haus in Illinois gefunden und Ts Lebensgefährte gab die Schläge zu. (…) Obwohl sie gar nicht anwesend [50] war, als das Verbrechen verübt wurde, wurde sie für Mord ersten Grades verhaftet. (Ladd-Taylor 2004, 12, eigene Übersetzung)

      Mechthild Hart (2015) zeigt auf, wie schnell junge Mütter, speziell Schwarze und Alleinerziehende Ziel von Schikanen und Kriminalisierung werden. In den USA werden alleinerziehende schwarze Mütter durch ihre bestehende Isolierung und Armut und die dadurch entstehende Gefahr von Misshandlung bzw. Vernachlässigung ihrer Kinder schnell zu Opfern des Systems. Ihr Verhalten und ihr mögliches Versagen werden permanent beobachtet und sie stehen als „single mothers on welfare“ unter Dauerverdacht, das Sozialsystem zu missbrauchen33 Sie werden rasch beschuldigt, unfähig zur Ehe zu sein oder verheiratet zu bleiben, so dass die Kinder vaterlos aufwachen müssten. Alleingelassen und zur Erwerbsarbeit gezwungen, sind sie oft zum Scheitern verurteilt. In die Kategorie ihrer Kriminalisierung fällt auch – wie zuletzt in den USA geschehen – die Verhaftung von in der Öffentlichkeit stillenden Müttern.34

      Frauen unternehmen daher enorme Anstrengungen, den Anschuldigungen, eine „schlechte Mutter“ zu sein, zu entgehen. Das führt zur paradoxen Anforderung, dass die Mutter permanent anwesend sein und alle Verantwortung für ein Kind tragen soll, während sie häufig gleichzeitig für alle eigenen ökonomischen und persönlichen Bedürfnisse und die des Kindes sorgen muss. Gleichzeitig wird argumentiert, dass die Daueranwesenheit der Mutter psychologisch schädlich und die Symbiose mit der Mutter zu vermeiden sei, sodass sich das Kind zur Autonomie entwickeln könne.35 Dies betrifft hauptsächlich das männliche Kind: Es soll den „Muttermord“ (Jung 1987) begehen, die Symbiose und gefühlsmäßige Beziehung zur Mutter für immer zurückweisen, um sich dann dem Vater als Repräsentanten der „wahren Welt“ zuzuwenden. Freud war der Ansicht, die Triangulierung von Vater-Mutter-Kind sei gar ein Naturgesetz. Zahlreiche feministische Psychoanalytikerinnen (Moeller-Gambaroff 1980 u.a.) haben seither Freuds männerzentrierte Perspektive hinterfragt und die weibliche Identitätsentwicklung neu untersucht. Dennoch ist das Freud’sche Konzept der Kleinfamilie die Grundlage von Forschung und Politik geblieben.

      [51] Was geschieht mit dem Körper der Mutter? Die Reproduktionstechnologie

      Nachdem ich das Leben der Mutter unter patriarchalen Bedingungen diskutiert habe, soll es nun darum gehen, was dem mütterlichen Körper widerfährt. Zu den Praktiken der Reproduktionstechnologie (RT) zählen In-vitro-Fertilisation, Leihmutterschaft, „egg harvesting“ und „egg freezing“ (das „Ernten“ und Einfrieren von Eizellen36), der Versuch, einen Uterus aus Stahl und Glas zu bauen, die Einpflanzung von Eizellen in den Bauchraum eines Mannes, Klonen und vieles mehr. Einen Uterus zu transplantieren gelang 2014 erstmals in Schweden und misslang im April 2016, als die Operation in den USA versucht wurde. Ethisch sei eine solche Prozedur der Leihmutterschaft vorzuziehen, wird argumentiert, da jene arme Frauen ausbeute. In den Erfolgsberichten kommt aber kaum zur Sprache, wie invasiv all diese Eingriffe inklusive der In-vitro-Fertilisation sind. Die Frauen erhalten große Mengen an Hormonen und zusätzliche Medikamente, oft sind mehrmalige operative Eingriffe nötig. Die Transplantation eines Uterus ist überhaupt nur temporär möglich, da er nach einer eventuellen Schwangerschaft in jedem Fall entfernt werden muss.37 Im Mai 2016 präsentierte ein Forscherteam38 menschliche Embryonen, die „völlig ohne mütterliche Einflüsse“ zwei Wochen lang im Labor heranwuchsen. Nun wird gefordert, dass diese in vielen Ländern geltende 14-Tage-Regelung fallen solle, also dass ein Embryo auf längere Dauer außerhalb des Uterus herangezüchtet werden darf. Das Ziel verrät die wahre Absicht der Forschung; angestrebt wird nämlich die „Ektogenese“, also die Schaffung eines Kindes außerhalb des Mutterleibes.

      Wie sich die Mütter-Väter ihre Nachwuchsproduktion vorstellen, zeigt die folgende Schilderung eines deutsch-amerikanischen Billionärs, der im März 2016 Vater wurde. Die New York Times schreibt in seinem Porträt:

      „And last month, he became a bachelor father. Or, as he put it when asked who the mother is: „Me, I am the mother and the father.“ Mr Berggruen has two newborns, a boy and a girl, born three weeks apart to different surrogates and conceived using [52] eggs from two donors. (…) He bought the apartment one floor down for the children and their nannies.“ (New York Times, 17.4.2016, 5)39

      Genau so beschrieb Platon vor 2000 Jahren in „Politeia“ seine Utopie der „Frauen und Kindergemeinschaft“, in der der Nachwuchs für Staat und Militär produziert werden sollte, und die Kinder getrennt von der Mutter aufwachsen sollten. Wo die Hellenen nur eine geistige Utopie entwarfen, schaffen die Technokraten und ihre Nutzer heute medizinische und rechtliche Fakten.

      Das einzige, was diesen „Vater-Himmel“ bisweilen noch stört, ist das Beharren der Volksmeinung auf der Mutter. Als sich ein homosexuelles Paar auf die Suche nach einem Rabbi machte, der bei der Namensgebung ihrer Tochter dabei sein sollte, wurden sie hartnäckig nach der Mutter befragt, die ja entscheidend für die Zugehörigkeit zum Judentum ist.

      Most people get it, when I say, „She has two daddies.“ Others persist, asking, „No, but who is her mom?“ (New York Times, 8.5.2016, 6)40

      Die neuen Reproduktionstechnologien sind also darauf aus, mutterloses Leben zu kreieren. Gena Corea (1988) hat schon vor 30 Jahren beschrieben, wie die Fortpflanzung vom weiblichen Körper abgetrennt werden sollte. Damals war es die Gynäkologie, die den Weg bereitete, um Schwangerschaft und Geburt von einem angeblichen unkontrollierbaren wilden und unvorhersehbaren Akt zu einem kontrollierten, überwachten und messbaren Vorgang der modernen Technik zu verwandeln. Und um die Geburt planbar zu machen, leiten Ärzte die Geburt willkürlich ein und haben damit in den USA die Kaiserschnittrate auf 40 Prozent erhöht.41 Die Gynäkologie ist die lange Geschichte der Entfremdung der Frauen von ihrem eigenen Körper/Leib42 und der Entmachtung der Hebammen (Martin 1989).

      [53] Wie aber konnte der Einsatz der RT zur Normalität werden? Renate Klein (2015) berichtet über die Erfindung der Rede von den „Rechten“ und „Wahlmöglichkeiten“ der Frauen und davon, dass dies „zu ihrem eigenen Wohle“ wäre. Und entgegen aller Logik wird das „Recht jeder Frau auf ein Kind“ salonfähig gemacht. Die technologische Entwicklung wird als Freiheit angepriesen: unfruchtbare Frauen können Kinder haben, Frauen können die Schwangerschaft outsourcen und schwule Paare können

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